Die Abrechnung der IMRT-Behandlung – Ein Drama mit offenem Ende!

von RA, FA für ArbeitsR und MedizinR Dr. Tilman Clausen, armedis Rechtsanwälte, Hannover, armedis.de

Für Fachärzte für Strahlentherapie, die in größeren Berufsausübungsgemeinschaften häufig mit Radiologen, Strahlentherapeuten und Nuklearmedizinern zusammenarbeiten, ist die Abrechnung der intensitätsmodulierten Strahlentherapie (IMRT) in der privaten Krankenversicherung (PKV) in bestimmten Fällen problematisch. Während die meisten privaten Krankenversicherungen eine Abrechnung grundsätzlich akzeptieren, ist dies bei einer Versicherung aus Niedersachsen mit Hauptsitz in Lüneburg bislang nicht der Fall.

Betroffene Patienten haben das Nachsehen

Im Gegensatz zur überwiegenden Mehrheit der Konkurrenten orientiert sich die private Krankenversicherung aus Niedersachen bei der Abrechnung der IMRT nicht an den Abrechnungsempfehlungen des Vorstands der Bundesärztekammer (BÄK) vom 18.02.2011 und des Bundesverbands Deutscher Strahlentherapeuten (BVDST). Die Leidtragenden dieses Verhaltens sind die Patienten, die bei dieser privaten Krankenversicherung versichert sind und bei denen eine IMRT-Behandlung medizinisch indiziert ist. Sie bleiben seit Jahren auf erheblichen Beträgen aus den Rechnungen sitzen, die diese private Krankenversicherung nicht erstattet. Die Versicherung kalkuliert offensichtlich damit, dass viele Patienten

  • zu krank sind, um eine gerichtliche Auseinandersetzung zu suchen,
  • möglicherweise vor einem Prozess Angst haben oder
  • die mit derartigen Prozessen verbundenen Kosten scheuen.

Zudem könnte auch die Erwartung der Versicherung, dass die Ärzte ebenfalls davor zurückschrecken, ihre Patienten zu verklagen, eine Rolle spielen. Nach anonymen Quellen liegt die Quote der Versicherten dieser Krankenversicherung, die sich gegen die Nichterstattung ihrer Behandlungskosten gerichtlich zur Wehr setzen, derzeit bei ca. 20–30 Prozent.

Frage nach der Befangenheit

Die Prozessstrategie der privaten Krankenversicherung ist dabei nicht ungeschickt. So ist es ihr zeitweise gelungen, die Rechtsprechung dazu zu bringen, deutsche Sachverständige, die selbst die IMRT-Behandlung nach den Abrechnungsempfehlungen der BÄK und des BVDST abrechnen, als befangen abzulehnen. Dies sind praktisch alle bundesdeutschen Strahlentherapeuten mit der Folge, dass die Gerichte sich zeitweise um Sachverständige aus Österreich bemüht haben. Dieser Strategie hat der Bundesgerichtshof (BGH) vor Kurzem ein Ende gesetzt. Der BGH stellte fest, dass der Umstand, dass der gerichtlich bestellte Sachverständige im Rahmen der von ihm ausgeübten Tätigkeit gegenüber der Versicherungsnehmerin einer privaten Kranken-versicherung Behandlungsleistungen erbringt (IMRT-Strahlentherapie) und abgerechnet hat (hier: Nr. 5855 GOÄ analog), für sich allein noch nicht die Besorgnis der Befangenheit begründet. Vielmehr müssten andere Umstände für eine solche Besorgnis hinzutreten (Beschluss vom 06.06.2019, Az. III ZB 98/18).

Strategie: Entscheidungen vermeiden

Weiterhin versucht die private Krankenversicherung aus Niedersachsen seit Jahren, systematisch Entscheidungen höherer Gerichte (Oberlandesgericht [OLG], BGH) zu verhindern. Dazu nimmt die Versicherung entweder die von ihr selbst eingelegte Berufung zurück, um ein für sie negatives Urteil zu verhindern oder sie erkennt die Klageforderung des Patienten an, weil sich aus einem Anerkenntnisurteil keine weiterführenden Erkenntnisse ziehen lassen. Diese Strategie der Versicherung hat sich inzwischen zumindest bei einigen Oberlandesgerichten rumgesprochen, weshalb das OLG Celle jetzt einen eher seltenen Weg gewählt hat, der aber möglicherweise zu etwas mehr Klarheit führt und hilft, den Streit um die IMRT-Behandlung im Sinne von Patienten und Ärzten voranzubringen.

Normalerweise äußert sich ein OLG in der Berufungsinstanz erst zur Sache, nachdem beide Prozessparteien Gelegenheit hatten, ihre Sicht der Dinge vorzutragen, es sei denn, man kommt zu dem Ergebnis, dass die Berufung erkennbar unbegründet ist. Das OLG Celle hat nun sofort nach Vorlage der Berufungsbegründung vonseiten der behandelnden Ärzte, die an dem Verfahren beteiligt sind, seine Sicht der Rechtslage in einem ausführlichen Beschluss dargelegt. Das OLG wollte offensichtlich verhindern, dass die Beklagte die Forderung anerkennt, ohne dass sie Gelegenheit hat, sich zur Sache selbst zu äußern. Der Beschluss lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig:

  • Nach Meinung des OLG unterfällt die Abrechnung einer IMRT § 6 Abs. 2 GOÄ. Für die analoge Abrechnung sei die Nr. 5855 GOÄ heranzuziehen, da die IMRT und die Intraoperative Strahlentherapie (IORT) nach Art sowie Kosten- und Zeitaufwand gleichwertig sei.
  • Eine Abrechnung der IMRT, die sich an den Abrechnungsempfehlungen von BÄK und BVDST orientiert, sei für die ersten 30 Fraktionen nicht zu beanstanden, mit der Folge, dass hier sogar der 1,8-Fache Gebührensatz berechnet werden kann. Ab der 31. Fraktion könne höchstens das 1,3-Fache des Gebührensatzes angesetzt werden. Die Ärzte hatten in dem Fall, auf den sich der Beschluss bezieht, nur den einfachen Gebührensatz angesetzt und somit deutlich weniger abgerechnet.

Der Beschluss des OLG Celle soll den Instanzgerichten (Amts- und Landgerichten) im Oberlandesgerichtsbezirk Celle Orientierung geben (Beschluss vom 15.07.2019, Az. 8 U 83/19).

Konsequenzen für die Praxis

Die Krankenversicherung aus Niedersachsen kann es sich offensichtlich leisten, eine Vielzahl von Verfahren über die Abrechnung der IMRT-Behandlung zu führen und zumeist zu verlieren, weil immer noch zu wenig Versicherte die gerichtliche Auseinandersetzung suchen. Alle Patienten, die gegen die Nichterstattung der Behandlungskosten einer IMRT-Behandlung gerichtlich vorgehen wollen, sollten die Klage vor dem Amts- oder mit anwaltlicher Hilfe vor dem Landgericht Lüneburg einreichen, wo die Krankenversicherung ihren Sitz hat. Insbesondere das LG Lüneburg ist derzeit dazu übergegangen, in Verfahren über die Abrechnung der IMRT-Behandlung nur noch in Ausnahmefällen ein ärztliches Sachverständigengutachten einzuholen, dessen Kosten der Kläger zunächst vorstrecken müsste. Das LG ist der Auffassung, prinzipiell genügend Sachverständigengutachten für jede denkbare Fallkonstellation, bei der eine IMRT-Behandlung medizinisch indiziert sein könnte, vorrätig zu haben. So sinken die Kosten derartiger Verfahren. Zudem ist die Erfolgsquote hoch, weil das LG Lüneburg sich an der Rechtsprechung des OLG Celle orientiert.

Praxistipp

Die behandelnden Ärzte sollten daher erwägen, ihre Patienten bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung zu unterstützen.

 

Eine Unterstützung der Ärzte kann nicht darin bestehen, dass diese sich die Erstattungsansprüche der Patienten abtreten lassen, um die Krankenversicherung selbst zu verklagen, da § 6 Abs. 6 der Musterbedingungen der privaten Krankheitskostenversicherung (MB/KK) solche Abtretungen verbietet. Die Ärzte können allerdings ihre Patienten, wenn diese über keine Rechtsschutzversicherung verfügen, bei der Durchführung der Prozesse finanziell unterstützen, wobei empfohlen wird, in einem solchen Fall eine Vereinbarung zwischen Praxis und Patienten aufzusetzen, in der die Einzelheiten genau geregelt werden. Diese Vorgehensweise kann dazu dienen, wirtschaftlichen Druck aufzubauen, um die Versicherung aus Lüneburg zum Einlenken zu bewegen.