Unrechtmäßige Anordnung von Rufbereitschaft: Oberarzt erhält Bereitschaftsdienstvergütung!

von RA, FA für MedR, Wirtschaftsmediator Dr. Tobias Scholl-Eickmann, Kanzlei am Ärztehaus, Dortmund, www.kanzlei-am-aerztehaus.de

Das Arbeitsgericht Würzburg hat mit aktuellem Urteil vom 28. Februar 2012 (Az.: 3 Ca 519/11) einem Oberarzt recht gegeben, der sich gegen die Anordnung von Rufbereitschaft zur Wehr setzte, weil tatsächlich Bereitschaftsdienst geleistet wurde. Die beklagte Klinikkette könne nach den tariflichen Vorgaben nur Rufbereitschaft anordnen, wenn erfahrungsgemäß lediglich in Ausnahmefällen Arbeit anfällt. Hier wurde der Oberarzt aber in jeder Rufbereitschaft zu längeren Einsätzen angefordert. Krankenhaus-Radiologen, die Rufbereitschaftsdienste leisten, sollten prüfen, ob sie diese Entscheidung gegebenenfalls für sich nutzbar machen können.

Der Fall

Der klagende Oberarzt ist bei der beklagten Klinikkette beschäftigt. Er wurde regelmäßig zu „Rufbereitschaftsdiensten“ eingeteilt, während derer er jedoch jedes Mal zur Arbeit herangezogen wurde. Dabei handelte es sich auch nicht nur um Kurzeinsätze, sondern regelmäßig um Arbeitseinsätze, die weit über eine Stunde andauerten.

Nach der zugrunde liegenden tarif­lichen Regelung, die ähnlich auch in weiteren Tarifverträgen niedergelegt ist, kann Rufbereitschaft nur angeordnet werden, wenn die Arbeitsleistung „nur in Ausnahmefällen“ zu erbringen ist. Der Arzt argumentierte, mit dieser Beschränkung solle verdeutlicht werden, dass Arbeitnehmer während einer Rufbereitschaft im Grunde nicht zur Arbeit herangezogen werden, sondern im Wesentlichen die Zeit frei gestalten können.

Die Rufbereitschaft dürfe ferner auch nicht dazu dienen, die medizinische Versorgung von Patienten insbesondere in Notfällen sicherzustellen. Dazu hatte das Bundesarbeitsgericht bereits zur gleichlautenden alten Regelung im BAT entschieden, dass „Rufbereitschaft nur dann angeordnet werden darf, wenn Arbeit zwar gelegentlich anfallen kann, die Zeiten ohne Arbeitsanfall aber die Regel sind.“ Wenn aber mit dem Anfall von Arbeit zu rechnen sei, liege kein Ausnahmefall mehr vor (Urteil vom 31.1.2002, Az: 6 AZR 214/00).

Die Entscheidung

Diesem Vortrag schloss sich das ArbG Würzburg im Wesentlichen an. Wenn es regelmäßig in jedem Hintergrunddienst zu massiven Arbeitseinsätzen des diensthabenden Arztes komme, könne nicht mehr davon gesprochen werden, dass die Arbeit nur in Ausnahmefällen anfiele. Die Einsatzhäufigkeit des Oberarztes im vorliegenden Fall mache vielmehr deutlich, dass der Hintergrunddienst letztlich der Sicherstellung der ärztlichen Versorgung in Notfällen diene. Dies sei jedoch mit dem Wesen der Rufbereitschaft nicht vereinbar.

Rufbereitschaft muss Freiraum über Aufenthaltsort lassen

Diese Entscheidung reiht sich konsequent in die jüngere Rechtsprechung zu dieser Thematik ein. So hatte das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln am 13. August 2008 (Az: 3 Sa 1453/07) ebenfalls entschieden, dass Rufbereitschaft nur angeordnet werden kann, wenn dem Arzt ein reeller Freiraum über seinen Aufenthaltsort verbleibt. Eine Zeitvorgabe von weniger als 20 Minuten zwischen Abruf und Arbeitsaufnahme habe eine derart enge zeitliche und mittelbar auch räumliche Bindung des Arbeitnehmers zur Folge, dass dies mit dem Wesen der bei erfahrungsgemäß geringem Arbeitsanfall zulässigen Rufbereitschaft unvereinbar sei. Die von dem Arzt im dortigen Fall geleisteten Dienste seien daher als Bereitschaftsdienst anzusehen und entsprechend zu vergüten.

10 Minuten bis zum Eintreffen sind zu wenig

In der Folge hat auch das Arbeitsgericht Mainz (Urteil vom 21.6.2011, Az: 6 Ca 69/11) einem Anästhesisten, der insbesondere im Rahmen der Geburtshilfe und der dabei zu gewährleistenden sogenannten „EEG-Zeit“ von 10 Minuten das Krankenhaus aufsuchen müsse, bestätigt, dass bei einer derart knappen Zeitvor­gabe keine Rufbereitschaft vorliege und somit die geleisteten Dienste als Bereitschaftsdienst abzugelten sind. Eine derartige Einschränkung des Zeithorizonts schränke den Arzt in einer Weise räumlich ein, dass für die Dauer des Dienstes jegliche freie Freizeitgestaltung ausgeschlossen sei.

Wann wird aus Rufbereitschaft faktisch Bereitschaftsdienst?

Das ArbG Würzburg hatte nunmehr die Abgrenzung der Rufbereitschaft vom Bereitschaftsdienst unter einem anderen Blickwinkel zu prüfen. Die Kernfrage war, welches Maß an tatsächlicher Inanspruchnahme möglich ist, ohne dass aus einer angeordneten Rufbereitschaft faktisch Bereitschaftsdienst wird. Anders formuliert: Wann ist die Inanspruchnahme nur „lediglich ein Ausnahmefall“, wann ein Regelfall?

Hoffen auf vereinheitlichendes höchstrichterliches Urteil

Aufgrund der weitreichenden Bedeutung der Frage, wie die Tarif­regelung des „Arbeitseinsatzes lediglich in Ausnahmefällen“ auszulegen ist, ist überaus wahrscheinlich, dass die in erster Instanz unterlegene Klinikkette den Rechtsweg weiter beschreiten wird. Aus Gründen der Rechtssicherheit wäre eine vereinheitlichende höchstrichterliche Rechtsprechung zu dieser Frage in der Tat zu begrüßen: Aus der Praxis ist nämlich bekannt, dass viele Krankenhäuser eine weitreichende Auslegung der Rufbereitschaft vornehmen und dadurch die höheren Kosten des Bereitschaftsdienstes umgehen.

Praxistipp

Diese Entscheidungen sind für alle Ärzte – auch für Chefärzte, soweit sie gesonderte Vergütungen für geleistete Ruf- und Bereitschaftsdienste erhalten – von Bedeutung. Für die Vergangenheit sollten betroffene Ärzte, gegebenenfalls unter Berücksichtigung einschlägiger tariflicher oder vertraglicher Ausschlussfristen von meist sechs Monaten, eine nachträgliche Vergütung der Rufdienste als Bereitschaftsdienste schriftlich und nachweissicher geltend machen, um ihre etwaigen Ansprüche zu wahren.

Für die Zukunft sollte in einschlägigen Fällen der Anordnung von Rufbereitschaft schriftlich widersprochen und die Anordnung von Bereitschaftsdienst erbeten werden. Wird dieser Bitte nicht entsprochen, sollte der Dienst unter Vorbehalt erbracht und sodann die Differenzvergütung unter Hinweis auf die dargestellte Rechtsprechung geltend gemacht werden.