Abrechnung ohne Prüfung der radiologischen Indikation – Radiologe strafrechtlich verurteilt

von RA, FA MedizinR und Wirtschaftsmediator Dr. Tobias Scholl-Eickmann, Kanzlei am Ärztehaus, Dortmund, kanzlei-am-aerztehaus.de.

Rechnet ein Arzt Leistungen nach dem EBM gegenüber der KV ab und versichert dabei im Rahmen der Sammelerklärung bewusst wahrheitswidrig, die Leistungen seien nach dem EBM abrechenbar gewesen, begründet dies eine Täuschungshandlung im Sinne des Betrugs nach dem Strafgesetzbuch (StGB). Das Landgericht (LG) Saarbrücken hat daher einen Radiologen, der Röntgenleistungen unter einem ihm bekannten Verstoß gegen die strahlenschutzrechtlichen Vorschriften und damit unter Verstoß gegen den EBM gegenüber der KV abgerechnet hatte, zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt (Urteil vom 19.11.2019, Az. 2 KLs 5/18 )

Sachverhalt

Der Radiologe betrieb gemeinsam mit einem Partner, gegen den ebenfalls ein Strafverfahren anhängig wurde, in den Räumen eines Krankenhauses eine radiologische Gemeinschaftspraxis.

Behandlungsablauf

Die Behandlung von GKV-Patienten, die für Röntgen- oder CT-Leistungen vorstellig waren, organisierten die beiden Radiologen so, dass die Patienten nach telefonischer Terminabstimmung mit dem Personal einbestellt wurden. Die Mitarbeiter erfragten dabei

  • die angeforderte Art der Untersuchung (CT oder Röntgen),
  • welches Körperteil betroffen und
  • ob Kontrastmittelgabe vonnöten sei.

Zum Termin wurde der Überweisungsschein vom Patienten vorgelegt. Daraufhin händigten die Mitarbeiter einen passenden Fragebogen „CT“ oder „Röntgen“ aus. Auf der Rückseite war ein Aufklärungsbogen abgedruckt, den die Patienten unterzeichnen sollten und wodurch sie ihr Einverständnis zur geplanten Untersuchung ohne zurzeit bestehende Fragen bestätigten. Die Partner hatten die Aufklärungsbögen zuvor blanko unterschrieben. Etwaige Fragen der Patienten beantworteten die Mitarbeiter. Diese gaben dann auch – sofern erforderlich – das Kontrastmittel.

Die Mitarbeiter legten eine Patientenakte an und verbrachten diese in den CT- oder Röntgenraum. Die Patienten wurden von den dort tätigen nichtärztlichen Mitarbeitern aufgerufen und die Bilddiagnostik wurde gefertigt. Danach wurden die Patienten nach Hause geschickt. Die Patientenakte wurde dann in das „Befundungszimmer“ gebracht. Die Radiologen beschäftigten sich nun erstmals mit dem Fall und verfassten bzw. diktierten den Befund, der im Weiteren an die Zuweiser versandt wurde. Von diesem Ablauf wurde nur ausnahmsweise abgewichen. Nach den Feststellungen des Gerichts befassten sich die Radiologen nur in etwa zehn Prozent der Fälle vorab mit den Patienten und stellten eine sog. „rechtfertigende Indikation“ nach § 23 Abs. 1 RöV bzw. § 80 Abs. 1 StrlSchV (nun geregelt in § 119 StrlSchV n. F.). Diese ist strahlenschutzrechtlich durch den Arzt, der die radiologische Leistung durchführt, festzustellen. Dies gilt auch dann, wenn eine Anforderung durch einen überweisenden Arzt vorliegt. Dabei sind vor der Anwendung, erforderlichenfalls in Zusammenarbeit mit dem überweisenden Arzt, die verfügbaren Informationen über bisherige medizinische Erkenntnisse heranzuziehen, um jede unnötige Exposition zu vermeiden.

Abrechnung

Im gerichtlich untersuchten Zeitraum der Quartale I/2013 bis III/2014 rechneten die Radiologen die Leistungen gegenüber der KV Saarland ab. In der Abrechnung gaben sie im Rahmen der sog. „Sammelerklärung“ insbesondere an, dass sämtliche abgerechneten Leistungen persönlich und unter Einhaltung der Abrechnungsbestimmungen des EBM erbracht worden seien. Dabei war den Ärzten bekannt, dass dies nicht der Wahrheit entsprach. Denn die Abrechnung der radiologischen Leistungen nach dem Kapitel 34 EBM setzt voraus, dass die strahlenschutzrechtlichen Vorgaben erfüllt sind und die beiden Ärzte um die Notwendigkeit wussten, die rechtfertigende Indikation selbst zu stellen. Die entsprechenden EBM-Nrn. waren daher nicht abrechnungsfähig!

Die KV hatte zunächst rund 268.000 Euro für die betroffenen Leistungen an die Ärzte ausgezahlt, da keine augenscheinlichen Auffälligkeiten vorlagen. Das LG hat für die Schadensfeststellung einen Abzug von zehn Prozent vorgenommen. Die Radiologen hatten bereits vor Beginn der strafrechtlichen Hauptverhandlung einen Betrag von insgesamt ca. 232.000 Euro zurückgezahlt.

Entscheidungsgründe

Durch sein Verhalten hat sich der Radiologe, um den es im Verfahren ging (sowie auch dessen gesondert verfolgter Partner) nach Überzeugung des LG wegen Betrugs gemäß § 263 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 StGB in sieben Fällen strafbar gemacht. Der Radiologe habe die Quartalsabrechnung bewusst wahrheitswidrig unter der Versicherung, die strahlenschutzrechtlichen Vorgaben eingehalten zu haben, in den sieben Quartalen I/2013 bis III/2014 an die KV übermittelt. Tatsächlich war aber die zuvor erforderliche rechtfertigende Indikation durch die Ärzte gemäß § 23 Abs. 1 RöV bzw. § 80 Abs. 1 StrlSchV nicht festgestellt worden. Mit der zunächst erfolgten Honorarauskehrung ist ferner ein Vermögensschaden bei der KV entstanden. Unbeachtlich sei hingegen, dass – abgesehen von der rechtfertigenden Indikationsfeststellung – eine ordnungsgemäße Leistungserbringung erfolgte. Insoweit gelte eine streng formale Betrachtungsweise, so das Gericht.

Der Arzt habe zur Schaffung einer nicht nur vorübergehenden Erwerbsquelle, also „gewerbsmäßig“ im Sinne des Betrugs gehandelt. Auch unter Berücksichtigung strafmildernder Umstände (Schadensrückführung, Geständnis, im Übrigen ordnungsgemäße Leistungserbringung, Zeitablauf, weitere drohende Folgen für den Angeklagten) war insoweit eine Freiheitsstrafe von einem Jahr zur Bewährung angemessen. Das Geständnis – für sich genommen ein besonders gewichtiger Strafmilderungsgrund – erfolgte erst am letzten von 33 Hauptverhandlungstagen und konnte daher nur bedingt berücksichtigt werden.

Fazit

Die Entscheidung steht im Einklang mit der strengen Rechtsprechung zum Abrechnungsbetrug bei Vertragsärzten einschließlich der (zu Recht) vielfach kritisierten „streng formalen Betrachtungsweise“ zur Feststellung eines (rein normativen) Schadens (vgl. BSG, Urteil vom 08.09.2004, Az. B 6 Ka 14/03). Im vorliegenden Fall wurde durch die Ärzte insbesondere nachweislich eine bewusste Täuschungshandlung vorgenommen: Ihnen war die Notwendigkeit, die rechtfertigende Indikation vor der Strahlenexposition durchzuführen, ebenso bekannt wie die Vorgabe im EBM, dass die Einhaltung des Strahlenschutzrechts Voraussetzung für die Abrechenbarkeit der Leistung ist.

Aus der Praxis ist bekannt, dass die Feststellung der rechtfertigenden Indikation in radiologischen Praxen bisweilen „lax“ gehandhabt wird. Davon ist dringend abzuraten. Erforderlich ist stets die Feststellung eines Arztes mit der erforderlichen Fachkunde im Strahlenschutz, dass das Ziel der Untersuchung den gesundheitlichen Nutzen gegenüber dem Strahlenrisiko beim konkreten Patienten überwiegt und keine Möglichkeit besteht, ein Verfahren mit geringerer Strahlenexposition anzuwenden.

Ein Verstoß kann gravierende Folgen haben. Dem betroffenen Arzt blieb zwar das strafrechtliche Berufsverbot (§ 70 StGB) erspart. Verfahren zum Widerruf der Approbation sowie zum Entzug der KV-Zulassung dürften aber folgen, sodass das vorübergehende Ende der beruflichen Karriere wahrscheinlich ist.

 

Weiterführender Hinweis