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ArbeitsrechtVerfassungsbeschwerde gegen Nachweispflicht zur Corona-Impfung erfolglos – und jetzt?

23.05.20225min. Lesedauer
Von Rechtsanwältin, Fachanwältin für Medizinrecht Dr. Birgit Schröder, Hamburg, dr-schroeder.com

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat die einrichtungsbezogene Impfpflicht bestätigt (Urteil vom 27.04.2022, Az. 1 BvR 2649/21). Das höchste deutsche Gericht wies eine Verfassungsbeschwerde gegen entsprechende Teile des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) zurück. Mit dem Beschluss des Ersten Senats herrscht jetzt Klarheit, könnte man denken. Doch sieht man sich die Entscheidungsgründe etwas genauer an, so ist deutlich mehr Differenzierung geboten als zunächst vermutet.

BVerfG hebt Schutz der vulnerablen Gruppen hervor

Die Begründung des Gerichts stellt im Wesentlichen darauf ab, dass zwar ein tiefer Eingriff in die im Grundgesetz geschützte körperliche Unversehrtheit vorliege, dieser Eingriff aber gerechtfertigt sei, weil so alte und kranke Menschen (sog. vulnerable Gruppen) geschützt würden. Diese Gruppen seien durch Infektionen mit dem Coronavirus besonders gefährdet. Dass die Abwägung zugunsten vulnerabler Gruppen ausfällt, deren Gefährdung bei einer COVID-19-Erkrankung um ein Vielfaches über den Gefahren des Impfens liegt, überzeugt das Gericht. Begründet wird der Eingriff in die Rechte der betroffenen Mitarbeitenden also insbesondere mit dem Drittschutz eben dieser vulnerablen Personengruppen. An verschiedenen Stellen der Entscheidungsgründe wird deutlich, dass die Richter die Schutzwirkung der Impfungen in den Fokus stellen. Dieser Fokus bleibt nicht ohne Folgen. Zwei Passagen aus der Begründung dienen, um diese Folgen besser nachvollziehen zu können.

Aus den Gründen (1): Reduziertes Risiko durch Impfung zu erwarten

„Auch wenn der Schutz vor Infektion mittels Impfung oder durchgemachter Infektion für die Omikronvariante im Vergleich zu den vorhergehenden Varianten deutlich reduziert sei, bestehe weiterhin für einen begrenzten Zeitraum ein relevanter Schutz. Für einen Zeitraum von drei bis sechs Monaten nach der dritten Impfdosis würden mehrere aktuelle methodisch hochwertige Studien die Schutzwirkung gegen Infektionen auf 40 bis 70 Prozent beziffern. Das Risiko, sich zu infizieren und infektiös zu sein, reduziere sich also auf die Hälfte. Bezüglich möglicher künftiger Varianten könne grundsätzlich erwartet werden, dass die jetzigen Impfstoffe wenigstens eine partielle Wirkung behielten.“ (ab Randnummer 61)

Aus den Gründen (2): Nachlassende Schutzwirkung nicht ausgeschlossen

„Insbesondere die Vertretbarkeit der gesetzgeberischen Eignungsprognose, die verfügbaren Impfstoffe würden auch gegenüber der Omikronvariante des Virus eine noch relevante Schutzwirkung entfalten, wird durch die weitere Entwicklung des Pandemiegeschehens nach Verabschiedung des Gesetzes ausweislich der Stellungnahmen der im hiesigen Verfahren als sachkundige Dritte angehörten Fachgesellschaften nicht erschüttert. Die Übrigen sachkundigen Dritten gehen jedoch übereinstimmend von einer weiterhin bestehenden, wenn auch gegenüber den Vorvarianten reduzierten, relevanten Impfstoffwirksamkeit aus.“ (ab Randnummer 184)

Folgen für die Praxis

Soweit die Entscheidung zur Nachweispflicht. In der Praxis wird es aber nunmehr darum gehen müssen, wie mit dieser seitens der Gesundheitsämter vor Ort umgegangen wird. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Richter auf den Zeitpunkt ihrer Entscheidungsfindung abgestellt haben – die zuständigen Gesundheitsämter müssen hingegen ebenso die aktuellen Entwicklungen im Blick haben.

Die Infektionslage ist im Juni 2022 offensichtlich eine andere als im April 2022. So heißt es auf Seite 23 des „Wöchentlichen COVID-19-Lageberichts“ des Robert Koch-Instituts (RKI) vom 02.06.2022: „Seit dem 05.05.2022 werden im COVID-19-Wochenbericht des RKI keine regelmäßigen Informationen zur Wirksamkeit der COVID-19-Impfung mehr berichtet.“

Das bedeutet, dass keine aktuellen Zahlen mehr erhoben und veröffentlicht werden. Insofern lässt sich mit der Wirksamkeit der Impfung – jedenfalls für die Verwaltungsentscheidungen – nicht mehr in der Weise argumentieren, wie das BVerfG es getan hat.

Mögliche Argumentationslinien von „Impfskeptikern“

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in radiologischen Praxen oder Klinikinstituten, die nicht geimpft oder genesen sind sowie kein ärztliches Attest vorlegen können, hätten beispielsweise die Möglichkeit, mit der Versorgungssicherheit zu argumentieren. Bei einem Betretungs- und Tätigkeitsverbot der betroffenen Mitarbeiter könnte die Versorgungssicherheit gefährdet werden. Dabei müsste die konkrete Versorgungssituation im Einzelfall berücksichtigt werden. Dazu gehören auch Fragen, ob und ggf. in welcher Intensität Patientenkontakt besteht und ob eine Gefährdung ggf. auch durch ein umfangreiches Hygienekonzept minimiert werden kann.

Wenn argumentiert wird, dass sich auch Menschen trotz Impfung und Boosterung mit dem Coronavirus infizieren können und dieses auch (unbemerkt) übertragen können, muss sich auch mit einem solchen Sachvortrag auseinandergesetzt werden.

Ebenso wird die Frage zu beantworten sein, ob ein ungeimpfter Mitarbeitender, der sich regelmäßig engmaschig testet, weniger gefährlich für vulnerable Gruppen ist als ein geimpfter, der ungetestet das Virus überträgt. Die möglichen Sanktionen sind dann im Rahmen der Mittelabwägung zu thematisieren.

Zwischenfazit

Es wird nicht reichen, wenn Gesundheitsämter allein darauf verweisen, dass das BVerfG festgestellt habe, dass die Regelungen nicht gegen das Grundgesetz verstoßen.

Besondere Umstände des Einzelfalls sind dem Gesundheitsamt gegenüber ausführlich darzulegen. Das Gesundheitsamt muss dabei das Ihnen eingeräumte Ermessen fehlerfrei und pflichtgemäß ausüben. Bereits aktuell sind erhebliche regionale Unterschiede zu verzeichnen.

Fristen für die Nachweis-Vorlage

Sowohl gegen das direkte Bußgeld als auch gegen die Betretungs- oder Beschäftigungsverbote können sich Betroffene mit fristgemäßem Widerspruch und einer Klage bei Gericht wehren und deren Rechtmäßigkeit im konkreten Einzelfall überprüfen lassen. Unter Umständen wird hier sogar ein Vorgehen im Eilverfahren notwendig, da die Anordnungen oft mit sofortiger Wirksamkeit gelten. Es ist damit zu rechnen, dass die zuständigen Behörden die Vorgaben zeitnah – wie bereits in der Presse angekündigt – umsetzen werden und Nachweise fordern werden. Dazu gibt es i. d. R. eine Frist.

Regelung befristet bis Ende 2022

Die Regelung zur Nachweispflicht über die Corona-Impfung, die in § 20a IfSG verankert ist, tritt dann am 01.01.2023 bereits wieder außer Kraft – es sei denn, der Gesetzgeber wird erneut tätig. Dass bis dahin rechtskräftige Entscheidungen vorliegen werden, ist unwahrscheinlich. Darüber hinaus wird weiter diskutiert, ob die einrichtungsbezogene Impfpflicht noch Zukunft hat und ggf. überprüft werden sollte. Die weitere Entwicklung bleibt aufmerksam zu beobachten.

Fazit

Sollten Praxen oder Kliniken in die Lage geraten, dass COVID-19-Impfnachweise seitens des Geundheitsamts verlangt werden, aber nicht vorgelegt werden können, so existieren auch nach dem BVerfG-Urteil durchaus Argumente, mihilfe derer einer Durchsetzung von Betretungs- und Tätigkeitsverboten ggf. entgegengetreten werden könnte.

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