„Ohne Vergütung werden KI-Anwendungen zur Detektion die Ausnahme bleiben!“

Der Künstlichen Intelligenz (KI) eilt der Ruf voraus, dass sie in der Bildgebung besser befunde als das menschliche Auge. Auch die Therapie könne durch KI gezielter und individueller werden. Dennoch wird KI im Alltag vieler Kliniken und Praxen nicht selbstverständlich genutzt. Dr. med. Johannes Haubold, Oberarzt am Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie und Neuroradiologie des Universitätsklinikums Essen und dort Forscher am Institut für künstliche Intelligenz in der Medizin, beobachtet die Entwicklung seit Jahren. Ursula Katthöfer ( textwiese.com ) fragte ihn, wo KI sich bereits gut einsetzen lässt und wo es hakt.

Redaktion: Wo hat KI sich rückblickend in der Anwendung bisher durchgesetzt?

Dr. Haubold: Sie hat sich nirgendwo komplett durchgesetzt und es gibt immer noch nicht die Killeranwendung, die jeder Radiologe dringend braucht. Für mich war in den vergangenen Jahren die Frakturdetektion auf Röntgenbildern sehr beeindruckend. In diesem Anwendungsbereich funktionieren die Anwendungen mittlerweile sehr robust. Bei der Einführung der Software hatten wir initial ein paar Cases, bei denen wir retrospektiv feststellen mussten, dass wir eine Fraktur übersehen hatten. Gleichzeitig erkennt die Software manchmal Frakturen, die keine sind. Im Zusammenspiel zwischen Radiologen und Software können auf diesem Themengebiet die besten Ergebnisse für den Patienten erzielt werden.

Auf dem Themengebiet Sequenzbeschleunigung beim MRT hat sich in den letzten Jahren zudem viel getan. Die Akquise von MRTs des Kopfes kann mittlerweile deutlich vereinfacht werden. Man kann allerdings auf diesem Themengebiet bei weitem noch nicht davon sprechen, dass sich einzelne Anwendungen wirklich in der Breite der Radiologie durchgesetzt haben.

Redaktion: Die Radiologie hat sich von KI versprochen, Patienten besser zu priorisieren. Wie wird diese Chance genutzt?

Dr. Haubold: Bei Frakturen oder verschiedenen anderen Akutpathologien ist das heutzutage möglich. Doch wenn wir bestimmte Patienten priorisieren, riskieren wir, andere Patienten versehentlich indirekt herunterzupriorisieren. Deshalb reicht es nicht, einzelne Pathologien zu detektieren. Wir haben dies deshalb bisher noch nicht bei uns eingeführt.

Redaktion: Wie hat die Bildbearbeitung sich durch KI weiterentwickelt?

Dr. Haubold: Für mich ist das eines der spannendsten Themengebiete. Solange wir keine Erstattung durch die Krankenkassen bekommen, ist dies eines der wenigen Themengebiete, die auch aus einer wirtschaftlichen Perspektive sehr sinnvoll sein können. Wir können das Bildrauschen reduzieren und so Sequenzen bei gleicher Qualität schneller akquirieren und wir können einzelne Kontraste aus ein paar Grundsequenzen vorhersagen.

Wir sehen ein großes Engagement der Großgerätehersteller, dies in der klinischen Praxis umzusetzen und wir können die Technologie mittlerweile bei einzelnen Sequenzen und Untersuchungsregionen in der klinischen Praxis bereits heute nutzen.

Redaktion: Welchen Nutzen hat KI in Bezug auf Covid-19?

Dr. Haubold: Zur Hochphase von Covid-19 gab es zwar viele Studien, aber keine effektive Anwendung in der klinischen Routine. Denn die Zulassung solcher Anwendungen als Medizinprodukt dauert ihre Zeit. Doch Covid-19 hat die Forschung sehr beschleunigt, das empfinde ich als sehr positiv. So hat das Racoon-Projekt (Radiological Cooperative Network) als große multizentrische Studie viele Universitätskliniken miteinander vernetzt und für Plattformen zum Datenaustausch gesorgt.

Redaktion: Wie einfach ist es inzwischen, KI-Apps in bestehende Netzwerke zu integrieren?

Dr. Haubold: Die Frage ist immer, wie tief man sie in die eigene Softwareumgebung integrieren möchte. Will man diese einfach getrennt zum PACS-System öffnen oder will man, dass die Anwendung nativ im PACS läuft? Ersteres geht in der Regel sehr einfach, letzteres ist natürlich vom PACS abhängig und kann kompliziert werden.

Grundsätzlich kann man heutzutage über die vielfältigen App-Stores einzelne Anwendungen, zumindest getrennt zum PACS-System, sehr einfach integrieren. Leider haben wir allerdings bisher keinen dominanten App-Store, der alle Anwendungen abdeckt, sondern viele verschiedene kleine App-Stores, die nur eine gewisse Anzahl der Anwendungen anbieten. Bei der Integration einzelner Anwendungen außerhalb von App-Stores steigt der Anspruch sowohl an die IT als auch an die Rechtsabteilung.

Redaktion: Was müsste sich bei den Schnittstellen verbessern?

Dr. Haubold: Die offenen Kommunikationsstandards müssen besser von den Herstellern genutzt und integriert werden. FHIR (Fast Healthcare Interoperability Resources) ist mittlerweile fast allen Herstellern in der Szene ein Begriff und wird bei neu erscheinenden Softwarelösungen häufig zumindest oberflächlich einbezogen. Dies müsste allerdings viel umfänglicher umgesetzt werden. Eigentlich will man bei jedem Patienten bei der Befundung wissen, wie Laborwerte wie Krea, Infektwerte etc. aussehen oder welche Vorerkrankungen (ICD-10-Codes/Arztbriefe) der Patient hat. In Essen haben wir uns das mittlerweile über selbst programmierte Anwendungen auf der Basis unserer Smart Hospital Information Plattform ermöglicht. Die IT-Kapazität, so etwas umzusetzen, hat allerdings nicht jedes Zentrum und dies sollte auch wirklich nicht nötig sein, wenn die Hersteller die bestehenden Standards einfach tiefgreifender umsetzen würden.

Redaktion: Gibt es auch bürokratische Hindernisse?

Dr. Haubold: Ja, der größte Zeitfresser bei der Integration waren für uns vertragliche Fragen. Es hat am meisten Zeit gekostet, die Verträge richtig abzuschließen, den Datenschutz zu gewährleisten und dafür zu sorgen, dass Cloud-Anwendungen auf Servern in Deutschland liegen. Man benötigt hier einen engen Austausch mit der Rechtsabteilung und diese muss sich in dieses Themengebiet einfinden.

Redaktion: Von welchem Moment an sind KI-Apps wirtschaftlich?

Dr. Haubold: Es gibt keine Form der direkten Abrechnung. Man muss selbst Modelle entwickeln, um herauszufinden, wie sich etwas rechnet. Wenn MRT-Scans sich verkürzen, kann man deutlich mehr Patienten scannen. Dann ist es schnell wirtschaftlich. Bei allen anderen Anwendungen wird es komplizierter. Manche Hersteller versprechen, dass Akutpathologien mit KI schneller erkannt werden und sich der Aufenthalt in der Notaufnahme verkürzt. Doch da ist es schwierig, den genauen wirtschaftlichen Mehrwert zu berechnen. Am Ende des Tages muss man die Anwendung testen und selbst entscheiden, ob sie einem die Menge bzw. den Wert an Arbeit abnimmt, den man dafür bezahlt.

Redaktion: Wie sind die Auswirkungen auf Mitarbeitende wie MT-R?

Dr. Haubold: Das Scannen wird sich massiv verändern. Heutzutage muss man die Scan-Range beim Herz-MRT oft noch händisch festlegen. So etwas wird in Zukunft viel stärker automatisiert werden. Die Digitalisierung wird für MT-R ganz neue Konzepte bringen. Es wird deutlich vereinfacht werden, remote zu arbeiten. Gleichzeitig müssen wir allerdings die Attraktivität dieses Berufs anheben und mehr MT-R ausbilden. Die Digitalisierung kann bei beidem helfen. In unserer Abteilung können MT-R an einzelnen Tagen im Homeoffice arbeiten. Für das Gesundheitswesen ist dies im Vergleich zu vielen anderen Berufsgruppen ein absolutes Novum.

Redaktion: In welche Richtung entwickeln KI-Anwendungen sich aktuell?

Dr. Haubold: Eine Richtung auszumachen, ist sehr schwierig. Wir haben am Ende des Tages verschiedene Hersteller, die sich auf ganz unterschiedliche Richtungen fokussieren. Gleichzeitig steigt in der aktuellen Wirtschaftslage der Druck auf die Hersteller bei deutlich erschwerter Akquise des Fundings und weiterhin fehlender Abrechnungsziffer für solche Anwendungen. Ein neuer Trend ist für uns, dass einzelne Hersteller sich darauf fokussieren, möglichst alle für eine einzelne Untersuchungsregion relevanten Pathologien abzudecken, was ich persönlich als sehr positiv empfinde.

Redaktion: Wo sehen Sie Forschungsbedarf?

Dr. Haubold: Die meisten Studien spielen sich auf der Detektionsebene ab. Ich hingegen sehe wegen des hohen wirtschaftlichen Mehrwerts für die Radiologie bei der Bildbearbeitung die größten Aussichten. Zudem fokussieren die Studien sich oft auf die Evaluation einer einzelnen Anwendung. Bei der aktuellen Landschaft wären hier Vergleichsstudien verschiedener Anwendungen zu einem Themenfeld sinnvoll. Zu guter Letzt mangelt es etwas an Projekten zur Datenintegration.

Redaktion: Ihr Szenario für das Jahr 2033: Was erwarten Sie bis dahin von KI?

Dr. Haubold: Das ist sehr schwierig vorherzusagen. Das Scannen wird wahrscheinlich weiter automatisiert und teils remote ablaufen. Die MRT-Sequenzverkürzung wird deutlich ausgebaut werden, wir werden in Zukunft wahrscheinlich deutlich mehr Patienten pro MRT-Gerät scannen können. Auf der Detektionsebene ist die Einführung einer Abrechnungsziffer o. Ä. ein entscheidender Punkt, um zum Kick-off zu kommen. Wahrscheinlich werden 2033 vielfältige KI-Anwendungen zur Grundausstattung der PACS-Systeme gehören. Die Zukunft vorhersagen kann allerdings niemand. Wir sollten also gespannt bleiben, was die Zukunft bringt.

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