Strategisches Controlling in einer Radiologie-Großpraxis (Teil 1)

von Prof. Günter Stephan, ehem. Hochschule für öffentliche Verwaltung des Landes Baden-Württemberg, Kehl, stephan@hs-kehl.de

Neben dem operativen Controlling sollten größere Arztpraxen prüfen, ob sie die Instrumente des strategischen Controllings zum Nutzen der Praxis einsetzen können. Während es beim operativen Controlling ( Beitrag s. RWF Nr. 02/2020 ) hauptsächlich um die kurzfristige Sicherung des Betriebserfolgs und die Effizienz (Wirtschaftlichkeit) der Arztpraxis geht, steht beim strategischen Controlling die Sicherung der langfristigen Leistungsfähigkeit im Hauptinteresse der Verantwortlichen. Dabei geht es um das rechtzeitige Erkennen und das Schaffen neuer sowie die Pflege vorhandener Potenziale der Arztpraxis.

Interne und externe Potenziale einer Radiologie-Praxis

Interne Potenziale resultieren aus Stärken und Schwächen einer radiologischen Praxis. Es geht um die Auseinandersetzung mit den Fragestellungen „was können wir besonders gut bzw. besser als andere, was können wir noch nicht so gut“. Hierbei ist der Blick nach innen, also in die Praxis gerichtet. Externe Potenziale hingegen bestehen aus Chancen und Risiken. Es wird besonders das Umfeld, die Umwelt und der Markt betrachtet, um festzustellen, welche Veränderungen mit welchen Auswirkungen zukünftige Chancen bieten bzw. welche Risiken auf die Praxis zukommen können.

Instrumente des strategischen Controllings

Die Betriebswirtschaftslehre (BWL) bietet viele Instrumente an, die das Management einer Praxis im Rahmen des strategischen Controllings (als unterstützende Funktion) einsetzen kann. Zu den Instrumenten des strategischen Controllings zählen:

  • Strategische Umfeld- und Marktanalysen
  • Potenzialanalyse/SWOT-Analyse
  • Produktlebenszyklen
  • Portfolio-Analyse
  • Gap-Analyse
  • Szenario-Technik
  • Früherkennungs-/Frühwarnsysteme
  • Balanced Scorecard
  • Shareholder Value Analyse / Wertsteigerungsmanagement
  • Benchmarking
  • Strategisches Kostenmanagement (Prozesskosten, Target Costing)

In diesem Beitrag werden die für eine größere, radiologische Arztpraxis geeignetsten Instrumente näher erläutert.

Strategische Umfeld- und Marktanalysen

Die strategischen Umfeld- und Marktanalysen beschäftigen sich mit der die Umwelt des Unternehmens. Ziele der Umfeldanalyse sind die Entwicklung und Darstellung von relevanten Umweltstrukturen sowie sich abzeichnende Entwicklungslinien. Auf dieser Basis werden Chancen und Risiken beschrieben. Auf eine größere Arztpraxis bezogen ist zunächst der Ist-Zustand darzustellen, dazu zählen alle Gesetze, Verordnungen und Gerichtsurteile, die für eine Praxis gelten; z. B. Arbeitszeitgesetz, Bundesärzteordnung, Patientenrechtsgesetz, Arzneimittelgesetz, Heilberufsgesetz (NRW), Mutterschutzgesetz, der GOÄ, der EBM etc. Im Rahmen der Analyse sind anstehende neue Gesetze und Verordnungen sowie ihre Auswirkungen auf die Arztpraxis von besonderem Interesse. Werden z. B. bestimmte ärztliche Leistungen von den Kassen nicht mehr vergütet, kann über zusätzliche IGe-Leistungen nachgedacht werden.

Nicht nur die makroökonomischen/sozialen Entwicklungen, sondern auch Branchen- und Marktentwicklungen, Produktionsfaktoren und Wertvorstellungen der Ärzte, Patienten und der Öffentlichkeit sind zu betrachten. Bei der Branchenentwicklung dürften z. B. der Trend zur Großpraxis, die Tendenz zur Werbung (im Ausland teilweise erlaubt) für die Leistungen der Praxis sowie die zunehmende Behandlung von Auslandspatienten relevant sein.

Bei den Produktionsfaktoren geht es um die Rekrutierung und die Weiterbildung von ärztlichem und nichtärztlichem Personal. Auch Innovationen bzw. der technische Fortschritt in der Medizin und damit verbunden neue Ansätze in Therapie und Behandlung dürften von sehr großem Interesse sein. Zu bedenken sind der hohe Kapitaleinsatz, die Finanzierung und die Schulung beim Einsatz von neuen medizinischen Gerätschaften und des damit verbundenen Abschreibungsbedarfs. Die Analyse von Wettbewerbern (andere radiologische Praxen zumindest in der Nähe des eigenen Standorts) sowie der Wertevorstellung (Image, s. Beispiel 1, Seite 8) des ärztlichen und nichtärztlichen Personals sowie der Patienten (ggf. auch der Nichtpatienten) gehören ebenfalls zur Umfeldanalyse.

Beispiel 1: Mögliche Fragen im Rahmen einer Imageanalyse

1. Kann ich die Praxis gut erreichen?

2. Werde ich in der Praxis freundlich und respektvoll behandelt?

3. Nimmt meine Ärztin/mein Arzt mich und mein Anliegen ernst?

4. Werden in der Praxis meine Persönlichkeit und meine Intimsphäre respektiert?

5. Erhalte ich eine verständliche und neutrale Aufklärung, Information und Beratung?

6. Bekomme ich Hinweise auf weiterführende verlässliche Informationsquellen und Beratungsangebote?

7. Bezieht meine Ärztin/mein Arzt mich und meine Wünsche in alle Entscheidungen ein?

8. Akzeptiert meine Ärztin/mein Arzt, dass ich im Zweifelsfall eine zweite Meinung einholen möchte?

9. Wird in der Praxis der Schutz meiner persönlichen Daten gewahrt?

10. Kann ich erkennen, ob meine Ärztin/mein Arzt und das Mitarbeiterteam an Fortbildungsveranstaltungen und Qualitätsprogrammen teilnehmen?

11. Wird in der Praxis auf möglichst große Sicherheit bei meiner Behandlung geachtet?

12. Erhalte ich ohne Probleme Zugang zu meinen Patientenunterlagen?

13. Kooperiert die Praxis mit anderen Ärztinnen/Ärzten?

 

Die Ergebnisse der Umfeld-/Umweltanalyse geben interessante Hinweise zum zukünftigen Umfeld der Praxis und damit zur möglichen Gestaltung. 

Potenzialanalyse/SWOT-Analyse

Zudem können die Ergebnisse der Umfeld-/Umweltanalyse in die Stärken-/Schwächen-Analyse (SWOT-Analyse, s. Beispiel 2) einfließen. Diese Analyse dient gleichzeitig als Früherkennungssystem. Bei den Chancen/Risiken geht es um die externen Potenziale der Großarztpraxis, während bei den Stärken/Schwächen die internen Potenziale angesprochen werden.

Beispiel 2: SWOT-Matrix einer Radiologie-Großpraxis

Chancen/Opportunities

Risiken/Threats

1. Demografischer Wandel: Anzahl und Alter der Patienten steigen.

2. Gründung einer oder zwei Filialen.

3. Mehr zahlungskräftige ausländische Patienten behandeln.

1. Bürokratisierung in der Praxis (bedingt u. a. durch Krankenkassen) nimmt zu.

2. Starke Steigerung der Personalkosten.

3. Schwierigkeiten neue Ärzte zu rekrutieren.

Stärken/Strengths

Schwächen/Weakness

1. Hoher Bekanntheitsgrad in Stadt X.

2. Sehr gute Ausstattung mit radiologischen Geräten.

3. Mehrere Ärzte können medizinische Problemfälle direkt beurteilen.

4. Gute Reputation bei Patienten.

5. Qualifizierte und erfahrene Mitarbeiter.

6. Ärzte schreiben viele wissenschaftliche Aufsätze.

7. Viele Verbesserungsvorschläge durch medizinisches und nichtmedizinisches Personal.

1. Hohe Kosten in einzelnen Leistungsbereichen.

2. Unflexible Abläufe in der Praxis.

3. Für die Notfallpraxis am Samstag stehen zu wenige Mitarbeiter zur Verfügung, deshalb längere Wartezeiten.

 

Bei der SWOT-Analyse sollten die strategischen Maßnahmen zunächst darauf abzielen, die Schwächen zu beseitigen oder zumindest zu verringern, z. B. indem die Kosten in den defizitären Leistungsbereichen gesenkt oder die Abläufe in der Praxis verbessert werden. Aber auch die Stärken sollten langfristig Stärken bleiben, indem z. B. regelmäßig die Reputation der Praxis bei den Patienten erfasst wird. Bei einer Verschlechterung sind die Ursachen zu analysieren und Verbesserungsmaßnahmen anzustoßen. Auch bei den Risiken sind Maßnahmen möglich, z. B. die Rekrutierung von neuen Ärzten intensivieren über bessere Arbeitsbedingungen, gutes Betriebsklima und eine entsprechende Reputation bei den Patienten.

In Teil zwei dieses Beitrags in einer der anstehenden Ausgaben geht es um Portfolio-Methoden, Benchmarking sowie strategisches Kostenmanagement.