KI-Strategie„Um die Honorierung von KI-Anwendungen zu verbessern, kann die DG-KIMED helfen“
Künstliche Intelligenz (KI) hat in der Radiologie längst einen festen Platz eingenommen. Doch es führt nicht weit, sie hier und da einzusetzen. Strategische Planung hilft, sie gezielt für das Umsatzwachstum zu nutzen. Der Radiologe Prof. Dr. med. Christoph U. Herborn ist seit dem 01.04.2025 Ärztlicher Direktor des Städtischen Klinikums Dessau. Durch unterschiedliche Aufgaben im stationären und ambulanten Sektor bringt er viel strategische Erfahrung mit. Zudem gehört er der 2024 gegründeten Deutschen Gesellschaft für künstliche Intelligenz in der Medizin, DG-KIMED (dg-kim.de), an. Ursula Katthöfer (textwiese.com) sprach mit ihm über die Förderung von KI in der Medizin.
Redaktion: Beginnen wir mit der DG-KIMED. Warum braucht es für KI in der Medizin eine eigene Fachgesellschaft?
Prof. Dr. Herborn: Es ist toll zu sehen, wie viele Fachdisziplinen an KI denken – doch denkt jede nur an sich. Deshalb brauchen wir eine Gesellschaft, die sich nicht nur der KI in der Radiologie oder der Onkologie widmet, sondern die den Anspruch hat, für viele Bereiche Lösungen anzubieten. Wir haben uns im Oktober 2024 konstituiert, um eher die Medizin und die Gesundheitswirtschaft anzusprechen als nur einzelne Fachgebiete bzw. Interessengruppen.
Redaktion: Welche Ziele verfolgt die neue Gesellschaft?
Prof. Dr. Herborn: Wir wollen unterschiedlichste Player mit unterschiedlichsten Hintergründen aus der Branche zusammenbringen. Ziel ist, KI zu evaluieren, Empfehlungen auszusprechen und in die Praxis zu bringen. Zu unseren Gründungsmitgliedern gehören Ärztinnen und Ärzte von Universitätskliniken und Krankenhäusern sowie Personen aus Beratungsgesellschaften, Industrie, IT und Medizintechnik. Wir verstehen uns als Brückenbauer zwischen klinischer Versorgung, Akademia, Wirtschaft und Politik. Damit meinen wir nicht nur die Berliner Politik, sondern auch Bundesärztekammer (BÄK) und Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV). Im vergangenen April hatten wir die erste Veranstaltung, die mir wegen des Miteinanders auf Augenhöhe und der vielen konstruktiven Diskussionen hervorragend gefallen hat. Daraus soll ein regelmäßiges Treffen werden. Wir wollen Positionspapiere verfassen und in der Berliner Welt Eintrittspforten finden, damit KI nicht nur ein Schlagwort bleibt.
Redaktion: Sie wollen konkrete Empfehlungen aussprechen. Haben Sie ein Beispiel?
Prof. Dr. Herborn: In der Radiologie sollten wir darüber nachdenken, in der InEK-Kalkulation Technikzuschläge ebenso abzubilden wie im EBM oder der novellierten GOÄ, um die Anwendung von KI gegenzufinanzieren. Zurzeit kommt jeder Euro, der investiert wird, aus den Gewinnen – abgesehen von Fördermitteln wie zum Beispiel aus dem Innovationsfonds. Selbstverständlich können Honoraranpassungen nie so aktuell sein wie die Entwicklung der Technik. Doch es ließen sich Pauschalen vereinbaren, die dafür Sorge tragen, dass der technische Fortschritt bei der Abrechnung honoriert wird. Da hätte man bei der GOÄ-Novellierung von der Radiologie lernen können. Nun wird das persönliche Gespräch besser honoriert als bisher. Das ist gut, aber die Technik ist eben auch wichtig. Um die Honorierung von KI-Anwendungen zu verbessern, kann ein Verein wie die DG-KIMED durchaus helfen.
Redaktion: Wollen Sie mit anderen Fachgesellschaften zusammenarbeiten, um sich stärkeres Gehör zu verschaffen?
Prof. Dr. Herborn: Das ist nicht nur denkbar, sondern wünschenswert. Bisher sind wir jedoch auf keine Fachgesellschaft zugegangen, weil wir uns intern erst als professionelle Gesprächspartner aufstellen wollen. Eine Gesellschaft wie die Deutsche Röntgengesellschaft (DRG) ist über 100 Jahre alt. Sie ist gewachsen und wird professionell geführt. Ehe wir solchen erfahrenen Partnern unsere Zusammenarbeit anbieten, wollen wir uns noch etwas Zeit geben.
Redaktion: Lassen Sie uns noch über den Gegenstand der neuen Fachgesellschaft sprechen, die KI selbst. Von welchen Algorithmen können radiologische Niederlassungen und Kliniken bereits heute betriebswirtschaftlich profitieren?
Prof. Dr. Herborn: Es sind bereits eine ganze Menge KI-Applikationen auf dem Markt, etwa für Thoraxbefundung, Fraktursuche, Prostata- und Mammadiagnostik. Es können relevante Untersuchungen priorisiert werden. Die MR-Untersuchungszeiten lassen sich durch KI verkürzen. Die Bildakquisition, aber auch die große Bildrekonstruktion sind schneller, weil Daten im Datenraum schneller aufgefüllt werden.
Auch profitieren Abteilungen und Praxen, die KI anwenden, weil einige Patienten inzwischen eine gewisse Technikaffinität entwickelt haben. Für sie haben Anwender von KI eine größere Attraktivität. Das gilt auch für die Zuweiser.
Redaktion: Gibt es bereits messbare Benefits für das Personal?
Prof. Dr. Herborn: Prinzipiell steht Personal digitalen Neuerungen nicht immer offen gegenüber. Doch muss niemand die Sorge haben, durch KI seinen Arbeitsplatz zu verlieren. Die Arbeitswelt verändert sich, es werden aber oft keine Arbeitsplätze eingespart. Technikaffine, gut ausgebildete Mitarbeitende werden immer gebraucht. Es ist eher so, dass KI ein interessanteres Arbeitsumfeld schafft. Wenn wir an den hohen Patientendurchsatz denken, ergeben sich viele Vorteile: Untersuchungszeiten werden verkürzt, die Zahl der Fehlbefundungen sinkt, Rekonstruktionen werden schneller. Redundante Arbeit, die eher langweilig ist, kann heute schon automatisiert werden.
Redaktion: Welche strategischen Schritte empfehlen Sie, um KI zu implementieren?
Prof. Dr. Herborn: Für etwas Neues sollte man offen sein, es ausprobieren und einfach machen. Diese explorative Strategie gehört in ein strategisches Gesamtkonzept, das den Mehrwert der Investition und den Return on Investment einbezieht. Kosten sollten reduziert und Arbeitsabläufe optimiert werden. In Deutschland sind außerdem Haftung und Datenschutz zu berücksichtigen. KI sollte die Arbeit erleichtern und die Ergebnisse im Sinne der Mitarbeitenden und der Patienten verbessern.
Redaktion: Aber die Investitionskosten sind hoch. Wie groß ist das Risiko einer Fehlinvestition?
Prof. Dr. Herborn: Wer Risikokapital gibt, kann viel verlieren, das gehört dazu. Man kann aber auch gewinnen, perspektivisch ist auch mal der „Lucky Punch“ dabei. Ein niedergelassener Radiologe und Praxisgesellschafter kann natürlich nicht mit Risikokapital arbeiten. Doch er kann KI ausprobieren und sollte so vernünftig sein, dem Projekt etwas Zeit zu geben. Es nach sechs Wochen zu beurteilen, kann hinderlich sein. Besser wäre es, erst nach einem Jahr Bilanz zu ziehen.
Redaktion: Sind wir in Deutschland mit Innovationen zu vorsichtig?
Prof. Dr. Herborn: Wir haben Angst, Fehler zu machen, und die Sorge, dass etwas nicht so funktionieren könnte wie in den vergangenen hundert Jahren. Dabei haben wir in Deutschland beispielsweise mit den Max-Planck- und den Fraunhofer-Instituten und vielen Universitätsklinika tolle Forschungsinstitutionen. Aber der Transfer in Maschinen, Workflow und Standards klappt nicht gut. So könnte die Medizintechnik von der Radiologie lernen, dass KI auch in Plattformen eingebaut werden kann. KI muss integriert werden. Als integraler Bestandteil gehört sie in jeden IT-Konzeptplan, im stationären oder ambulanten Sektor ebenso wie in der Hard- und Software der Hersteller von Medizintechnik.
KI ist nicht nur ein „Nice to have“, sondern muss Medizin sicherer machen. Dennoch sind viele auf dem US-Markt angebotene Lösungen zwar bei uns verfügbar, werden aber nicht eingesetzt. Auch die Schweiz, die Niederlande und Frankreich setzen digitales Potenzial besser ein als wir. Deutschland zieht sich häufig auf den Datenschutz zurück. Dabei gilt für Frankreich und die Niederlande die gleiche EU-Regulatorik. Sie wird dort lockerer genommen. Deutschland hängt in Europa hinterher.
Redaktion: Besteht ein Risiko, dass das deutsche Gesundheitswesen bei KI den Anschluss verpasst?
Prof. Dr. Herborn: Das glaube ich nicht. Vieles könnte schneller sein, doch haben wir trotz holprigen Starts beispielsweise seit diesem Jahr die elektronische Patientenakte. Wir können Arztbriefe digital versenden und tauschen in der Radiologie seit Jahren schon cloud-basiert Bilddaten aus. Das kann sich sehen lassen. Dennoch müssen wir alte Zöpfe abschneiden. Die Papierakte ist ein Anachronismus. Wir könnten die gesamte Behandlungskette mit allen Schnittstellen zwischen Niederlassungen, Krankenhäusern, Laboren, Notaufnahmen, Intensivstationen und OPs papierlos dokumentieren. Doch es gibt immer jemanden, der es als einfacher empfindet, einen Schmierzettel zu scannen und digital der Akte anzuhängen. Davon sollten wir uns verabschieden. L
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