Chefarzt-/Oberarztverträge: Sind finanzielle ­Anreizmodelle berufsrechtswidrig?

von RA, FA für MedR, Mediator Dr. Tobias Scholl-Eickmann, Kanzlei am Ärztehaus, Dortmund, www.kanzlei-am-aerztehaus.de

Ausgehend von einer Mitteilung der Bundesärztekammer (BÄK) Anfang Februar ist eine Debatte um die Zulässigkeit von sogenannten „Bonuszahlungen“ an Chefärzte bei Erreichen bestimmter Ziele entbrannt. Eine derartige Kopplung ärztlich-medizinischer Gesichtspunkte und ökonomischer Erwägungen widerspricht – so der BÄK-Präsident – dem ärztlichen Berufsethos. Der nachfolgende Beitrag stellt die maßgeblichen rechtlichen Regelungen vor und gelangt zu einer differenzierten Bewertung. Die Ergebnisse sind auf Oberarztverträge, die entsprechende finanzielle Anreizmodelle enthalten, übertragbar.

Hintergrund

In Chefarztverträgen klassischer Prägung bestand eine Dreiteilung der Einkünfte in ein – meist tariflich orientiertes – Festgehalt, der Einräumung des Liquidationsrechts für ärztliche Wahlleistungen sowie die Nebentätigkeitserlaubnis für die sogenannte „Privatambulanz“. In den letzten Jahren ist dieses Grundkonzept nachhaltig verändert worden.

Nach aktuellen Studien sieht mittlerweile jeder zweite Neu-Chefarztvertrag auch eine variable Bonuszahlung vor, die sich an der Erreichung bestimmter, regelmäßig gesondert zu verhandelnder Ziele bemisst, die für einen bestimmten Zeitraum vereinbart werden (sogenannte „Zielvereinbarungen“). Dabei werden häufig über die rein arztbezogene Tätigkeit hinausgehende wirtschaftliche Parameter (zum Beispiel Personalkosten, Deckungsbeitrag der Abteilung, Fallzahlen etc.) mit finanziellen Anreizen für den Chefarzt verknüpft.

Wirtschaftlichkeitsgebot versus Therapiefreiheit

Der Arzt ist bei der Behandlung der Patienten im Rahmen des ärztlich Notwendigen zu zweckmäßigem, wirtschaftlichem und sparsamem Umgang mit den zur Verfügung stehenden Mitteln des Krankenhauses verpflichtet. So steht es im derzeit aktuellen § 3 des DKG-Mustervertrags für Chefärzte. Dieses sogenannte Wirtschaftlichkeitsgebot wird flankiert durch eine weitergehende Regelung, wonach nach Anhörung des Arztes ein internes abteilungsbezogenes Budget erstellt wird, für dessen Einhaltung der Chefarzt zu sorgen hat.

Dem steht die Rolle des Arztes als Mediziner scheinbar diametral entgegen: Der Arzt ist zwar Angestellter des Krankenhauses, gleichwohl aber in seiner medizinischen Entscheidung und Verantwortung unabhängig („Therapiefreiheit“). Dies ergibt sich nicht nur aus gesetzlichen Vorgaben, sondern wird unter anderem auch in § 2 des DKG-Mustervertrags statuiert. Die derzeitige Diskussion um die berufsrechtliche Zulässigkeit von Bonuszahlungen ist im Spannungsfeld dieser gegenläufigen Interessen einzuordnen.

Berufsrechtliche Grenzen

Berufsrechtlich sind finanzielle Anreizsysteme wie eine Zielvereinbarung nicht per se unzulässig. Sie müssen jedoch insbesondere an den in der folgenden Übersicht aufgeführten Regelungen der MBO gemessen werden:

Beschränkungen der MBO zu Anreizsystemen

  • Die in § 1 Abs. 1 MBO ebenfalls berufsrechtlich verankerte Therapiefreiheit darf durch ein finanzielles Anreizsystem nicht eingeschränkt werden.

  • Es dürfen keine Grundsätze anerkannt und keine Vorschriften oder Anweisungen beachtet werden, die mit den Aufgaben eines Arztes nicht vereinbar sind oder deren Befolgung nicht verantwortet werden können (§ 2 Abs. 1 MBO).

  • Es dürfen keine Weisungen von Nichtärzten entgegengenommen werden (§2 Abs. 4 MBO).

  • Mit Übernahme der Behandlung ist der Arzt dem Patienten gegenüber zur gewissenhaften Versorgung mit geeigneten Untersuchungs- und Behandlungsmethoden verpflichtet (§ 11 Abs.1 MBO).

  • Auch in einem Arbeits- oder Dienstverhältnis darf eine Vergütung für die ärztliche Tätigkeit nicht dahingehend vereinbart werden, dass die Vergütung die ärztliche Unabhängigkeit der medizinischen Entscheidungen beeinträchtigt (§23 Abs. 2 MBO).

  • Dem Arzt ist nicht gestattet, sich Geschenke oder andere Vorteile versprechen zu lassen oder anzunehmen, wenn hierdurch der Eindruck erweckt wird, dass die Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung beeinflusst wird (§ 32 MBO).

Bewertung typischer Klauseln

Nachfolgend werden vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen typische Klauseln in Chefarztverträgen vorgestellt und bewertet.

Budgetverantwortlichkeit

Gemessen an den dargestellten Vorgaben ist jedenfalls die eingangs vorgestellte Regelung des DKG-Mustervertrags, wonach der Chefarzt für die Einhaltung des Budgets Sorge zu tragen hat, für sich genommen nicht bedenklich. Denn für die Überschreitung eines letztlich vom Krankenhausträger aufgestellten Budgets haftet der Chefarzt allenfalls dann, wenn ihm nachgewiesen wird, dass die Überschreitung auf einem „schuldhaft unterlassenen Bemühen“ beruht. Ein entsprechender gerichtsfester Nachweis dürfte kaum zu führen sein.

Budgetverantwortlichkeit mit Bonusregelung

Denkbar und aus der Praxis bekannt sind auch Regelungen, wonach in Absprache mit dem Chefarzt ein abteilungsbezogenes Budget aufgestellt wird, bei dessen Einhaltung ein Bonus gezahlt wird. Eine übliche Formulierung lautet etwa: „Im Benehmen mit dem Arzt wird ein abteilungsbezogenes Budget aufgestellt. Wird dieses eingehalten, erhält der Arzt einen Bonus von 6.000 Euro.“

Eine solche Regelung begegnet unter Berücksichtigung der aufgezeigten rechtlichen Vorgaben keinen ernsthaften Bedenken. Der in Relation zum üblichen Chefarztgehalt verhältnismäßig geringe Bonus lässt insbesondere keine Zweifel auftreten, dass der Chefarzt zum Beispiel einem Patienten eine kostenintensive und medizinisch gebotene Therapie versagt, um den Bonus zu erhalten. Zu einer anderen Bewertung wird man indes gelangen müssen, wenn der Bonus einen gewichtigeren Umfang der Gesamteinkünfte des Chefarztes ausmacht.

Ungeachtet dessen sollte wohl überlegt werden, eine solche Vereinbarung zu unterzeichnen: Die Möglichkeiten des Arztes, auf die Einhaltung des Budgets Einfluss zu nehmen, sind naturgemäß begrenzt. So kann er zumindest bei üblichen Vertragsgestaltungen weder Personal- noch Sachkosten nachhaltig beeinflussen.

Bonus bei Fallzahlsteigerung

Häufig anzutreffen sind auch Klauseln, wonach dem Chefarzt bei Steigerung von (bestimmten) Fallzahlen (zum Beispiel Steigerung der CT-Interventionsleistungen) ein Bonus zugestanden wird. Derartige Klauseln dürften nach Auffassung des Autors mit Blick auf die dargelegten Regelungen der Berufsordnung kritisch sein, wenn die Höhe des Bonus eine gewichtige Größe erreicht. Es besteht dann die Gefahr, dass die Indikationsstellung (zu) weit ausgedehnt wird und damit die unabhängige ärztliche Entscheidung nicht mehr gewährleistet ist.

Budgetverantwortlichkeit mit Bonus-/Malusregelung

In dieser Klauselvariante wird der Chefarzt über die vorgenannte Bonusregelung ergänzend auch für den „Malus“ in Haftung genommen. Beispiel: Der radiologischen Abteilung wird ein Budget auferlegt. Wird dieses eingehalten, erhält der Arzt einen Bonus von 36.000 Euro. Wird das Budget überschritten, erfolgt ein Abzug von der Vergütung des Arztes in Höhe von 10 Prozent des Überschreitungswertes, maximal aber in Höhe von 36.000 Euro.

Eine solche Regelung dürfte vor allem aufgrund des vereinbarten Malus unzulässig sein. Die diagnostische und therapeutische Notwendigkeit hat stets Vorrang vor den Budgetgrenzen und etwaigen wirtschaftlichen Anforderungen. Damit ist eine finanzielle Sanktion bei Überschreiten eines Budgets nicht zu vereinbaren.

Wann sind Boni zulässig, wann nicht?

Finanzielle Anreizsysteme wie zum Beispiel Zielvereinbarungen sind nicht per se berufsrechtlich unwirksam. Dass diese Systeme in der Praxis vor allem bei der Umsetzung von kurz- und mittelfristigen Projekten sinnvoll eingesetzt werden können, ist bekannt – etwa bei Zertifizierung, Etablierung eines Zen­trums, Durchführung einer über­regionalen Fortbildung, Anerkennung als Weiterbildungsstätte etc.

Kritisch zu betrachten bleiben Bonussysteme demgegenüber insbesondere bei Rahmenvorgaben, die der Arzt bei sachgerechter Betrachtung nicht beeinflussen kann, weil allein (objektive) medizinische Erwägungen maßgeblich sind (zum Beispiel Erhöhung des CMI, Steigerung der CT-Interventionen etc.). Auch derartige Anreizsysteme sind jedoch zulässig, soweit sich nicht aus der konkreten Ausgestaltung im Einzelfall eine Berufsrechtswidrigkeit oder sonstige rechtliche Unwirksamkeit ergibt. Diese gerade vonseiten der Krankenhausträger an den Chefarzt herangetragenen Bonusmodelle sollten daher im Einzelfall kritisch geprüft werden.

Praxishinweise

Ärzte sollten bei der Ausgestaltung von Bonusregelungen insbesondere folgende Punkte beachten:

  • Es sollte nur ein geringer Anteil der Gesamteinkünfte in Abhängigkeit von Zielerreichungen flexibel gestaltet werden.
  • Anreize sollten nur für konkret kontrollierbare und vor allem für den Arzt unmittelbar beeinflussbare Ziele vereinbart werden.
  • Im Fall anteiliger Zielerreichung sind auch anteilige Bonuszahlungen zu vereinbaren, um den wirtschaftlichen Zwang zur Erreichung des Ziels zu vermeiden.
  • Ein finanzieller Anreiz sollte in ­einer Weise gestaltet werden, dass für medizinische Sonderfälle mit entsprechendem Mehrkosten­bedarf ein angemessener Behandlungsspielraum verbleibt.
  • In Zweifelsfällen sollte eine rechtliche Abklärung – gegebenenfalls unter Einbezug der Ärztekammer – vorgenommen werden.