Chefarzt der Radiologie wegen Verdachts auf Abrechnungsbetrug verhaftet: Wo sind die Grenzen?

von RA/FA für Medizinrecht Dr. Tilman Clausen, Kanzlei Schroeder-Printzen, Hannover, www.spkt.de

Anfang Juni 2010 hat die Berliner Polizei in einer Großrazzia mehrere Krankenhäuser durchsucht und neben zwei Geschäftsführern auch einen Chefarzt der Radiologie verhaftet. Ermittelt wird wegen des Vorwurfs falscher oder überflüssiger ärztlicher Behandlungen und gefälschter Abrechnungen. Was steckt hinter dem Verdacht auf Abrechnungsbetrug? Wo können sich Chefärzte bei der Abrechnung privatärztlicher Leistungen an Wahlleistungspatienten dem Vorwurf des Betrugs aussetzen? Und wie können sie sich dagegen schützen? Der folgende Beitrag gibt Antworten auf die Fragen.

Verstoß gegen „persönliche Leistungserbringung“

Grundsätzlich ist im Kernbereich wahlärztlicher Leistungen, der von Fachgruppe zu Fachgruppe unterschiedlich definiert wird, der Chefarzt mit Liquidationsrecht verpflichtet, die ärztlichen Leistungen persönlich zu erbringen, wenn er sie nach Abschluss der Behandlung gegenüber seinen Privatpatienten auch abrechnen will.

Eine Vertretung des Chefarztes im Kernbereich wahlärztlicher Leistungen ist nur in den vom Bundesgerichtshof (BGH) definierten Grenzen möglich (BGH, Urteil vom 20.12.2007, Az: IIIZR144/07). Daher sollte jeder Chefarzt grundsätzlich folgende Hinweise beachten:

  • Der Patient muss so früh wie möglich über eine vorhersehbare Verhinderung des Wahlarztes unterrichtet werden.
  • Hierbei muss ihm das Angebot unterbreitet werden, dass an dessen Stelle ein bestimmter Vertreter zu den vereinbarten Bedingungen die wahlärztlichen Leistungen erbringt.
  • Der Patient ist über die alternative Option zu unterrichten, auf die Inanspruchnahme wahlärztlicher Leistungen zu verzichten und sich ohne Zuzahlung von dem diensthabenden Arzt behandeln zu lassen.
  • Ist die jeweilige Maßnahme bis zum Ende der Verhinderung des Wahlarztes verschiebbar, ist dem Patienten dies zur Wahl zu stellen.

Außerhalb des Kernbereichs wahlärztlicher Leistungen gilt zudem §4 Abs.2Satz3 GOÄ. Die dort aufgeführten ärztlichen Leistungen, zu denen beispielsweise Beratungs- und Untersuchungsleistungen oder Visiten gehören, können vom Wahlarzt auch dann abgerechnet werden, wenn sie nicht von ihm selbst, sondern seinem ständigen ärztlichen Vertreter erbracht worden sind, der Facharzt desselben Gebiets sein muss. Die Rechtsprechung geht allerdings davon aus, dass hier grundsätzlich nur ein Vertreter pro Wahlarzt zulässig ist (BGH, Urteil vom 20.12.2007, Az: IIIZR144/07).

Sanktionen bei Verstößen gegen persönliche Leistungserbringung

Wenn Chefärzte gegen die vorstehenden Grundsätze der persönlichen Leistungserbringung bei wahlärztlichen Leistungen verstoßen und dies bekannt wird, müssen sie mit Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Abrechnungsbetrugs rechnen. Diese können auch zur Anklageerhebung führen, insbesondere wenn die Verstöße über einen längeren Zeitraum erfolgt sind.

Abrechnung durch ermächtigte Chefärzte

Auch Chefärzte, die über eine Ermächtigung der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung (KV) für die Behandlung von GKV-Patienten verfügen, sind verpflichtet, die ärztlichen Leistungen, die sie im Rahmen dieser Ermächtigung erbringen und abrechnen dürfen, persönlich zu erbringen. Verstöße gegen den Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung im Rahmen der Ermächtigung des Chefarztes (die in der Praxis häufig vorkommen), führen einerseits zu Rückforderungsansprüchen der zuständigen KV hinsichtlich des gezahlten Honorars. Zudem können sie ebenfalls strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Abrechnungsbetruges nach sich ziehen.

Potenzielle Konflikte mit dem Krankenhausträger

Alle Verstöße von Chefärzten gegen Abrechnungsbestimmungen sowohl im Bereich der GOÄ als auch im Bereich der Ermächtigung beinhalten zudem ein weiteres Risiko: Sollte das Vertrauensverhältnis zwischen dem Chefarzt und seinem Krankenhausträger bereits gestört sein, kann der Krankenhausträger diese Verstöße zum Anlass nehmen, das Anstellungsverhältnis mit dem Chefarzt fristlos zu kündigen.

Eine Verurteilung des Chefarztes wegen Abrechnungsbetrugs rechtfertigt eine fristlose Kündigung des Chefarzt-Dienstvertrags. Möglich ist allerdings auch eine fristlose Verdachtskündigung des Chefarzt-Dienstvertrags. Dafür kann unter Umständen bereits die Einleitung eines staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens ausreichen.