„Radiologen der Bundeswehr sind immer auf einen Auslandseinsatz vorbereitet!“

Das Bundeswehr-Zentralkrankenhaus in Koblenz ist das älteste und größte Bundeswehrkrankenhaus Deutschlands. Mit 506 Betten versorgt es militärische und zivile Personen. Es gehört zu den fünf notfallmedizinischen Zentren in Rheinland-Pfalz. Die Klinik VIII – Radiologie und Neuroradiologie bietet alle konventionellen radiologischen und neuroradiologischen Untersuchungen mit Ausnahme der Mammografie an. Oberstarzt Dr. Stephan Waldeck leitet die Klinik. Er stand Ursula Katthöfer ( textwiese.com ) Rede und Antwort.

Redaktion: Worin unterscheidet die Klinik VIII sich von anderen radiologischen Abteilungen?

Dr. Stephan Waldeck: Wir sind ein Krankenhaus der Maximalversorgung. Zivile Patienten machen einen Anteil von 80 Prozent, Soldaten einen Anteil von 20 Prozent aus. Der größte Unterschied zu zivilen Häusern ist der traumatologisch-interventionelle Schwerpunkt. Wir versorgen z. B. Schwerstverletzte von Verkehrsunfällen mit Polytrauma und auch repatriierte polytraumatisierte Soldaten (z. B. nach Sprengverletzungen). Die Verletzungsmuster ähneln denen, die wir bei Auslandseinsätzen sehen könnten. Diese Patienten sind sehr pflege-, ressourcen- und dementsprechend kostenintensiv, sodass andere Häuser sie ungern versorgen. Wir hingegen haben eine Schwerstverletzungsarten-verfahren(SAV)-Zertifizierung. Für uns gilt: Je komplexer das Trauma eines Patienten, desto besser können wir uns auf Auslandseinsätze vorbereiten.

Redaktion: Wie sorgen Sie dafür, dass Radiologen der Bundeswehr ständig fit für Auslandseinsätze sind?

Dr. Stephan Waldeck: Wir handeln nach dem Motto „Train as you fight“, arbeiten also im In- und Auslandseinsatz immer gleich. Als der Ukraine-Krieg begann, wurde ein ultramobiler und ultramoderner CT-Container beschafft. Wir rechneten jeden Moment mit der Verlegung. Doch die Politik entschied anders. Dann war der Container für Mali vorgesehen. Wir haben in der Notaufnahme daran geübt und MTRA, die der Bundeswehr angehören, daran ausgebildet. Die Technik ist so schnell und die Röhren sind so gut, dass CTs das ideale Polytraumainstrument für die medizinische Erstbewertung sind. Wir scannen und sehen sofort, was wir tun müssen. So können wir die am schwersten Verletzten herausfiltern. Es sind auch technische Details zu beachten. Damit das Gerät in Krisengebieten funktioniert, darf es nicht zu schwer sein und zu viel Strom verbrauchen. Wegen des feinen Wüstensandes in einigen Einsatzgebieten braucht es eine spezielle Klimaanlage. Ich bin stolz darauf, dass der CT-Container 5G-fähig ist. In Koblenz können wir über 5G Daten aus aller Welt bekommen. Das hat drei Vorteile: Erstens archivieren wir ohne Festplatten. Zweitens können MTRA im Inland ihre Kollegen im Ausland per Live-Support unterstützen. Und drittens können wir bei einem Massenanfall von Patienten unsere Leistung hochskalieren, indem Radiologen sich von Deutschland aus live einwählen und Patienten im Ausland befunden. So stellen wir sicher, dass das Gerät am Einsatzort weiter läuft.

Redaktion: Die Bundeswehr führt die Enhanced Forward Presence in Litauen, um die Ostflanke der NATO zu sichern. Welche Aufgaben haben Radiologen dort?

Dr. Stephan Waldeck: Ich sehe uns in der Diagnostik und in der Logistik. Zu Beginn des Ukraine-Kriegs wurde mit Tausenden Schwerverletzten täglich gerechnet. Da kann man nicht mit Ärzten am Bahnhof stehen und gucken, wer kommt, sondern muss sich logistisch gut vorbereiten. Der Fall ist so nicht eingetreten, doch sind wir darauf vorbereitet, dass die Radiologie bei der Verteilung dieser Patienten eine Schlüsselrolle spielen kann. Es ist wichtig zu wissen, wo Patienten am besten versorgt würden. Menschen mit kleineren Brüchen könnten in ein Landkrankenhaus, Menschen mit Polytraumata müssten zu einem Maximalversorger. Da sähe ich unsere Primäraufgabe.

Redaktion: Ist zivilen Radiologen bewusst, was Radiologen bei der Bundeswehr tun?

Dr. Stephan Waldeck: Die Radiologie hat sich für einen Massenanfall noch nicht aufgestellt. Nicht nur im Krieg, auch bei einem Terroranschlag kann es viele Verletzte geben. Wenn alles gut geht, verankern wir in der Deutschen Röntgengesellschaft im nächsten Jahr eine Arbeitsgemeinschaft, damit wir Szenarien für diese Situationen entwickeln können.

Redaktion: Die Bundeswehruniversitäten in München und Hamburg bieten kein Medizinstudium an. Woher kommt der radiologische Nachwuchs Ihrer Abteilung?

Dr. Stephan Waldeck: Es gibt zwei Wege: Einige beginnen das Medizinstudium zivil an einer deutschen Universität und kommen im Laufe dessen zur Bundeswehr. Ich bin beispielsweise nach dem Physikum eingestiegen. Andere nehmen über das Personalamt der Bundeswehr am Auswahlverfahren teil, werden Soldat und erhalten einen Studienplatz aus dem Kontingent, das die Bundeswehr an einigen medizinischen Fakultäten hat. Wer den geforderten Numerus Clausus nicht hat, kann auf diese Weise Glück haben und einen Medizinstudienplatz bekommen.

Redaktion: Spüren Sie den Ärztemangel auch bei der Bundeswehr?

Dr. Stephan Waldeck: Nein, unsere Herausforderung ist eine andere: Die Bundeswehr ist kein regulärer Arbeitgeber. Sie finanziert das Studium, um in Minimalzeit Fachärzte für Auslandseinsätze zu gewinnen. Doch wenn es darum geht, irgendwo Truppenarzt zu werden, stehen viele dem ablehnend gegenüber. Diese Kollegen vergessen, dass die Bundeswehr einen internationalen Auftrag hat.

Redaktion: Ist das medizinische Personal Ihrer Abteilung eher zivil oder militärisch?

Dr. Stephan Waldeck: Wir haben MTRA mit und ohne Schulterklappe. Im Falle eines Auslandseinsatzes erfüllen unsere MTRA in Uniform einen hoheitlichen Auftrag. Doch das Krankenhaus in Koblenz wird deshalb ja nicht geschlossen. Das zivile Personal bleibt vor Ort und stellt sicher, dass das Krankenhaus 24/7 funktioniert.Bei MTRA spüren wir den Fachkräftemangel sehr. MTRA, die nachts einen Schlaganfallpatienten versorgen, bekommen genauso viel Geld wie Wachen, die nachts am Zaun stehen. In diesen veralteten Strukturen wird die Leistung nicht honoriert. Wenn wir den Lohn für Nachtdienste bei den MTRA beispielsweise verdreifachen würden, könnten wir die Nachtdienste bald sicher besetzen.

Redaktion: Wie steht Ihr Team zu zivilen Einsätzen wie z. B. während der Coronapandemie und bei der Flutkatastrophe im Ahrtal?

Dr. Stephan Waldeck: Für mich ist ein Patient ein Patient, ob er eine Uniform trägt oder nicht. Wir haben in der ersten Phase der Pandemie viele italienische Patienten versorgt. Ganze Stationen wurden geschlossen und zu Coronastationen umgewidmet. Während der Flutkatastrophe haben wir das Krankenhaus in Alarmbereitschaft versetzt und auf einen Massenanfall von Verletzten vorbereitet.

Wenn wir uns um Soldaten kümmern, spüren alle die Kameradschaft. Als Ärzte tragen wir bewusst Uniform. Denn so erkennt ein verletzter Soldat sofort, dass der Arzt die emotionale Komponente seiner Kriegsverletzung versteht. Das gibt Sicherheit. Im Gegensatz zu zivilen Häusern sind wir nicht in so hohem Maße dem Kostendruck des zivilen Gesundheitssystems ausgesetzt. Wir sind technisch sehr gut ausgestattet. Soldaten müssen von Ärzten der Bundeswehr behandelt werden, sie haben keinen unmittelbaren Zugang zum zivilen Gesundheitssystem. Wenn sie nicht die freie Wahl haben, dann sollen sie wenigstens auf höchstem Standard versorgt werden.

Redaktion: Stichwort Kostendruck. Zivile Krankenhäuser brauchen jeden Patienten. Spüren Sie in der Radiologie den Wettbewerb zwischen zivilen und militärischen Häusern?

Dr. Stephan Waldeck: Nein. Wir helfen. Wir übernehmen z. B. Schlaganfalldienste aus einem anderen Koblenzer Krankenhaus, damit kein Versorgungsproblem entsteht. Doch ist unser Auftrag nicht regional, sondern überregional. Der Bund kann theoretisch von heute auf morgen bestimmen, dass wir keine Zivilpersonen mehr behandeln, sondern z. B. nur noch Ukrainer. Deshalb haben wir gar nicht den Anspruch wie zivile Häuser, dass die Arbeit sich rechnen muss.

Redaktion: Können Sie uns ein Beispiel für die gute Ausstattung nennen?

Dr. Stephan Waldeck: Wir haben schon vor der Markteinführung eine Photon Counting Detektor CT betrieben und sind weltweit die einzigen, bei denen Siemens Healthineers das neue Naeotom Alpha im Schockraum installiert hat. Das Trauma ist unser Forschungsansatz. Endlich haben wir das gesamte Energiespektrum. Naeotom Alpha ist ein 384-Zeiler mit zwei Röhren à 192 Zeilen. Bei diesem Spektrum kann man zwischen 40 und 190 Kiloelektronenvolt (keV) virtuell visualisieren. Gehen wir mit der keV-Zeit ganz weit runter, bekommen wir ein blutungssensitives Bild – wenn auch stark überstrahlt. Doch so wissen wir sofort, wo Blutungen zu stillen sind. Gehen wir mit der keV-Zeit hoch, wird das Bild fraktursensitiv. Diese differenzierten Bilder werden zukunftsnah auch für Künstliche Intelligenz wertvoll sein, weil sie für mathematische Algorithmen viel einfacher aufzulösen sind als Mischbilder. Darin sehe ich die Zukunft. Das ist ein Technologiesprung wie von der Einzeiler-CT zur Spiral-CT.

Redaktion: Wo sehen Sie Ihre Abteilung in zehn Jahren?

Dr. Stephan Waldeck: In unserem neuen Krankenhausgebäude, in das wir hoffentlich Ende 2025 einziehen können. Neben Radiologie und Neuroradiologie werden wir mit der interventionellen Radiologie eine zusätzliche Sektion haben. Die reine Bildgebung reicht nicht für das Krankenhaus und erst recht nicht für die Bundeswehr. Noch ist die Therapie in unserem Fachbereich nicht fest genug verankert. Doch auch Radiologen müssen heilen wollen, also z. B. eine Blutung stillen, bevor der Chirurg den Patienten sieht. Im neuen Krankenhausgebäude werden wir Schockräume von mehr als 100 Quadratmetern haben, die mit allem ausgestattet sind. So müssen Schwerstverletzte den Raum von der Diagnostik bis zur Endversorgung nicht mehr verlassen. Denn es sind die Wege, die die Mortalität erhöhen.