Altersdiskriminierung: Bundesgerichtshof stärkt die Position älterer angestellter Führungskräfte

von Rechtsanwalt Tim Hesse, Kanzlei am Ärztehaus, Dortmund, www.kanzlei-am-aerztehaus.de

Mit zunehmendem Alter sehen sich nicht nur Ärzte, sondern Beschäftigte sämtlicher Berufe am Arbeitsplatz vermehrt Konflikten ausgesetzt, die auf das Älterwerden zurückzuführen sind. Werden sie deswegen diskriminiert, ermöglicht ihnen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG, Eckpunkte siehe unten), ihre Rechte zu wahren und sich gegen ungerechtfertigte Benachteiligungen zur Wehr zu setzen. Mit seinem Urteil vom 23. April 2012 hat der Bundesgerichtshof (BGH) die Anwendbarkeit des AGG auch für höchste Beschäftigungspositionen – und somit auch für Chefärzte – bestätigt (Az: II ZR 163/10).

Eckpunkte des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG)

Das AGG soll seit 2006 unmittelbare sowie mittelbare Benachteiligungen im beruflichen Umfeld aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters, der sexuellen Identität oder des Engagements für den Zusammenschluss einer bestimmten Berufsgruppe verhindern bzw. beseitigen, indem es die ungerechtfertigte Diskriminierung Beschäftigter verbietet und Vereinbarungen, die dagegen verstoßen, für unwirksam erklärt. Ihnen räumt das Gesetz im Diskriminierungsfall ein Beschwerderecht und in bestimmten Fällen sogar ein Recht auf Leistungsverweigerung bei Lohnfortzahlung ein.

Hat der Arbeitgeber einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot zu vertreten, ist er betroffenen Beschäftigten gegenüber zum Schadenersatz oder – bei fehlendem Vermögensschaden – zur Entschädigung in Geld verpflichtet. Außerdem hat er Präventivmaßnahmen zum Schutz seiner Angestellten vor Benachteiligungen zu treffen und unzulässige Diskriminierung am Arbeitsplatz auf angemessene Weise durch Abmahnung, Um- bzw. Versetzung oder Kündigung zu sanktionieren.

Der Fall

Geklagt hatte ein ehemaliger medizinischer Geschäftsführer einer Klinik-GmbH der Stadt Köln. Dort war er nach Ablauf seines Vertrages nicht weiterbeschäftigt worden. Der für die Entscheidung über die Verlängerung seines Arbeitspapiers mit fünfjähriger Laufzeit zuständige Aufsichtsrat der GmbH beschloss im Oktober 2008, das Anstellungsverhältnis mit dem im Zeitpunkt der (regulären) Vertragsbeendigung 62 Jahre alten Kläger nicht fortzusetzen. Die Stelle des medizinischen Geschäftsführers wurde stattdessen mit einem 41-jährigen Mit­bewerber besetzt.

Laut Auffassung des Klägers wurde ihm der Neuabschluss seines Dienstvertrags und die weitere Bestellung als Geschäftsführer nur aus Altersgründen versagt. Daher machte er auf dem Rechtsweg einen Verstoß gegen das AGG geltend und verlangte den Ersatz materiellen und immateriellen Schadens.

Nachdem das Landgericht seine ­Klage zunächst abgewiesen hatte, gab das Oberlandesgericht ihr im Wesentlichen statt. Das Gericht sprach ihm jedoch lediglich etwa ein Drittel des beantragten Ersatzes immateriellen Schadens („Schmerzensgeld“) – immerhin über 100.000 Euro – zu. Im Revisionsverfahren bestätigte schließlich der Bundes­gerichtshof diese Entscheidung.

Das Urteil des BGH

Im Urteil wurde insbesondere auf die Beweislastregel des § 22 AGG verwiesen. Danach hat – wenn der Kläger Indizien beweist, die eine ungerechtfertigte Diskriminierung nach dem AGG vermuten lassen– die andere Partei zu beweisen, dass tatsächlich kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.

Hier hatte der Aufsichtsratsvorsitzende der Klinik-GmbH gegenüber der Presse erklärt, dass der Kläger wegen seines Alters nicht weiterbeschäftigt worden sei. Man habe wegen des „Umbruchs auf dem Gesundheitsmarkt“ einen Bewerber gewählt, der die Klinik „langfristig in den Wind stellen“ könne. Diese Äußerungen sah der BGH als für die Annahme der Beweislastumkehr nach § 22 AGG ausreichend an. Den ihr damit obliegenden Gegen­beweis hat die Beklagte nicht geführt.

Demzufolge gingen die BGH-Richter von einer Benachteiligung des Klägers aufgrund seines Alters aus, die sie für nicht gerechtfertigt hielten. Gemäß § 10 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters nur dann erlaubt, wenn sie objektiv, angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist; die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen ebenfalls angemessen sowie erforderlich sein.

Diesen hohen Maßstäben genügte das Verhalten des Aufsichtsrats der Klinik-GmbH laut BGH nicht. Daher sprach das Gericht dem Kläger einen Anspruch auf Ersatz seines Vermögensschadens und auf Entschädigung wegen seines immateriellen Schadens zu.

Wie kann man sich gegen Altersdiskriminierung wehren?

Auch (Chef-)Ärzte fortgeschrittenen Alters sehen sich im Klinikalltag bisweilen mit dem Vorwurf konfrontiert, sie arbeiteten zu langsam oder zu kompliziert bzw. seien schlichtweg zu alt. Hinter solcher Kritik dürfte teils auch stehen, dass Mediziner mit „Altverträgen“ ihren Arbeitgebern heute einfach „zu teuer“ geworden sind. Dieser Kostenfaktor allein liefert indes keinen Grund, der eine Benachteiligung des Betroffenen gemäß den geschilderten Vorgaben des § 10 AGG rechtfertigen würde.

Das BGH-Urteil stärkt die Position all derer, die sich als Angestellte in Führungspositionen aufgrund altersbedingter Konflikte um die Begründung oder Verlängerung ihres Arbeitsverhältnisses sorgen: Ihr Alter allein stellt regelmäßig kein Argument dar, das ihren Arbeitgeber dazu berechtigt, bei gleicher Eignung im Rahmen der Stellenbesetzung einen jüngeren Kollegen vorzuziehen.

Praxishinweis: Sollten Sie als Arzt dennoch einmal Grund zur Annahme einer ungerechtfertigten Benachteiligung haben, sollten Sie sich beraten lassen, um die sowohl rechtlich als auch tatsächlich gegebenen Reaktionsmöglichkeiten zu analysieren und sinnvoll einzusetzen. Zweifellos sollte im Diskriminierungsfall auf eine sorgfältige Dokumentation der Ereignisse Wert gelegt werden, um die Beweis- und Rechtslage zu Ihren Gunsten sichern und gestalten zu können.