LAG Berlin-Brandenburg bejaht Überleitung der Chefarztvergütung auf den TV-Ärzte

von Rechtsanwältin Dr. Ulrike Tonner, Rechtsanwälte Wigge, Münster, www.ra-wigge.de

Die Frage der Überleitung der Festvergütung der Chefärzte auf den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) bzw. den TV-Ärzte beschäftigt seit längerem eine Vielzahl von Arbeits- bzw. Landes­arbeitsgerichten. Eine abschließende Entscheidung durch das Bundesarbeitsgericht (BAG) bleibt weiter abzuwarten. Nun gibt es eine neue positive Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Berlin-Brandenburg vom 19. Januar 2010 (Az: 19 Sa 1681/09). Das Gericht spricht dem klagenden Chefarzt eine Überleitung in den für ihn günstigeren TV-Ärzte zu. Die Entscheidung zeigt aber auch, wie vielfältig und entscheidend die Ausgangslage für die Beurteilung dieser Rechtsfrage ist.

Sachverhalt und Urteilsgründe

Der Entscheidung liegt eine Vergütungsvereinbarung zugrunde, die bislang eine Chefarzt-Festvergütung entsprechend der Vergütungsgruppe I des BAT-West vorsah. Die Parteien streiten darüber, ob mit Wegfall des BAT diese Vergütungsregelung lückenhaft geworden ist. Der Chefarzt meint, zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses sei die tarifliche Entwicklung mit einer Aufsplittung in den TVöD und den TV-Ärzte nicht vorhersehbar gewesen. Für ihn würde die günstigere Regelung – also eine Vergütung nach der Entgeltgruppe IV des TV-Ärzte – gelten. Der beklagte Krankenhausträger hält an der Vergütung nach Vergütungsgruppe der I BAT-West fest.

In erster Instanz hat das Arbeitsgericht Brandenburg dem Chefarzt eine Vergütung nach der VergütungsgruppeIV des TV-Ärzte zugesprochen. Die vom Chefarzt geltend gemachten Vergütungsdifferenzansprüche für den Zeitraum vor Oktober 2007 hat das Gericht aufgrund eingetretener Verfristung abgewiesen. Das LAG Berlin-Brandenburg hat dieses erstinstanz­liche Urteil in seiner Entscheidung in vollem Umfang bestätigt.

Welcher Tarifvertrag gilt nach Wegfall des BAT?

Nach Auffassung des LAG Berlin-Brandenburg ist für die Frage, welcher der beiden Tarifverträge nach Wegfall des BAT nun gilt, primär die Auslegung der Vergütungsklausel maßgeblich. Dabei handele es sich um eine allgemeine Geschäftsbedingung (AGB) im Sinne von § 305 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Dem Wortlaut der hier streitigen Vergütungsregelung zufolge hätten die Vertragsparteien eine zeitdynamische Vergütungsklausel vereinbart, wonach eine Vergütung nach der jeweiligen Fassung der Vergütungsgruppe I BAT zu zahlen sei. Diese Vergütungsregelung sei seit Wegfall des BAT gegenstandslos und daher unanwendbar geworden. Anders als in vergleichbaren Fällen hätten die Vertragsparteien nicht geregelt, die Vergütungsregelung des BAT-West durch die Regelung eines anderen den BAT ersetzenden Tarifvertrags abzulösen. Folglich käme es nicht darauf an, ob nun der TVöD oder der TV-Ärzte an die Stelle des BAT getreten sei.

Die streitige Vergütungsregelung weise eine Regelungslücke auf, die auch nicht im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung geschlossen werden könne. Voraussetzung dafür sei, dass der Vertrag bzw. die bisherige Vertragspraxis Anhaltspunkte dafür erkennen ließe, was nach hypothetischem Parteiwillen vereinbart worden wäre, wenn die Regelungslücke bekannt gewesen wäre. Dies sei hier nicht der Fall.

Einfluss der „Unklarheitenregelung“ auf die Vergütungsfrage

Aufgrund dessen sei in einem solchen Fall die sogenannte „Unklarheitenregelung“ anzuwenden. Diese gilt immer dann, wenn die Auslegung einer AGB mindestens zwei Ergebnisse als vertretbar erscheinen lässt, von denen keines den klaren Vorzug verdiene. Hinsichtlich der hier streitigen Grundvergütung des Chefarztes gelte die Entgeltgruppe IV des TV-Ärzte, da dies die für ihn günstigere Entgeltgruppe gegenüber der hier ebenfalls infrage kommenden Entgeltgruppe 15 Ü des TVöD darstelle.

Fazit und Praxishinweise

Das Urteil des LAG Berlin-Brandenburg reiht sich in die Liste von Urteilen ein, die fast ausschließlich zugunsten der Chefärzte verliefen. Allerdings wurde auch gegen dieses Urteil beim BAG Revision eingelegt. Trotz der vielen positiven Entscheidungen für den Chefarzt zeigt das Urteil, dass sich aufgrund der Vielfalt der möglichen Vertragsklauseln immer wieder neue Einzelfallprüfungen ergeben werden. Unabhängig davon ist daher zu empfehlen, zügig außergerichtlich eventuell bestehende Vergütungsdifferenz­ansprüche schriftlich gegenüber dem Krankenhausträger geltend zu machen, um eine Verjährung der Ansprüche wegen der tarifvertraglichen sechsmonatigen Ausschlussfrist zu verhindern.