„In der Energiekrise zählt jeder Cent!“

Die gestiegenen Energiepreise werden für manche radiologische Praxis zur Existenzfrage. Mit den etwa 80.000 Kilowattstunden (kWh) Strom pro Jahr, die ein 3-Tesla-MRT benötigt, kann ein durchschnittlicher Zwei-Personen-Haushalt 30 Jahre lang auskommen. Ein Schutzschirm muss her – so die Meinung vieler Radiologen. Dr. Rudolf Conrad ist Facharzt für Diagnostische Radiologie, geschäftsführender Gesellschafter des Diagnosticums Bayern Mitte und Mitgründer der Radiologie Initiative Bayern. Ursula Katthöfer ( textwiese.com ) fragte ihn nach den Perspektiven.

Redaktion: Woher beziehen radiologische Zentren ihren Strom typischerweise, vom lokalen Energieversorger oder am Spotmarkt?

Dr. Conrad: Das ist ganz unterschiedlich. Wir hatten zunächst eine Firma, die den Anbieter recherchierte, der für unsere sieben Standorte den günstigsten Strom hat. Es folgte ein Wechsel: Seit Anfang 2021 kaufen wir unseren Strom über einen Makler an der Strombörse zu tagesaktuellen Preisen. Damals folgten wir einer Empfehlung unseres Berufsverbands in Berlin. Seitdem ist der Nettopreis für eine kWh Strom von 4 Cent auf über 40 Cent gestiegen. Retrospektiv wäre es mit dem heutigen Wissen günstiger gewesen, langfristige Verträge mit einem lokalen Anbieter abzuschließen. Jetzt erwischt die Energiekrise die Praxen, die kurzfristig an der Strombörse kaufen, zuerst. Für die Praxen, die ihren Strom mittel- bis langfristig z. B. von Stadtwerken beziehen, werden die Preise etwas später steigen.

Redaktion: Wie hoch sind die Stromkosten pro MRT in Ihrer Praxis?

Dr. Conrad: Aus eigenen Messungen wissen wir, dass unsere 1,5-Tesla-MRT durchschnittlich 23,9 kWh pro Untersuchung verbrauchen. Das entspricht heute Stromkosten von 16,20 Euro. Pro Untersuchung! Bis 2020 lagen die Kosten noch bei 4,37 Euro. Unser 3-Tesla-MRT benötigt im Schnitt 30,1 kWh. Das macht heute Stromkosten von 20,40 Euro aus. Sie lagen bis 2020 bei 8,10 Euro. Diese Summen haben viele Kollegen sich noch nicht klar gemacht. Es gibt zwar eine Veröffentlichung aus der Schweiz (siehe weiterführender Hinweis am Ende des Interviews) mit niedrigeren Werten. Unsere Werte liegen vermutlich deshalb höher, da wir u. a. nicht nur die KVB-Vorgaben einhalten, sondern auf eine hohe praxisinterne Qualität der Aufnahmen auch mit mehreren hochenergetischen Sequenzen wie Diffusions-Bildgebung und MR-Angiografien achten. Übrigens verbrauchen MRT-Geräte 30 Prozent des notwendigen Stroms für die Kühlung – auch wenn sie abgeschaltet sind.

Redaktion: Gibt es noch Möglichkeiten, um effizienter und günstiger zu arbeiten?

Dr. Conrad: Wir investieren jedes Jahr in neue Geräte, mit denen sich jeweils 5 bis 10 Prozent der Energie einsparen lässt. Wenn die Geräte nachts abgeschaltet werden, sind es 15 bis 20 Prozent. Doch das gleicht die Preisexplosion nie und nimmer aus. Auch die Zahl der Untersuchungen lässt sich mit modernen, effizienteren Geräten etwas steigern. Allerdings hatten wir in den vergangenen Jahren bereits eine deutliche Effizienzoptimierung. Da ist nicht mehr viel zu machen, ohne die Qualität der Bildgebung zu senken. Und das wäre ein medizinischer Rückschritt.

Redaktion: Was halten Sie von Energiesparseminaren der Hersteller von CT- und MRT-Geräten?

Dr. Conrad: Sie können nicht nur den Radiologen, sondern auch den MTRA auf jeden Fall etwas vermitteln, auch im CT-Bereich. Jede eingesparte kWh, jeder Cent zählt. Da macht es auch einen Unterschied, ob ich ein Röntgengerät online lasse oder komplett ausschalte.

Redaktion: Gibt es bereits Praxen, die ihre medizinische Versorgung wegen der hohen Energiekosten einschränken?

Dr. Conrad: Sollte der Strompreis auf 80 Cent pro kWh steigen, dann werden die ersten Praxen Probleme bekommen. Die Politik empfiehlt, die Geräte einfach abzuschalten. Aber das Ausschalten wäre eine Milchmädchenrechnung, denn Personal- und Stromkosten für die Kühlung des MRT laufen ja weiter.

Redaktion: Die KBV schlägt dem Bewertungsausschuss vor, für CTUntersuchungen einen Zuschlag von 64 Punkten und für MR-Untersuchungen einen Zuschlag von 165 Punkten einzurichten. Reicht das?

Dr. Conrad: Wenn der Strompreis nicht noch weiter steigt, würde das die Mehrkosten in der aktuellen Krise zwar nicht ganz decken, doch es wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Der EBM-Orientierungspunktwert 2022 liegt bei 11,2662 Cent, da würde ein Zuschlag von 18,59 Euro für das MRT herauskommen. Aber jede KV hat sozusagen ihren eigenen Punktwert. In Bayern hat man den Honorarverteilungsmaßstab eingeführt, wir bekommen nur 70 Prozent des in Berlin verhandelten Orientierungspunktwerts. Hinzu kommt, dass der Strompreis von sehr vielen Faktoren abhängt, sei es vom Niedrigwasser im Rhein oder den temporär abgeschalteten Atomkraftwerken in Frankreich. Es gibt jede Woche neue Gründe, warum er nicht sinkt.

Redaktion: Lassen Sie uns schauen, was Praxen und MVZ für einen stabilen Strompreis in Zukunft tun können. Ist es sinnvoll, Photovoltaik(PV)-Anlagen auf dem Dach installieren zu lassen?

Dr. Conrad: Das kann ich nur jedem empfehlen. Die Ausbeute ist zwar nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Doch wenn jeder Cent zählt, ist selbst produzierter und selbst genutzter Strom aus einer PV-Anlage günstiger als der Strom der Stadtwerke oder vom Spotmarkt. Ein Denkmodell wäre auch, dass mehrere Praxen sich zusammenschließen, um gemeinsam in ein Windrad zu investieren. Große Windräder haben eine Nennleistung von fünf Megawatt. Der mittlere Stromverbrauch unserer Praxis liegt bei 72.000 kWh pro Monat, also etwa 864.000 kWh pro Jahr. In der Vergangenheit war der Bau eines eigenen Windrads wegen der hohen Investitionskosten kein guter Deal. Doch heute könnte die Rechnung aufgehen, wenn man den Strom selbst nutzt. Allerdings sind die Genehmigungsverfahren in Bayern so schwierig, dass es wohl bei der Utopie bleiben wird.

Redaktion: Sie haben bereits auf die wegen ihrer Kühlung extrem energieintensiven MRT-Geräte hingewiesen. Das 0,5-Tesla-Niederfeld-MRT hingegen kommt wegen eines Permanentmagneten ohne Kühlung aus. Das reduziert die Stromkosten enorm. Hat diese Technologie Zukunft?

Dr. Conrad: Das 0,5-Tesla-Gerät wurde für Entwicklungsländer, in denen die Stromversorgung instabil ist, entwickelt. Die Bildgebung hält der Qualität der 3-Tesla-Geräte nicht stand, es gibt schon einen qualitativen Unterschied. Der mag für die einfache Bildgebung nicht viel ausmachen. Fakt ist, dass die Hersteller Alternativen präsentieren müssen, wie MRT-Geräte in Zukunft weniger Energie verbrauchen. Es soll auch ein Null-Helium-MRT geben. Das war früher für uns keine Option, weil genug Energie da war. Heute ist das anders. Es tut sich was.

Redaktion: In der Radiologie Initiative Bayern haben sich 343 Ärztinnen und Ärzte von 115 Standorten zusammengeschlossen. Was kann so ein Netzwerk erreichen?

Dr. Conrad: Wir haben die Initiative 2019 gegründet, weil wir in einem Teil der Presse wegen unserer Kontrastmittelpauschale in die Kritik gerieten. Daraufhin wollte die KV Bayerns die Pauschale nach unten korrigieren. Wir sind mit 90 Kollegen zur Vertreterversammlung nach München gefahren und haben Rabatz gemacht. So wurden wir wahrgenommen. Es ist auf Landesebene deutlich einfacher, etwas zu erreichen, als auf Bundesebene. Doch bei den Strompreisen können wir leider auch als Initiative wenig ausrichten.

Redaktion: Denken wir zehn Jahre weiter: Wie wird die Energieknappheit die Welt der Radiologie bis dahin verändert haben?

Dr. Conrad: Der Krieg in der Ukraine kann nicht ewig dauern. Ich gehe davon aus, dass wir die Energieknappheit in zwei, drei Jahren überwunden haben. Hält sie hingegen dauerhaft an, wird das auch die Radiologie verändern. Doch haben wir in den vergangenen 100 Jahren in Deutschland immer wieder gezeigt, dass wir uns gut an ungünstige Verhältnisse anpassen können. Deshalb bin ich mir sicher, dass wir das Problem lösen werden.

Weiterführender Hinweis

  • Tobias Heye et al.; The Energy Consumption of Radiology: Energy- and Cost-saving Opportunities for CT and MRI Operation; Radiology 2020 295:3, 593-605: doi.org/10.1148/radiol.2020192084