BGH-Grundsatzurteil erhöht Strafbarkeitsrisiken bei Privatliquidationen im Krankenhaus

von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeits- und Medizinrecht, Dr. Tilman Clausen, Hannover, www.spkt.de

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem Beschluss vom 25. Januar 2012 (Az: 1 StR 45/11) den sogenannten normativen Schadensbegriff aus dem Vertragsarztrecht auf den Bereich der Privatliquidation übertragen. Zwar betrifft der Beschluss die Verurteilung eines niedergelassenen Arztes, jedoch lässt er sich auf die Privatliquidation im Krankenhaus übertragen. Insgesamt führt er zu einer Erhöhung der Strafbarkeitsrisiken wegen Abrechnungsbetrugs. Wo die Risiken in radiologischen Abteilungen liegen und wie entgegengewirkt werden kann, wird nachfolgend dargelegt.

Der BGH-Beschluss ist nicht nur relevant für Chefärzte, die über ein Liquidationsrecht verfügen, sondern auch für Chefärzte, die nur über eine Beteiligungsvergütung an der Privatliquidation partizipieren, sowie für Krankenhausträger, die das Liquidationsrecht ausüben.

Normativer Schadensbegriff: Bedeutung für Liquidationen

Die Übertragung des normativen Schadensbegriffs auf die Privatliquidation im Krankenhaus bedeutet, dass der für den Betrug notwendige Vermögensschaden bereits dann vorliegt, wenn von Bestimmungen der GOÄ bzw. gegebenenfalls auch des Krankenhausentgeltgesetzes (KHEntgG) abgewichen wird. Chefärzte oder Krankenhausträger, die falsch abgerechnet haben, können sich dann nicht darauf berufen, dass der Patient eine benötigte und medizinisch indizierte ärztliche Leistung erhalten hat, die auch fachlich korrekt erbracht worden ist.

Entscheidend ist allein die Abweichung von bestehenden gesetzlichen Bestimmungen, weshalb vom normativen Schadensbegriff gesprochen wird. Je klarer und eindeutiger die Bestimmungen der GOÄ und des KHEntgG sind, desto größer ist jetzt das Strafbarkeitsrisiko für die Handelnden bei der Privatliquidation im Krankenhaus, wenn von den Bestimmungen abgewichen wird.

Beispiele für praktisch relevante Konstellationen

Die Strafbarkeitsrisiken sollen anhand einiger Konstellationen verdeutlicht werden, die so auch in radiologischen Abteilungen vorkommen können.

1. Leistungserbringung durch ständigen ärztlichen Vertreter

Nach § 4 Abs. 2 Satz 3 GOÄ sind die dort genannten ärztlichen Leistungen nur gegenüber Wahlleistungspatienten berechenbar, wenn sie durch den Chefarzt der Krankenhausabteilung selbst oder seinen ständigen ärztlichen Vertreter erbracht worden sind, der Facharzt desselben Gebiets sein muss. Dabei geht der BGH in der Entscheidung vom 20. Dezember 2007 (Az: III ZR 144/07) von einem ständigen ärztlichen Vertreter pro Wahlarzt aus. Die GOÄ und die Rechtsprechung sind somit auch an dieser Stelle eindeutig.

Praxishinweis: Abweichungen von der gesetzlichen Regelung bzw. höchstrichterlichen Rechtsprechung begründen ein erhöhtes Strafbarkeitsrisiko. Chefärzte, die mehrere ständige ärztliche Vertreter benötigen, müssen daher ihren Zuständigkeitsbereich unter diese Vertreter so aufteilen, dass jeder von ihnen alleiniger ständiger ärztlicher Vertreter für einen Teil des Zuständigkeitsbereichs des Chefarztes wird.

2. Leistungserbringung mit erhöhtem Steigerungssatz

Wesentlich relevanter für die Praxis dürfte allerdings § 5 Abs. 2 Satz 4 GOÄ sein, wonach das 2,3-Fache des Gebührensatzes bzw. 1,8-Fache bei technischen und 1,15-Fache bei Laborleistungen im Regelfall nicht überschritten werden darf. Die Steigerung über den Regelsatz hinaus soll damit nach dem eindeutigen Willen des Verordnungsgebers die Ausnahme und nicht die Regel sein. Dies bedeutet im Prinzip, dass keine ärztliche Leistung so schwierig oder zeitaufwendig ist, dass es gerechtfertigt wäre, für diese Leistung ausnahmslos mehr als den Regelsatz anzusetzen. Chefärzte oder Krankenhausträger, die sich nicht daran halten, nehmen ein erhöhtes Strafbarkeitsrisiko in Kauf.

Praxishinweis: Ausnahmen von diesem Prinzip dürften allenfalls dann zulässig sein, wenn eine ärztliche Leistung erbracht wird, die quantitativ und qualitativ aufwendiger ist als die ärztliche Leistung, die in der GOÄ ausgewiesen ist. Kann eine solche Leistung mangels selbstständigen Charakters nicht separat abgerechnet werden, so ist generell mehr als der Regelsatz berechnungsfähig.

In dem Fall, der dem Beschluss des BGH vom 25. Januar 2012 zugrunde lag, hatte der niedergelassene Arzt Leistungen über den Regelsatz der GOÄ hinaus gesteigert, obwohl er sie gar nicht selbst erbracht hatte und somit kein Rechtsgrund für eine Steigerung vorlag. Auch dieser Umstand führte dazu, dass der BGH die Verurteilung des Arztes bestätigte. Bei einer Privatliquidation im Krankenhaus würde dies nicht anders beurteilt werden. Hier gilt auch § 5 Abs. 5 GOÄ: „Bei wahlärztlichen Leistungen, die weder von dem Wahlarzt noch von dessen vor Abschluss des Wahlarztvertrages dem Patienten benannten ständigen ärztlichen Vertreter persönlich erbracht werden, tritt an die Stelle des Dreieinhalbfachen des Gebührensatzes nach § 5 Abs. 1 Satz 1 das 2,3-Fache des Gebührensatzes und an die Stelle des Zweieinhalbfachen des Gebührensatzes nach §5 Abs. 3 Satz 1 das 1,8-Fache des Gebührensatzes.“

3. Verstöße gegen die persönliche Leistungserbringung

Im Krankenhaus tätige Radiologen, die entweder über das Liquidationsrecht verfügen oder eine Beteiligungsvergütung erhalten, weil der Krankenhausträger das Liquidationsrecht selbst ausübt, müssen die wahlärztlichen Leistungen in ihrem Kernbereich selbst erbringen, wenn sie sie abrechnen wollen und keine Vertretungsvereinbarung mit dem Patienten geschlossen wurde. Verstöße gegen den Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung bei wahlärztlichen Leistungen stellen eine Abweichung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung dar, die seit Veröffentlichung des BGH-Beschlusses vom 25. Januar 2012 durch die Strafverfolgungsbehörden wesentlich kritischer be­urteilt werden dürften als bisher.

Der Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung bei wahlärztlichen Leistungen gilt für deren Kernbereich, dessen Umfang je nach Fachgruppe unterschiedlich beurteilt wird. Bei Radiologen dürfte zum Kernbereich der wahlärztlichen Leistungen zunächst die Befundung zählen, nicht aber die medizinisch-technische Durchführung der radiologischen Leistungen wie zum Beispiel Röntgen, CT und/oder MRT. Zum Kernbereich der wahlärztlichen Leistungen gehören weiterhin interventionelle Leistungen. Dazu zählen unter anderem

  • bildgesteuerte minimal-invasive Gewebeentnahmen (Biopsien),
  • bildgesteuerte minimal-invasive Schmerztherapien und Drainagen krankhafter Flüssigkeiten,
  • minimal-invasive Kathetereingriffe im Gefäßsystem (beispielsweise Ballonerweiterung/PTA/Stent-Implantation/Lyse),
  • gezielter Gefäßverschluss/Embolisation) und
  • interventionell-onkologische Eingriffe (wie beispielsweise lokale Tumortherapie der Leber).

4. Abrechnung trotz unwirksamer Wahlleistungsvereinbarung

Der Inhalt einer wirksamen Wahlleistungsvereinbarung, die zwingende Voraussetzung für die Privatliquidation im Krankenhaus ist, wird in §17 KHEntgG und durch die höchstrichterliche Rechtsprechung des BGH eindeutig definiert. Hier trifft vor allem Krankenhausträger ein potenzielles Risiko der Strafverfolgung, wenn sie ihre Wahlleistungsvereinbarung den Vorgaben des § 17 KHEntgG und der Rechtsprechung bislang nicht angepasst haben.

Chefärzte und Krankenhausträger, die die Privatliquidation an Abrechnungsstellen delegiert haben, sollten dies nicht nur als Entlastung, sondern auch als potenzielles Risiko sehen – insbesondere dann, wenn die Abrechnungsstelle die Abrechnung nicht im Krankenhaus selbst durchführt, sondern die Kranken­akten mitnimmt und nach Rechnungserstellung zurückbringt. Dieses Outsourcing der Abrechnung enthebt nicht in jedem Fall von der Verpflichtung, die Privatliquidationen dieser Abrechnungsstelle zumindest periodisch auf Einhaltung der Abrechnungsbestimmungen zu prüfen.

Fazit

Der aktuelle BGH-Beschluss vom 25. Januar 2012 sollte sowohl für Chefärzte als auch für Kliniken, die an der Privatliquidation im Krankenhaus beteiligt sind, Anlass sein, die eigene Abrechnungspraxis kritisch zu hinterfragen. So können bestehende Problemzonen erkannt und gegebenenfalls zeitnah abgestellt werden.