„KI-basierte Modelle könnten helfen, gutartige von bösartigen Tumoren zu unterscheiden!“

Der Walter-Friedrich-Preis der Deutschen Röntgengesellschaft (DRG) ging in diesem Jahr an Priv.-Doz Dr. med. Lisa Adams. Die DRG würdigte damit die Evaluation neuartiger MRT-Verfahren. Das sind etwa die molekulare MRT oder die quantitative MRT in Kombination mit Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) zur bildgestützten Charakterisierung von Tumoren. Ursula Katthöfer ( textwiese.com ) sprach mit der Preisträgerin, die an der Berliner Charité und der Stanford University in Kalifornien forschte und nun in München am Klinikum rechts der Isar tätig ist.

Redaktion: Sie haben sich auf urogenitale Tumore spezialisiert. Um welche Krankheitsbilder geht es in Ihrer Forschung genau?

Dr. Adams: Ich widme mich mit großem Interesse der onkologischen Bildgebung, wobei mein Schwerpunkt auf urogenitalen Tumoren wie beispielsweise dem Nierenzell- und Prostatakarzinom liegt. Heutzutage gelten in der onkologischen Diagnostik Verfahren wie die Biopsie oder in einigen Fällen die Resektion als Referenzstandard.

Mit dem Ziel, die Charakterisierung dieser Tumore weiter zu verbessern, untersuche ich die Verschmelzung modernster MRT-Technologien mit innovativen Methoden der KI. Bislang ist es uns leider noch nicht möglich, mithilfe der Bildgebung eine Tumorgraduierung basierend auf der Metastasierung durchzuführen oder eine zuverlässige Vermutung auf einen Tumor-Subtyp abzuleiten. Ein übergeordnetes Ziel meiner Forschung ist der multimodale Ansatz, der nicht nur Bilddaten nutzt, sondern zusätzlich Informationen wie Laborwerte und Arztbriefe berücksichtigt, um eine auf den Patienten zugeschnittene Prognose erstellen zu können.

Redaktion: Wie kombinieren Sie diese MRT-Verfahren mit KI-Methoden?

Dr. Adams: Um detaillierte Bilder und präzise Messungen von Tumoren zu erstellen, beschäftige ich mich mit molekularen und quantitativen MRT-Verfahren. Diese Bilder und Messungen werden im nächsten Schritt mit Techniken des maschinellen Lernens, einem Kernbereich der KI, verbunden. Das Besondere an der quantitativen MRT ist, dass die Intensitätswerte verlässlich sind. In der normalen MRT schwanken die Intensitätswerte des gleichen Organs zwischen verschiedenen Scannern. In der quantitativen MRT ist dies nicht der Fall. Die Voxelwerte sind somit verlässlicher. Dies ist ungemein wichtig für KI-Modelle, da diese letztendlich mathematische Operationen auf Basis der Voxelwerte durchführen. Sich zu stark ändernde Voxelwerte würden die Ergebnisse dieser mathematischen Operationen verfälschen. Die quantitative MRT ermöglicht das Erstellen verlässlicher Modelle. Zudem verknüpfe ich in meiner Forschung experimentelle Erkenntnisse aus Tiermodellen mit klinischen Aspekten der KI-Forschung.

Redaktion: Was ist das Ergebnis Ihrer bisherigen Forschung?

Dr. Adams: Zum einen haben wir herausgefunden, dass KI entscheidend zur Erkennung von Prostatakrebs beitragen kann. Darüber hinaus ermöglicht die Kombination von quantitativer MRT mit Radiomics eine nicht-invasive Abschätzung des Gleason-Grads bei Prostatakarzinomen.

In einer weiteren Studie konnten wir vergleichbare Resultate für Nierenkarzinome erzielen. Hierbei stellten wir fest, dass sich mithilfe einer quantitativen MRT-Technik der histopathologische Grad dieser Tumore ebenfalls nicht-invasiv abschätzen lässt. All diese Ergebnisse stellen bedeutende Fortschritte in der onkologischen Bildgebung dar und öffnen neue Wege für weiterführende Forschungen.

Redaktion: Was bedeuten diese Ergebnisse für den klinischen Alltag?

Dr. Adams: Sie könnten den Weg für eine neue Generation von Diagnosewerkzeugen ebnen. So könnten die quantitativen MRT-Verfahren dazu beitragen, die Gewebscharakterisierung von Tumoren zu verbessern und zwischen verschiedenen Tumorgraden zu unterscheiden. Zurzeit experimentieren wir mit Kontrastmitteln, die sich zwar in extrazellulären Bereichen anreichern, jedoch nicht spezifisch binden, also wieder vollständig ausgeschieden werden können. Diese Kontrastmittel können dabei helfen, die extrazelluläre Matrix, welche z. B. eine wichtige Rolle in der Tumorgenese spielt, besser darzustellen.

Zusätzlich könnte die Schaffung von KI-gestützten, multimodalen Modellen zur Erkennung und Klassifikation von Tumoren, beispielsweise beim Nierenzellkarzinom, einen bedeutenden Beitrag leisten. Sie könnten dabei helfen, gutartige von bösartigen Nierentumoren zu unterscheiden und die Planung der Therapien zu optimieren. Somit eröffnet sich eine spannende Zukunftsperspektive für die Präzisionsmedizin.

Redaktion: Wie profitieren die Patienten davon?

Dr. Adams: Meine Idealvorstellung ist eine frühere und genauere Diagnose mithilfe der onkologischen Bildgebung. Insbesondere könnten gefährliche Subtypen von Karzinomen frühzeitig erkannt oder Biomarker identifiziert werden, die helfen, das Ansprechen auf eine Therapie anhand der Bildgebung besser zu beurteilen. Auch könnten die Patienten von einer individualisierten Therapie profitieren, die auf ihrer spezifischen Tumorklassifikation basiert. Eine weitere Vision wäre, Patienten mit gutartigen Tumoren unnötige invasive Eingriffe zu ersparen. Jede Therapie kann Nebenwirkungen haben. Wenn wir wüssten, welche Tumore gutartig sind oder nur sehr langsam wachsen, dann könnten Operationen insbesondere bei älteren und gebrechlicheren Patienten vermieden werden.

Redaktion: Sie haben auch an der Stanford University geforscht. Wie sind die wissenschaftlichen Bedingungen dort im Vergleich zu Deutschland?

Dr. Adams: Stanford hat sehr umfangreiche menschliche Ressourcen mit sehr vielen Mitarbeiten und Wissenschaftlern und eine beeindruckende Campuslandschaft. Tatsächlich ist das Gelände so weitläufig, dass man selbst mit dem Fahrrad etwa 20 Minuten benötigt, um den Campus zu durchqueren. Zudem zeichnen die US-Universitäten sich durch eine starke internationale Reputation und ihre interdisziplinäre Zusammenarbeit aus. Meine persönliche Erfahrung ist auch, dass Post-Docs stärker an die Universität angebunden sind als in Deutschland. Das bedeutet aber nicht, dass die Forschungsbedingungen in Deutschland schlechter sind. Trotz der größeren Infrastruktur in den USA hat auch Deutschland als Forschungsstandort durch gut ausgestattete Labore und Kliniken eine große Attraktivität. Deutsche Forschungseinrichtungen zeichnen sich durch qualitativ hochwertige Forschungsstandards, eine ausgeprägte Forschungstradition und eine enge Vernetzung innerhalb Europas aus. Beide Länder bieten also ein inspirierendes Umfeld für Spitzenforschung, jedoch mit verschiedenen Schwerpunkten und Stärken, die auf ihre Weise jeweils wertvoll sind.

Redaktion: Seit einigen Monaten sind Sie als Oberärztin am Klinikum rechts der Isar in München tätig. Wie setzen Sie Ihre Forschung fort?

Dr. Adams: Ich arbeite weiterhin an der Schnittstelle von onkologischer Bildgebung und Bioinformatik. Mein aktuelles Projekt konzentriert sich auf die Entwicklung eines auf KI basierenden, multimodalen Modells zur Detektion und Klassifikation von Nierentumoren. Ich bin dabei, eine umfassende Datenbank mit radiologischen Bildern von Patienten mit gutartigen und bösartigen Nierentumoren aufzubauen, die einen histopathologischen Referenzstandard enthält.

Redaktion: Der Bundeshaushalt 2024 ist ein Konsolidierungshaushalt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung erhält 20,3 Mrd. Euro und muss mit 5,4 Prozent weniger Geld auskommen als im Vorjahr. Fürchten Sie um Mittel für Ihre Forschung?

Dr. Adams: Als Wissenschaftlerin ist es natürlich immer eine Herausforderung, angemessene Mittel für Forschungsprojekte zu sichern. Die Kürzungen im Bundeshaushalt 2024 machen dies sicherlich nicht einfacher und der Wettkampf um Forschungsmittel wird sicherlich noch kompetitiver. Natürlich ist es verständlich, dass in der aktuellen Lage gespart werden muss. Dennoch würde ich mir wünschen, dass Forschung und Innovation weiterhin gefördert werden. Deutschland nimmt aktuell keine Vorreiterrolle bei der Digitalisierung ein. Weitere Kürzungen in Forschung und Bildung könnten Limitationen in diesem Bereich weiter verschärfen.

Trotzdem bin ich zuversichtlich, meine Forschung fortführen zu können. Letztendlich geht es hierbei nicht nur um Geld, sondern auch um den Reiz, Neues zu entdecken und vorhandene Technologien zu verbessern.

Redaktion: Wie ließen sich die wissenschaftlichen Bedingungen in Deutschland noch verbessern?

Dr. Adams: Ich hoffe auf eine intensivere Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen medizinischen und wissenschaftlichen Institutionen und auf eine verbesserte Verfügbarkeit von qualitativ hochwertigen, anonymisierten Patientendaten für die Forschung. Dies würde die Entwicklung von KI-Modellen und die Verbesserung der Diagnostik und Therapie von Tumoren erheblich erleichtern.

Es wäre auch wünschenswert, mehr Fördermittel für die Forschung und Entwicklung in den Bereichen KI und Medizin zur Verfügung zu haben. Mehrere Universitäten beginnen, spezielle Rechenzentren für KI aufzubauen. Diesen Schritt begrüße ich sehr. Allerdings sind die Kapazitäten noch lange nicht ausreichend, um neuartige Modelle wie z. B. die aktuell sehr relevanten Large Language Models zu trainieren. Wenn Deutschland hier relevante Innovationen liefern möchte, müssen die Investitionen in die KI-Infrastruktur weiter ausgebaut werden.

Weiterführende Hinweise