Personalentwicklung„Talente der Radiologie stellen die richtigen Fragen und übernehmen Verantwortung“
„Warum gute Mitarbeiter gehen: Die Kunst, Talente zu halten und zu fördern“, hieß eine Veranstaltung auf dem Röntgenkongress 2025. Moderiert wurde die Session von der Radiologin Dr. Elif Can, Oberärztin an der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie des Universitätsklinikums Freiburg. Ursula Katthöfer (textwiese.com) fragte sie nach dem Geheimnis guter Talentförderung.
Redaktion: Der Titel der Veranstaltung war sehr verlockend. Versprach er doch Wissen, um eine Kunst zu erlernen. Warum gehen gute Mitarbeitende denn?
Dr. Can: Gute Mitarbeitende gehen selten wegen einzelner Faktoren. Meist ist es ein Zusammenspiel aus fehlender Wertschätzung, mangelnder Entwicklungsperspektive und einem Gefühl, dass ihre individuellen Stärken nicht gesehen werden. Gerade in einem anspruchsvollen klinischen Umfeld ist es entscheidend, ein Klima zu schaffen, in dem Menschen wachsen können – fachlich wie persönlich.
Redaktion: Heißt das im Umkehrschluss, dass diejenigen, die bleiben, weniger gute Mitarbeitende sind?
Dr. Can: Nein, das ist nicht binär – gehen oder bleiben. Wer bleibt, kann das Glück gehabt haben, dass ein gutes Mentoring und ein interessantes Forschungsprojekt zusammentrafen. Wer bleibt, beweist oft eine hohe Identifikation, Resilienz und Gestaltungswillen. Vielmehr sollten wir die Motive verstehen und individuelle Lebensphasen respektieren. Bleiben kann genauso Ausdruck von Loyalität und Sinnstiftung sein.
Redaktion: Der Kunst, ein Talent zu halten, muss zunächst das Entdecken eines Talents vorausgehen. Was müssen junge Radiologinnen und Radiologen heute mitbringen?
Dr. Can: Neugier, Teamgeist und die Fähigkeit, über den Tellerrand zu schauen. Radiologie ist längst nicht mehr nur Diagnostik. Wer sich für das Fach entscheidet, sollte auch offen sein für minimalinvasive Therapie – für Interventionsradiologie. Das ist ein starkes, patientennahes Feld, das einem das Gefühl gibt, wirklich etwas zu bewegen. Es lohnt sich, sich auch des Feldes der KI zu „ermächtigen“ – fachlich und konzeptionell. Technisches Know-how ist wichtig, aber entscheidend sind Kommunikationsfähigkeit und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen – sei es für Patientinnen und Patienten, im Kollegenkreis oder für Innovationen im Fach. Und: Lust auf Interdisziplinarität. Radiologie ist kein Selbstzweck.
Redaktion: Wie entdecken Sie ein Talent?
Dr. Can: Fast 70 Prozent der Medizinstudierenden sind Frauen. Dennoch haben wir immer noch die recht traditionelle Vorstellung, dass Talente sich wie Platzhirsche verhalten. Das kann interessant sein – auch bei Frauen. Wichtiger ist mir aber, welche Fragen die jungen Leute stellen. Auch bei einem besonderen Engagement in schwierigen Situationen, die wir ja dauernd haben, zeigt sich ein Talent. In guten Momenten kann sich jeder toll präsentieren. Die Frage ist, was jemand in einer Krisensituation macht. Hat dann der Platzhirsch die Lage im Griff oder ist es die ruhige Mitarbeiterin, die nicht so im Vordergrund steht? Wir müssen breiter denken, inklusiver sein.
Redaktion: Suchen Sie auch nach verborgenen Talenten, die im klinischen Alltag vielleicht übersehen werden?
Dr. Can: Ich habe keinen Fragebogen im Kopf, den ich innerlich abarbeite, doch biete ich Möglichkeiten der Partizipation an. So kündige ich beispielsweise für den folgenden Tag eine Intervention an. Wenn jemand dann aus Eigeninitiative sagt, dass er oder sie dazukommen möchte, ist ein kleiner Test bestanden. Niemand muss alles können, doch beobachte ich das Engagement.
Redaktion: Was empfehlen Sie, um diese Talente zu halten?
Dr. Can: Freiräume. Wichtig ist, gezielt eine Atmosphäre zu schaffen, in der Talente sich entwickeln und stolz auf sich sein können. Zusätzlich gebe ich ihnen Verantwortung, an der sie wachsen können. Das sind keine Arbeiten, die sie wie fleißige Bienchen abarbeiten sollen, sondern eigenständige Aufgaben. Dazu gehört für mich als Führungskraft, Rückhalt zu geben, wenn etwas nicht klappt. Wenig hilfreich ist ein Mikromanagement, bei dem Vorgesetzte jeden Schritt kontrollieren. Das macht es Talenten unmöglich, ihre eigenen Stärken und Fähigkeiten zu entdecken. Es geht nicht nur um den Prozess, sondern um den Menschen.
Redaktion: Welche Rolle spielt das Gehalt, damit eine talentierte Person bleibt?
Dr. Can: Für den ärztlichen Nachwuchs gelten in der Regel Entgeltgruppen. Deshalb sind im universitären Umfeld ideelle Werte wie Sinnhaftigkeit und Zugehörigkeit eher von Bedeutung. Erst wenn sich jemand sehr unwohl fühlt, kann das Gehalt eine größere Rolle spielen.
Redaktion: Die Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin an der Universitätsmedizin Frankfurt gründete einen Stiftungsfonds. Sie vergibt Stipendien und einen Promotionspreis an vielversprechende Studierende. Das Geld stammt aus privaten Mitteln des Klinikdirektors. Wäre das ein Vorbild für andere Kliniken?
Dr. Can: Das ist ein politisch sehr schwieriges Thema. Sicher ist die Haltung, Nachwuchs zu fördern, ehrenwert. Doch sollten wir Strukturen schaffen und erhalten, in denen privatwirtschaftliche Fonds und solvente Einzelpersonen nicht notwendig sind. Es muss möglich sein, Talente öffentlich zu fördern, etwa über Forschungsstipendien der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Unseren Klinikalltag sollten wir so gestalten, dass wir Coaching- und Forschungsangebote machen können.
Redaktion: Talente zu fördern geht noch einen Schritt weiter als sie zu halten. Was macht gute Förderung aus?
Dr. Can: Kinderbetreuung ist einer der wichtigsten Punkte. Dazu haben wir inzwischen evidente Forschungsergebnisse. Vor allem Frauen geben ihre Promotionsvorhaben auf, weil sie Kinder bekommen. Wir haben einen Braindrain großartiger Talente, die in Teilzeit oder Carearbeit verschwinden, weil Top-Sharing und Familienfreundlichkeit nicht möglich sind. Das gilt auch für Männer. Außerdem gehören Forschungsprojekte und freie Zeit für Forschung zu einer guten Förderung.
Redaktion: Die Kunst, Talente zu fördern, setzt bei den Führungskräften besondere Skills voraus. Was müssen sie können?
Dr. Can: Ein guter Leader bringt das Team voran und stellt das eigene Ego nicht in den Vordergrund. Das heißt nicht, dass man nicht charismatisch sein sollte. Aber man sollte jungen Talenten Raum schaffen und sich selbst zurücknehmen. Natürlich haben Führungskräfte mehr Erfahrung als der Nachwuchs. Doch sich darüber bewusst zu sein und sich zurückzuhalten, das ist die Kunst.
Redaktion: Was sollten Führungskräfte besser unterlassen?
Dr. Can: Schubladendenken oder stereotypes Denken schaffen ein Klima, in dem ärztliche Teams sich nicht gut entwickeln können. Wichtig ist eine Atmosphäre, in der sich verschiedene Identitäten und Persönlichkeiten entfalten können. Unsere Patienten sind divers. Wir können nur alle Patientengruppen repräsentieren, wenn wir selbst divers sind. Dies gilt für die Klinik genauso wie für die Forschung. Eckt jemand aus dem Team an, gehört auch das zur Diversität. Das müssen Führungskräfte sich bewusst machen. Offenheit, Flexibilität, Abstraktionsfähigkeit, Toleranz und Selbstkritik sind die wichtigsten Skills.
Redaktion: Was empfehlen Sie, wenn ein vermeintliches Talent sich als weniger vielversprechend erweist als ursprünglich gedacht?
Dr. Can: Fehleinschätzungen passieren. Wichtig ist, flexibel zu bleiben und Entwicklungsspielräume offenzuhalten. Wenn sich zeigt, dass jemand im aktuellen Umfeld nicht aufblühen kann, sollte man das respektvoll ansprechen und gemeinsam nach einer passenderen Lösung suchen – ohne Schuldzuweisung. Führung bedeutet auch, sich selbst zu hinterfragen: Habe ich genug unterstützt? Gleichzeitig lohnt sich Geduld – manche Talente entfalten sich erst mit der Zeit. Gute Führung erkennt meiner Meinung nach beides: wann Veränderung nötig ist und wann Vertrauen trägt.
Redaktion: Zum Schluss eine persönliche Frage: Wie sind Ihre Talente im Laufe Ihrer Karriere erkannt und gefördert worden?
Dr. Can: Ich bin den Menschen sehr dankbar, die an mich geglaubt haben, bevor ich das selbst konnte. Sie haben Talente in mir gesehen und mir Freiräume gegeben. Dazu gehören mein ehemaliger Mentor Prof. Dr. Bernhard Gebauer von der Klinik für Radiologie der Charité in Berlin und meine jetzige Chefin an der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie des Universitätsklinikums Freiburg, Prof. Dr. Wibke Uller. Ein prägendes Gespräch mit ihr war für mich der Moment, in dem ich gespürt habe: Bei ihr könnte ich noch weiterwachsen. Und genau so ist es gekommen. Gleichzeitig waren auch frühere Konflikte wichtige Stationen auf meinem Weg – sie haben mir viel über mich selbst beigebracht. Aus Spannungen zu lernen und trotz Rückschlägen dranzubleiben, ist auch eine Frage der Resilienz. Ohne Menschen, auch aus meiner Familie, die an das eigene Potenzial glauben, wäre das kaum möglich.
Vielen Dank!
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