Zukunft der Radiologie? „Arzt bleiben!“

Die Radiologie hat in den letzten Jahren große Veränderungen erfahren. Entscheidungen können zunehmend evidenzbasiert und automatisiert getroffen werden. Radiologen erhalten validere Ergebnisse in kürzerer Zeit. Diana Runge M.A., „Ressourcen Detektiv“ und Chefarzt Coach ( dianarunge.de ), sprach mit Prof. Dr. Stefan Schönberg, Direktor des Instituts für Klinische Radiologie und Nuklearmedizin des Universitätsklinikums Mannheim, über Möglichkeiten und Grenzen der Digitalisierung in der Radiologie. Prof. Schönberg ist ehemaliger Präsident der Deutschen Röntgengesellschaft (DRG) (2017-2019) sowie wissenschaftlicher Beirat u. a. von Online-Diensten wie z. B. smart-radiology.com .

Redaktion: Mit welchen Herausforderungen beschäftigt sich die Radiologie aktuell?

Prof. Dr. Stefan Schönberg: Im Bereich der Diagnostik gibt es drei große Herausforderungen.

  • 1. Klinisch, bedingt durch die steigende Anzahl an Notfallpatienten, ist eine permanente Anwesenheit der Radiologen erforderlich. Der Notfallversorgung mit Schock- und Schlaganfallversorgung kommt daher eine zentrale Rolle zu.
  • 2. Die ärztliche Tätigkeit wird hoch wertgeschätzt, und erfordert eine 24/7-Präsenz, die durch die Zentrierung großer Krankenhäuser erfolgt. Dies führt zu neuen Arbeitszeitmodellen, die entgegen dem allgemeinen Trend noch mehr Präsenz außerhalb der üblichen Kernarbeitszeiten ermöglichen. Am Universitätsklinikum Mannheim haben wir deshalb extra einen neuen 24/7-Schichtdienst eingeführt.
  • 3. In die Diagnosen fließen große Datenmengen ein. Ärzte sind gezwungen, diese Daten in ihre Entscheidungen miteinzubeziehen. Digitale Systeme und Künstliche Intelligenz (KI) gleichen ein Bild mit vorhandenen Bildern bzw. Vorwissen ab und können binnen kürzester Zeit Diagnosen, die bereits hundertfach gestellt wurden, reproduzieren und angeben.

Redaktion: Welche strategischen Schwerpunkte gibt es?

Prof. Dr. Stefan Schönberg: Während in der Diagnostik Herausforderungen bestehen, ergeben sich zunehmend Chancen in der minimal-invasiven Therapie. Im Forschungscampus M2OLIE (Mannheimer Molecular Intervention Environment), einem durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungscampus-Projekt mit Partnern aus Industrie und Forschung, beschäftigen wir uns beispiels-weise mit innovativen robotischen Assistenzsystemen für eine präzisere Nadelführung bei der perkutanen Tumorablation. Gleichzeitig geht es darum, Wissen zu objektivieren, in den Befund strukturiert einzubinden und Unsicherheiten zu eliminieren. Hierzu zählt auch die Nutzung von Assistenten, die Berichte, Daten und Einschätzungen optimieren und strukturieren, sodass z. B. Konturen von Tumorverläufen besser erkannt werden können.

Redaktion: Inwieweit werden Online-Dienste für Radiologen angeboten?

Prof. Dr. Stefan Schönberg: Das Universitätsklinikum hat einen wissenschaftlichen Kooperationsvertrag beispielsweise mit dem 2014 gegründeten Online-Dienst smart-radiology.com abgeschlossen. Die radiologischen Befunde können mithilfe dieses Online-Dienstes strukturiert erstellt, anonymisiert in eine zentrale Datenbank gebracht und zukünftig auch wissenschaftlich ausgewertet werden. Radiologen können dort beispielsweise das von uns entwickelte Template „Prostata MRT“ kostenfrei nutzen.

Redaktion: Was schätzen die Nutzer an diesem Online-Dienst?

Prof. Dr. Stefan Schönberg: Radiologinnen und Radiologen sowie andere klinische Fachdisziplinen lieben objektiviertes Wissen. Es nützt den weniger erfahrenen Generalisten und kann auch sie zu Spezialisten machen. Die zunehmende Komplexität bzw. die steigende Zahl an Daten wäre sonst eine kaum zu bewältigende Herausforderung. Daten können so auch besser vernetzt und global genutzt werden. Neue Technologien und KI-Anwendungen werden auch für andere medizinische Fachdisziplinen zunehmend wichtiger.

Redaktion: Welchen Mehrwert bieten Cloud-basierte Online-Dienste den Radiologen?

Prof. Dr. Stefan Schönberg: Crowd Intelligence wird bisweilen überbewertet. Unstrukturierten Datenbanken fehlt häufig die objektive Erfassung und ein gezieltes Vorgehen mit qualitätsgesicherter Überprüfung der Daten. Befunde brauchen Struktur und benötigen annotierte Daten für die Objektivierung. Globales Wissen wird abgeglichen und in die eigene Entscheidung mit einbezogen. Computerprogramme können lernen, Diagnosen werden objektiver und sicherer.

Redaktion: Wie unterstützt KI den Radiologen?

Prof. Dr. Stefan Schönberg: KI ist hilfreich und unterstützt auf drei Ebenen:

  • 1. Prozessmanagement: gepflegt, strukturiert, iterativ überprüfend 
  • 2. Annotierte Daten: Algorithmen definieren, quantitative Analyse und qualitative Sicherung der Daten 
  • 3. Assoziative Intelligenz: Zusammenhänge und qualitative Umfänge evaluieren, ein bestmögliches Quali-tätsmanagement durchführen 

Nötig ist der Kontext zum Befund, Zusammenhänge zu verifizieren, neue Assoziationen zwischen Daten zu erstellen – transparent; einer Datenethik sowie Qualitätskriterien folgend.

Redaktion: Was ist wichtig für die Zukunft?

Prof. Dr. Stefan Schönberg: Zur Weiterentwicklung der KI ist ein Datenpool nötig, der qualitativ gesichert ist. Beispielsweise baut die Deutsche Röntgengesellschaft (DRG) in einer Public Private Partnership eine internationale Radiomics Plattform auf, die es Forschern ermöglicht, KI-Algorithmen auf Basis qualitätsgesicherter, anonymisierter, annotierter Datensätze für unterschiedliche radiologische Fragestellungen zu überprüfen.

Notwendig ist auch eine entsprechende Qualifizierung und Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Die DRG vermittelt Themen wie den Einsatz von KI z. B. im Rahmen ihres Nachwuchsprogramms „Forscher für die Zukunft“.

Redaktion: Welche Chancen eröffnen die neuen Technologien?

Prof. Dr. Stefan Schönberg: Ziel ist, durchgängige Methoden für die Diagnose und Behandlung der Patienten zu erarbeiten, um den Versorgungsaufwand zu optimieren und dem Arzt mehr Zeit für die Patientenzuwendung zu ermöglichen.

Mittels KI ist beispielsweise eine genauere Berechnung der Patientenpositionierung im CT-Scanner und der Applikation des Kontrastmittels möglich, die optimal an die Erfordernisse des Patienten angepasst werden kann. Die Analyse ist schneller, sicherer und effektiver.

Redaktion: Gibt es Risiken oder worauf sollte man achten?

Prof. Dr. Stefan Schönberg: Die Datenethik ist ein großes Thema. Es gilt, die bestehenden Datenschutzvorgaben einzuhalten und die Durchführung von Datenanalysen transparent und nach klaren Regeln durchzuführen. Digital Science und KI müssen als Prozess begleitet werden: überprüft, validiert, qualitätsgesichert – bis hin zu einer Zertifizierung, z. B. durch den TÜV. Ergebnisse sollten reproduzierbar sein und zu einer fortwährenden Optimierung beitragen. Es erfolgt distribuiertes Lernen. Intelligente Assistenten sind wichtig und hilfreich. Globale Referenzen können als Basis einbezogen werden. Letztlich entscheidet jedoch der Arzt.

Redaktion: Was empfehlen Sie den Radiologen in Klinik und Niederlassung für den Umgang mit den neuen Technologien?

Prof. Dr. Stefan Schönberg: Vor allem und an sich selbstverständlich: Arzt bleiben! Nicht nur Diagnostik anbieten. Ärztlich und therapeutisch tätig sein und dem Patienten Zuwendung geben. Wichtig ist auch, selbst in die Ausbildung zu gehen in der Informationstechnologie. Eine Nachwuchsakademie wird derzeit beispielsweise von der DRG geplant. Sich selber tiefer einarbeiten in die Informatik, neue Anwendungen und Hintergründe erlernen. Analysetools selbst beherrschen und so vom Nutzer zum Informations-„Knowlogist“ werden, das wären meine Empfehlungen mit Blick auf die zukünftige Entwicklung.