EuGH: Recht auf Urlaubsabgeltung bei nicht verbrauchtem Urlaub

von Norbert H. Müller, RA und FA für Arbeits- und Steuerrecht, c/o RAe Klostermann, Dr. Schmidt & Partner, Bochum

Angestellte und somit auch Krankenhausärzte, die vor dem Eintritt in den Ruhestand bis zur Beendigung ihres Beschäftigungsverhältnisses aus Krankheitsgründen ihren Urlaub nicht verbrauchen konnten, haben einen Anspruch auf finanziellen Ausgleich für diesen nicht verbrauchten Urlaub. Wer folglich krankheitsbedingt bis zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses nicht mehr die Möglichkeit hat, seinen Jahresurlaub zu verbrauchen, hat einen Anspruch auf Abgeltung auf der Basis des vergleichsweise für diesen Zeitraum zu zahlenden Arbeitsentgelts. Zu diesem Urteil kam der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 20. Januar 2009 (Az: C 350/06 und C 520/06). Diese Entscheidung bedeutet eine Abkehr von der bisherigen Praxis in Deutschland, die in solchen Fällen keinen Anspruch auf Urlaubsabgeltung vorsieht.

Die bisherige Praxis

Nach dem Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) und entsprechender tarifvertraglicher Regelungen ist das Urlaubsjahr das Kalenderjahr. Dies hat zur Folge, dass der Krankenhausarzt seinen Urlaub innerhalb des jeweiligen Kalenderjahres in Anspruch nehmen muss, da er anderenfalls verfällt. Tarifverträge sehen längere Übertragungszeiträume in das erste bis dritte Quartal des Folgejahres vor. Nur in den Fällen, in denen der Arbeitgeber einen beantragten Urlaub aufgrund dringender betrieblicher Hinderungsgründe nicht genehmigt hatte, erfolgte eine weitere Prolongierung des Urlaubsanspruchs oder eine Umwandlung in einen Urlaubsabgeltungsanspruch des Arbeitnehmers.

Konnte ein Arbeitnehmer seinen Jahresurlaub krankheitsbedingt nicht innerhalb des Jahres bzw. des tarifvertraglichen Übertragungszeitraumes verbrauchen, erloschen bislang nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts seine Ansprüche auf Abgeltung der Urlaubsansprüche.

Die neue Situation nach dem EuGH-Urteil

Der EuGH hat diese gefestigte Rechtsprechung und die zugrunde liegenden nationalen Rechtsvorschriften mit Artikel 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG für nicht vereinbar erklärt. Dies hat zweierlei Konsequenzen:

1. Ein für längere Zeit erkrankter Arbeitnehmer, der seinen Urlaub nicht in Anspruch nehmen kann, hat nun die Möglichkeit, während der krankheitsbedingten Abwesenheit Urlaub zu beanspruchen.

2. Er kann aber auch die Urlaubsabgeltung in Anspruch nehmen, wenn er allein krankheitsbedingt den Urlaub nicht nehmen kann und anschließend – krankheitsbedingt oder wegen Erreichens der Altersgrenze – aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet.

Die erste Variante ist insbesondere dann interessant, wenn die Ansprüche des Krankenhausarztes während länger andauernder Krankheit über die Krankenversicherung oder private Vorsorge nicht ausreichend sind. In diesem Fall müsste dann für den Zeitraum eines während der Krankheit zu erteilenden Urlaubs die Urlaubsvergütung – das gewöhnliche Arbeitsentgelt des Krankenhausarztes – fortgezahlt werden.

Im zweiten Fall ist nach Ausscheiden der gesamte nicht verbrauchte Urlaub auf der Basis des für diese Zeiträume gewöhnlich zu entrichtenden Arbeitsentgelts dem Krankenhausarzt zu vergüten.

Dass zwischenzeitlich unter Umständen viele Jahre verstrichen sind und jegliche gesetzlichen und/oder tarifvertraglichen Übertragungszeiträume abgelaufen sind, darf dem nach dem Urteil des EuGH nicht entgegenstehen. Anders als bisher muss folglich der nicht genommene Jahresurlaub am Ende des Arbeitsverhältnisses finanziell abgegolten werden. Der erworbene Urlaubs­anspruch verfällt nicht mehr durch Zeitablauf, wenn der Hinderungsgrund in der fortlaufenden Krankheit des Krankenhausarztes liegt.

Besonderheiten

Gleichzeitig ergibt sich aus der Entscheidung wohl auch, dass Vorstehendes nicht nur für bereits erworbene Urlaubsansprüche gilt, sondern dass der Krankenhausarzt während der krankheitsbedingten Abwesenheit auch weitere Urlaubsansprüche erwirbt, die dann mit der Beendigung – so sie mangels Krankheit nicht genommen werden konnten – abzugelten sind. Auch die Entstehung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub darf nach der EuGH-Entscheidung nicht von irgendeiner weitergehenden Voraussetzung abhängig gemacht werden.

Der langjährig vor seinem Ausscheiden erkrankte Krankenhausarzt erwirbt hiernach auch ohne konkrete Tätigkeit einen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, den er dann nach Beendigung der Beschäftigung finanziell abgegolten erhält. Ob dies mit dem Sinn des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub, dem Arbeitnehmer eine Erholung zu ermöglichen, in Einklang zu bringen ist, mag dahinstehen.