„Die Unterfinanzierung ist die Hauptursache für lange Wartezeiten in der Radiologie!“

Wer sich zum CT oder MRT bei einer radiologischen Praxis anmeldet, muss lange Wartezeiten in Kauf nehmen. Zu lange Wartezeiten, meint die RadiologenGruppe 2020 (RG20), ein deutschlandweiter Verbund radiologischer und nuklearmedizinischer Praxen. Dr. Christoph Buntru, Facharzt für Radiologie sowie Geschäftsführer und Gesellschafter der Xcare Gruppe in Saarlouis, ist stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der RG20. Er sprach mit Ursula Katthöfer (textwiese.com).

Redaktion: Um welche Wartezeiten und welche Diagnostik geht es?

Dr. Buntru: Das größte Problem sind Wartezeiten bei der kurativen Mammografie. Hier handelt es sich um symptomatische Patientinnen. In Niedersachsen und Bayern müssen sie sechs bis acht Monate auf einen Termin warten. Dazu kommen gravierende Engpässe bei der Schnittbilddiagnostik, die nicht nur Menschenleben kosten können, sondern auch unnötige Kosten im Gesundheitswesen verursachen. Für bestimmte MRT-Untersuchungen wie z. B. des Abdomens müssen Patienten in immer mehr Bundesländern oft mehrere Monate auf einen Termin warten.

Redaktion: Mit welchen Folgen?

Dr. Buntru: Betroffen sind oftmals Patienten, bei denen eine Tumorerkrankung ausgeschlossen werden soll und bei denen die Dringlichkeit der Abklärung nicht bereits durch stärkere Symptome erkennbar ist. Bei ihnen kann eine verspätete Diagnose zu einer verzögerten Operation oder konservativen Behandlung führen. Das sind keine Einzelfälle. Auch hinter geringeren Beschwerden verstecken sich leider manchmal ernsthafte Diagnosen. Wir betreiben in der Medizin einen Riesenaufwand, um genau die Patienten herauszufiltern, die ohne Frage behandelt werden müssen. Dann müssen wir auch rechtzeitig diagnostizieren. Ein früh erkannter Tumor hat extrem gute Heilungschancen. Geschieht dies nicht, kommt es zu negativen Krankheitsverläufen, wie wir sie jetzt nach der Coronapandemie sehen. Ich gehöre mehreren Tumorboards an und erlebe eine Welle von Patienten mit fortgeschrittenem Tumorstadium. Es bleibt festzuhalten: Die Radiologie ist systemrelevant.

Redaktion: Der Fachkräftemangel in den Niederlassungen ist eine Ursache des Problems. Aber wie wirkt sich der Fachkräftemangel in den Krankenhäusern auf die Praxen aus?

Dr. Buntru: Wenn lange Wartezeiten entstehen, würde man die Gerätezeiten ausweiten. Das ist nicht möglich, weil Fachkräfte, insbesondere MTAs fehlen. Der Wettbewerb zwischen Niederlassungen und Krankenhäusern verschärft sich, wobei wir als Praxen die oftmals höheren Gehaltsangebote der Krankenhäuser nicht mehr mitgehen können.

Jetzt drohen hohe Tarifabschlüsse, die ärztliche Leistung wird hingegen nicht besser vergütet. Die Budgets und damit verbundene Quotierungen führen zu einem Preisverfall bei radiologischen Leistungen, der die Wirtschaftlichkeit von längeren Gerätelaufzeiten auch angesichts der steigenden Energiekosten unmöglich macht. Gleichzeitig verlagern die Krankenhäuser wegen des Fachkräftemangels und des wirtschaftlichen Drucks radiologische Untersuchungen in den ambulanten Bereich. Das ist ein klassischer Teufelskreis.

Redaktion: Die Deutsche Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (DEGUM) hat kürzlich eine S2e-Leitlinie veröffentlicht, aus der hervorgeht, in welchen Fällen ein Ultraschall bei Knochenbrüchen eine Alternative zum Röntgen ist. Blockieren Patienten, die unnötig geröntgt werden, wertvolle Ressourcen?

Dr. Buntru: In der neuen Leitlinie geht es um Frakturen bei Kindern und Jugendlichen. Die aktuelle Zahl an Röntgenuntersuchungen wird sich dadurch sicher nicht relevant verringern. Der Ultraschall führt eher zu mehr Verdachtsdiagnosen und damit zu mehr Untersuchungen in der Radiologie. Er ist zeitaufwendig und wird leider ebenfalls in keiner Weise adäquat vergütet. Wir müssen viele Ultraschallbefunde abklären, weil nicht alle Arztpraxen ausreichend Erfahrung mit dieser sehr untersucherabhängigen Methode haben.

Redaktion: Meinen die Haus- und Fachärzte es manchmal zu gut und überweisen unnötigerweise in die Radiologie?

Dr. Buntru: Die Patienten sind heutzutage gut informiert. Sie kommen mit einer gewissen Erwartung – um nicht zu sagen Forderung – in die Praxis. Da ist es für Kollegen schwer zu sagen, dass eine MRT-Untersuchung nicht nötig sei oder später gemacht werden könne. Wir müssen den Patienten bewusst machen, dass Untersuchungen wertvolle Ressourcen binden. Die Praxisgebühr, die es für kurze Zeit gab, war eine richtige Maßnahme. Es gibt m. E. die berechtigte Diskussion, ob gesetzlich versicherte Patienten nicht nur wissen sollten, welche Kosten ihre Untersuchungen verursachen, sondern ob sie nicht an den Kosten im Gesundheitswesen sozialverträglich beteiligt werden müssten. Doch muss man vernünftig miteinander reden. Es darf kein Patienten-Bashing geben.

Redaktion: Ist die Unterfinanzierung eine weitere Ursache für die langen Wartezeiten?

Dr. Buntru: Wahrscheinlich ist sie sogar die entscheidende Ursache. Krankenkassen zahlten 2022 im Saarland beispielsweise durchschnittlich 67 Euro pro CT-Untersuchung bei gesetzlich versicherten Patienten. Dem stehen Kosten in Höhe von etwa 87 Euro für Strom, Gehälter, Praxisräumlichkeiten und Geräte gegenüber. Mit jeder Untersuchung haben wir also ein Minus von 20 Euro gemacht. Nehmen wir noch einmal das Beispiel der kurativen Mammografie. Wegen der im Vergleich zum Mammografie-Screening massiven Unterbewertung der sehr aufwendigen kurativen Mammografie wird diese Leistung von immer weniger radiologischen Praxen angeboten. Bei einer Vergütungsquote von 80 Prozent im Saarland erhält der Radiologe für eine Mammografie in zwei Ebenen lediglich eine Vergütung von 25 Euro.

Redaktion: Wozu wird das führen?

Dr. Buntru: Ich sehe kommen, dass viele Praxen schnelle und vergleichsweise einfache Untersuchungen wie die Kniegelenksdiagnostik zuungunsten der aufwendigen MRT des Abdomens bevorzugt anbieten – allein aus Kostengründen. Wir bekommen nur einen Teil des Geldes, mit dem wir betriebswirtschaftlich kalkulieren. Spätestens durch die außergewöhnlichen Kostensteigerungen, die massive Inflation und die steigenden Energiekosten ist eine Endbudgetierung und Neubewertung der radiologischen und nuklearmedizinischen Leistungen für das Überleben der ambulanten Radiologie zwingend erforderlich.

Redaktion: Was empfehlen Sie Praxen, die nicht wirtschaftlich arbeiten können?

Dr. Buntru: Wir sind als Xcare Gruppe seit 30 Jahren an Krankenhäuser angeschlossen, nicht nur weil uns auch die Sektorenverbindung wichtig ist. Jede Untersuchung wird dort nämlich – wie im Kooperationsvertrag vereinbart – unbudgetiert bezahlt. Wir haben in diesem Bereich hierdurch weitgehend konstante und kalkulierbare Einnahmen. Fachübergreifend bieten wir zudem Strahlentherapie und Nuklearmedizin an. Ich bin mir sehr sicher, dass eine kleine, rein ambulant tätige Praxis zukünftig nicht überleben wird.

Redaktion: Die Kooperation bringt auch zusätzliche Aufgaben mit sich.

Dr. Buntru: Wir kommunizieren viel mit den Klinikärzten, viel häufiger als mit ambulanten Kollegen. Auch müssen wir Mitarbeiter für Wochenenddienste einplanen. Doch macht das breite ambulant-stationäre Spektrum unseren Beruf viel spannender. Auch die Assistenzärzte kommen deshalb gerne zu uns. Damit sichern wir die erforderliche breite Weiterbildung in unserem Fach.

Redaktion: Die Energiekrise war ein Schock für die Radiologie. Inzwischen sind die Energiepreise wieder gesunken. Können Praxen in diesem Punkt aufatmen?

Dr. Buntru: Keinesfalls. Wir hatten in den vergangenen zwei Jahren eine harte Zeit. Einige Praxen, die ihren Strom am Spotmarkt kauften, waren existenziell bedroht. Mit der Energiepreisbremse für kleine und mittlere Unternehmen, die ab einem Verbrauch von 30.000 kWh/Jahr greift, können wir bis April 2024 zumindest besser kalkulieren. Der von vielen positiv bewertete Beschluss des Bewertungsausschusses zur Abrechnung erhöhter Stromkosten ist hingegen eine Mogelpackung. Er bringt nach Abzug der staatlichen Strompreisdeckelung für die meisten Praxen keine zusätzlichen Ausgleichszahlungen. Langfristig können die im Vergleich zur Vergangenheit nachhaltig angestiegenen Energiekosten nur durch eine Neubewertung im EBM gelöst werden. Immerhin gibt es nun ein Bewusstsein dafür, dass Strom für uns eine andere Bedeutung hat als für Hausarztpraxen und die meisten übrigen Facharztpraxen.

Redaktion: Lassen Sie uns auf die RadiologenGruppe 2020 kommen. Sie verstehen sich als Beobachter, Analyst und Kritiker von Marktbewegungen an regionalen Standorten.

Dr. Buntru: Wir favorisieren gewachsene, inhabergeführte Organisationen. Doch zeigt sich eine stark zunehmende Tendenz des Verkaufs von radiologischen Praxen an Private-Equity-Unternehmen. Damit besteht die Gefahr, dass sich die breite flächendeckende Versorgung durch stark gewinnorientierte Leistungsangebote verschlechtert und es zu einer regionalen oder sogar überregionalen Monopolisierung kommt. Dieses Problem ist inzwischen ja auch der Politik bekannt.

Redaktion: Welche Lösungen gibt es?

Dr. Buntru: Private Equity Gesellschaften müssen Grenzen gesetzt werden. Inhabergeführte Praxen mögen in ein innovatives Gerät investieren, weil moderne Diagnostik mit den neuesten Geräten einfach bessere Diagnosen liefert. Investoren hingegen könnten solche Innovationen ablehnen, weil das alte Gerät es noch tut. Auch haben Investoren oft kurzfristige Konzepte. Sie bauen etwas schnell auf und verkaufen es gewinnbringend. Das Einziehen von regionalen Grenzen für Investoren würde viel bewirken und im Wettbewerb inhabergeführten radiologischen Praxen ermöglichen, regionale Bedürfnisse weiterhin nachhaltig zu bedienen. Doch letztendlich gilt es, gemeinsam die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für eine qualitativ hochwertige Radiologie zu sichern.

Redaktion: Die RG20 vertritt die Interessen der Radiologie auch in der Politik. Wem gegenüber genau?

Dr. Buntru: Wir verstehen uns als Sprachrohr der mittelständischen ambulanten Radiologie. Mit über 100 Krankenhauskooperationen sind wir zudem Vertreter einer erfolgreichen sektorenübergreifenden Versorgungsstruktur. Wir sprechen mit allen Akteuren des Gesundheitswesens und der Gesundheitspolitik, seien es BÄK, KVen oder andere Berufsverbände wie der Deutsche Hausärzteverband. Die RG20 ist kein Gegenentwurf zu Berufsverbänden oder wissenschaftlichen Verbänden. Wir verstehen uns als Ergänzung.

Redaktion: Was können Sie tun?

Dr. Buntru: Es geht uns um einen Dialog zu Themen wie Ambulantisierung, Patientensicherheit und wohnortnahe Angebote in der bildgebenden Diagnostik. Das umfasst nicht nur die Forderung nach mehr Geld. Unser Gesundheitssystem ist in weiten Teilen wahrscheinlich nicht unterfinanziert. Doch müssen wir uns bewusster machen, was Leistungen kosten und überlegen, wo wir sparen können. Auch können wir mit unserer eigenen Versorgungsforschung Impulse setzen, um die Krankenkassen von neuen Modellen zu überzeugen. So ist abzusehen, dass die CT-Untersuchung die Zahl von invasiven Herzkathetern deutlich verringern wird und die Krankenkassen dadurch gleichzeitig relevant Geld einsparen. Wir wollen Lösungsansätze zu einer qualitativ hochwertigen und trotzdem bezahlbaren Patientenversorgung bieten und haben schon einiges bewirkt.