Zweit-Ehen leitender Ärzte ­katholischer ­Kliniken – nicht immer ein Kündigungsgrund

von RA Norbert H. Müller, FA für Arbeits- und Steuerrecht, c/o RAe Klostermann, Dr. Schmidt & Partner, Bochum

Auch bei katholischen Arbeitgebern ist die erneute Heirat eines leitenden ­Angestellten nicht immer ein hinreichender Grund, der eine Kündigung rechtfertigt. Zu diesem Schluss kam das Bundesarbeits­gericht (BAG) in einem Aufsehen erregenden aktuellen Urteil vom 8. September 2011 (Az:2AZR543/10). Im konkreten Einzelfall hob das BAG die Kündigung des Chefarztes auf, da keine ausreichende Interessenabwägung stattgefunden hat. Mit dieser Entscheidung des BAG ist die bisher gefestigte Rechtsprechung, die kirchlichen Arbeitgebern Sonderrechte einräumt, nunmehr zum einen bestätigt, zum anderen aber in einem ganz wesentlichen Punkt beschränkt worden.

Hintergrund: Die Sonderrechte für kirchliche Arbeitgeber

Das verfassungsrechtlich in Artikel140Grundgesetz i.V.m. Artikel 137 Weimarer Reichsver­fassung garantierte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen ermöglicht es kirchlichen Arbeitgebern, selbst festzulegen, welche Verhaltensweisen auch des privaten Bereichs ihrer Angestellten als schwerwiegender Verstoß gegen die Loyalitätspflichten und kirchliche Grundordnungen zu qualifizieren sind. Auch im 21. Jahrhundert besteht daher für kirchliche ­Arbeitgeber in Mitteleuropa die Möglichkeit, Mitarbeitern zu kündigen, wenn diese aus der Kirche austreten, eine kirchlich ungültige Ehe eingehen, eine nichteheliche Lebensgemeinschaft begründen, sich scheiden lassen oder wieder heiraten. Diese und ähnliche rechtskonforme Vorgänge können bei kirchlichen Arbeitgebern zum Verlust des Arbeitsplatzes führen, auch wenn ansonsten keinerlei irgendwie geartete Fehlverhalten/Versäumnisse existent sind.

Der Fall

Der kirchliche Arbeitgeber kündigte einem Chefarzt, nachdem sich die erste Ehefrau von diesem 2005 getrennt hatte und er – nach vorangegangener zweijähriger nichtehelicher Lebensgemeinschaft mit seiner jetzigen Ehefrau– im Jahre 2008 wieder standesamtlich heiratete.

Im Arbeitsvertrag des Chefarztes wurde ausdrücklich auf die Einhaltung der Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre unter Verweis auf die Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 23.September 1993 verwiesen. Zudem waren im Arbeitsvertrag konkret sowohl die nichteheliche Lebensgemeinschaft als auch eine kirchlich ungültige Ehe (Wiederheirat) als möglicher Kündigungsgrund benannt.

Die Entscheidung des BAG

Bereits die Vorinstanzen hatten die vom kirchlichen Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung für unwirksam erklärt und aufgrund der konkreten Einzel­umstände den kirchlichen Arbeitgeber zur Weiter­beschäftigung verurteilt. Im Rahmen der Revision hat das BAG die Entscheidungen der Vor­instanzen, insbesondere des LAG Düsseldorf, sowohl in der Sache als auch im Kern in der Begründung ausdrücklich bestätigt.

Auch wenn das BAG das verfassungsrechtlich garantierte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen bestätigt und damit akzeptiert, dass diese dem Grunde nach selbst bestimmen können, was als schwerwiegender Loyalitätsverstoß und damit als potenzieller Kündigungsgrund in Betracht kommt, betont das BAG ausdrücklich, dass dieses Selbstbestimmungsrecht im Kündigungsschutzverfahren „keinen Freifahrtschein“ darstellt.

Auch wenn der Chefarzt durch den Abschluss einer nach katholischem Verständnis ungültigen Ehe (standesamtliche Heirat nach vorangegangener Scheidung) einen nach kirchlichem Recht schwerwiegenden Loyalitätsverstoß begangen haben mag, müssen die Arbeitsgerichte auch in diesen Fällen die Interessen zwischen den Grundrechten der Kirchen und den Freiheitsrechten der Arbeitnehmer im Rahmen einer inpiduellen Interessenabwägung sorgfältig und umfassend abwägen. Damit ist erstmalig in der Bundesrepublik Deutschland bei einem Verstoß gegen kirchliche Grundsätze eines „leitenden Mitarbeiters“ zugunsten des Arbeit­nehmers die Kündigung für unwirksam erklärt worden.

Die wesentlichen Einzelumstände

Zugunsten des Chefarztes waren vorliegend im Kern drei Faktoren von erheblicher Relevanz:

  • Zum einen hat der kirchliche Arbeitgeber in der Vergangenheit als auch aktuell trotz gleichlautender Verträge mit anderen Chefärzten, egal ob katholisch oder evangelisch, die identische vertragliche Verstöße begangen haben, deren Verhalten nicht sanktioniert und keine Kündigungen aus­gesprochen. Nach Ansicht des BAG wurde hier mit zweierlei Maß gemessen.
  • Weiter war dem kirchlichen Arbeitgeber bereits lange vor der Kündigung wegen der Wiederheirat bekannt, dass der Chefarzt schon einige Jahre in einer nicht­ehelichen Lebensgemeinschaft mit seiner jetzigen Ehefrau lebt. Dies stellt nach dem Arbeitsvertrag einen gleichwertigen Verstoß gegen die Glaubens- und Sittenlehre der Kirche dar, ohne dass dieser Verstoß jedoch in irgendeiner Form in den zurückliegenden Jahren sanktioniert wurde.
  • Letztlich stelle zudem das Grundgesetz den Wunsch nach einer bürger­lichen Ehe auch ausdrücklich unter besonderen Schutz, womit die Wiederheirat des Arztes zum „innersten Bezirk seines Privatlebens“ gehöre und damit bei der Interessenabwägung ebenfalls zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen sei.

Auswirkungen für die Praxis

Das BAG bestätigt seine bisherige Rechtsprechung, wonach den kirchlichen Arbeitgebern auch weiterhin das Recht zukommt, selbst zu bestimmen, was als schwerwiegender Verstoß gegen die Glaubens- und Sittenlehre zu qualifizieren ist und dass derartige Verstöße durchaus auch zukünftig eine Kündigung rechtfertigen können. Wichtig ist jedoch, dass die in der Vergangenheit durchaus in verschiedenen Fällen etwas „lockere Handhabung“ der ausdrücklich notwendigen Interessenabwägung im Einzelfall als wichtiges Rechtsgut vom BAG bekräftigt wird.

Das BAG bestätigt nun, dass es bei allem Verständnis und bei aller ­Akzeptanz für die verfassungsrechtlichen Sonderrechte der Kirchen keinen Kündigungsautomatismus geben kann oder darf. Dies stärkt die Unabhängigkeit der Gerichte und vermeidet, dass diese bei Kündigungen durch kirchliche Arbeitgeber aufgrund von – generell verfassungsrechtlich anzuerkennenden – Loyalitätsverstößen nicht zu bloßen Vollzugs- und Bestätigungsorganen der kirchlichen Entscheidungsträger werden.

Damit hat das BAG exemplarisch auch für alle zukünftigen Fälle noch einmal ausdrücklich klargestellt, dass auch kirchliche Arbeitgeber sich potenzielle Kündigungsgründe „nicht in die Schublade legen können“, um diese je nach Bedarf später herauszuholen oder bei vergleichbaren (nicht identischen) Verstößen nicht dem einen kündigen und den anderen weiterbeschäftigen kann. Dies sind Rechtsgrundsätze, die im Kündigungsrecht grundlegende Bedeutung haben und denen mithin auch und gerade bei Kündigungen kirchlicher Arbeitgeber wegen möglicher Loyalitätsverstöße besondere Beachtung geschenkt werden muss. Hierdurch geht die Bedeutung dieser Entscheidung weit über den konkreten Einzelfall hinaus.

Fazit

Die grundlegende Problematik ist für eine sehr große Anzahl von Arbeitsverhältnissen von Bedeutung. Immerhin sind die Kirchen nach dem Staat der zweitgrößte Arbeitgeber Deutschlands. Für die dort Beschäftigten – insbesondere in leitenden Positionen – ist die Entscheidung des BAG äußerst erfreulich, da sie bei Kündigungen aufgrund von Loyalitätsverstößen eine angemessene Interessenabwägung fordert.