„Die Radiologie büßt ihren Stellenwert durch die geplante Krankenhausreform nicht ein!“

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat im Juli das Eckpunktepapier der geplanten Krankenhausreform vorgelegt. Sie hat drei Ziele: Gewährleistung von Versorgungssicherheit (Daseinsvorsorge), Sicherung und Steigerung der Behandlungsqualität sowie Entbürokratisierung. Univ.-Prof. Dr. Dr. Wilfried von Eiff ist Leiter des Centrums für Krankenhaus-Management in Münster sowie Academic Director am Center for Health Care Management and Regulation an der HHL Leipzig Graduate School of Management. Ursula Katthöfer ( textwiese.com ) sprach mit ihm über die Auswirkungen der Reform und weitere wirtschaftliche Entwicklungen, die die Radiologie zurzeit umtreiben.

Redaktion: Welche Auswirkungen der Krankenhausreform erwarten Sie für die Radiologie?

Prof. von Eiff: Wir können eine Konzentration von Standorten, eine Zentralisierung und eine Spezialisierung erwarten. Das hat einerseits ökonomische Gründe, aber andererseits soll durch Zentralisierung sowie Spezialisierung auch die medizinische Qualität verbessert werden. Besonders betroffen werden Praxen sein, die von einem einzelnen Radiologen betrieben werden. Die Tendenz geht zu größeren radiologischen Einheiten, die sowohl auf Standorte bezogen als auch im Netzverbund ein breites Leistungsspektrum vorhalten. Dadurch können Ballungsgebiete ebenso wie der ländliche Bereich mit qualifizierter Diagnostik versorgt werden. Das ist ökonomisch aus zwei Gründen sinnvoll. Erstens lassen die Fixkosten sich besser aufteilen, die Verwaltung kann gestrafft und optimiert werden. Zweitens können mehrere Spieler unter einem Dach kostenintensive Investitionen in innovative bildgebende Technologien leichter finanzieren.

Redaktion: Wird die Krankenhausreform die Radiologie also kaum gefährden?

Prof. von Eiff: Die Radiologie büßt ihren Stellenwert als qualifizierter Diagnostikdienstleister, als „Doktor für den Doktor“, durch die Reform nicht ein. Sie ist im klinischen Versorgungsprozess ein Dienstleister mit hoher Kompetenz in der Diagnostik und durch die interventionelle Radiologie auch in der Therapie. Ich sehe keine besondere Gefährdungslage. Vielmehr warten Patienten heute lange auf eine CT, MRT oder in der Krebsvorsorge auf eine PET-CT. Wo Wartezeiten existieren, besteht ein Versorgungsengpass. Dort zu reduzieren, wäre nicht der geeignete Ansatz.

Redaktion: Dennoch soll die Zahl der Krankenhäuser über die Reform reduziert werden. Das wären auch weniger radiologische Institute nahe an Krankenhäusern.

Prof. von Eiff: Es geht um die zukünftige Krankenhaus-Struktur. Die Reformkommission gab drei bzw. faktisch fünf Level zur Orientierung vor. Das ist grundsätzlich nicht neu, denn eine Typisierung der Krankenhäuser nach Grundversorgung, Regelversorgung, Spezialkrankenhaus, Schwerpunktversorgung, Maximalversorgung und Universitätsklinikum ist seit Jahren charakteristisch für das Krankenhaussystem. Neu ist, dass mit der Level-Bezeichnung „1i“ Krankenhäuser in MVZs, poliklinische Einrichtungen, Gesundheitszentren oder Pflegestützpunkte umgewandelt werden sollen. Dadurch wird die Anzahl der Häuser reduziert. In welcher Größenordnung ist bisher offen. Wir brauchen nun eine Aussage, wie viele Häuser es in jedem Level zukünftig geben soll und wie diese Zahlen auf die Länder heruntergebrochen werden. Karl Lauterbach hat angekündigt, dass Länder ohne Level-Orientierung keine finanziellen Mittel erhalten. Das hat zu großer Verunsicherung geführt. Auf regionaler Ebene geraten Abstimmungs- und Kooperationsprozesse unter den Häusern ins Stocken. Gerade Fusionen von Krankenhäusern mit dem Ziel, medizinische Leistungsstrukturen abzustimmen und Doppelvorhaltungen zu vermeiden, werden momentan ausgesetzt, weil nicht klar ist, welche Krankenhäuser aufgrund der Reform wegfallen. Ein sinnvoller Kooperationsprozess wird dadurch gestört.

Redaktion: Ist es denn realistisch, die Anzahl der Häuser zu reduzieren, ohne die Versorgung zu beeinträchtigen?

Prof. von Eiff: Die Reformkommission ist offenbar der Meinung, dass in einer Region, in der z. B. drei von zehn Krankenhäuser geschlossen werden, die übrigen sieben die Patienten und das Personal übernehmen. Das ist ein statistischer Trugschluss, denn diese sieben sind baulich-funktional nicht in der Lage, mehr Patienten zu behandeln und unterzubringen. Auch besteht die Gefahr, dass Pflegekräfte dem System verloren gehen, weil sie längere Fahrtzeiten und höhere Benzinkosten haben werden. Es ist ein unausgewogenes Reformpapier, das einerseits Fragen die konkrete Umsetzung betreffend offenlässt und andererseits akut dringlichere Baustellen, wie nicht verfügbare Pflegebudgets, hohe Prüfquoten, Belastung der am Bett tätigen Berufsgruppen durch Bürokratie sowie Berufsflucht wegen gesundheitsgefährdender Arbeitsbedingungen, nicht adressiert.

Redaktion: Lassen Sie uns auf die Private-Equity-Gesellschaften kommen. Ihnen wird oft unterstellt, dass sie eine maximale Rendite erzielen wollen und weniger lukrative Patienten an Krankenhäuser verweisen. Lässt sich das wissenschaftlich belegen?

Prof. von Eiff: Es gibt zwar verschiedene Studien, nach denen private-equity-geführte Praxen oder MVZ eher die ökonomisch lukrativen Leistungen durchführen und die weniger gut vergüteten Routineleistungen den Krankenhäusern oder inhabergeführten Praxen überlassen. Auf der anderen Seite merken Patienten sehr schnell, ob sie auf Dauer schlechter bedient werden als anderswo. Typische Private-Equity-Gesellschaften haben das Geschäftsmodell, eine Überrendite von zwölf oder mehr Prozent zu erzielen, indem sie über eine „Buy-and-Built-Strategie“ die Zahl der Praxen und Standorte vergrößern und diese nach fünf bis sieben Jahren weiterverkaufen. Das geht nur, wenn dieser Praxisverbund einen guten Ruf und Entwicklungspotenzial hat. Wenn nicht, werden Anleger sich eine Investition zweimal überlegen. Es gibt aber auch private Investoren, die keine Exit-Strategie verfolgen, deren Geschäftsmodell langfristig angelegt und an einer angemessenen Rendite von fünf Prozent orientiert ist.

Redaktion: Sollte man den Gesellschaften, die eine Überrendite wollen, einen Riegel vorschieben?

Prof. von Eiff: Das wäre nicht sinnvoll, denn wir brauchen das Kapital im Gesundheitswesen. Da die Länder ihren Investitionspflichten über viele Jahre nicht nachgekommen sind, hat die Substanz gelitten, wodurch Arbeitsabläufe ineffizienter und kostenträchtiger werden. Private-Equity-Gesellschaften sind bereit, schnell und gezielt in lukrative Innovationen zu investieren. Sie bringen Ideen, Mut und Geld mit. Wichtig ist, ein Anreizsystem bei der Leistungsvergütung zu schaffen, bei dem deutlich wird, dass es um Daseinsvorsorge und nicht um einen nach marktwirtschaftlichen Gesetzen strukturierten Bereich gehen sollte. Eine angemessene Rendite braucht man für jede Investition.

Redaktion: Aufgrund von KI verändert sich die Diagnostik zurzeit rasant. Was heißt das für den Stellenwert der Radiologie?

Prof. von Eiff: KI trägt wesentlich dazu bei, die Diagnostik zeitlich zu beschleunigen und zu präzisieren, sodass Therapien früher beginnen und effektiver sein können. Lernen kann man vom Ausland, z. B. von Israel, wo KI längst eine gravierende Rolle spielt. Im Sheba Medical Center in Tel Aviv wird das Personal durch KI entlastet, die Qualität der Therapie steigt. Ein Schlaganfall kann dort innerhalb von drei Minuten diagnostiziert werden, inklusive Behandlungsvorschlag. Auch in Deutschland hat KI längst den Weg in den Klinikbetrieb gefunden. Beim Lungenkrebsscreening werden auch Nebeneffekte wie ein vergrößertes Herz oder eine Wirbelkörperfraktur detektiert.

Redaktion: Verändern Beispiele wie diese die Wertschöpfung der Radiologie?

Prof. von Eiff: Big Data nützt gar nichts, wenn niemand die Vielzahl der Daten entscheidungsorientiert auswerten kann. Auch die KI-basierte Diagnose ist nur so qualifiziert wie die Radiologen, die befunden und neue Erkenntnisse in den Prozess der KI-Anwendung einspeisen. Die zentrale Rolle der Radiologie ist daher, die Daten sachgerecht zu generieren und KI-Anwendungen erfahrungsbasiert weiterzuentwickeln. Das ist die Wertschöpfung, durch die eine schnellere und präzisere Diagnostik und eine bessere Therapie möglich werden. Ein Beispiel ist die thermodynamische Diagnostik in der Brustkrebsvorsorge. Sie ist insbesondere bei jüngeren Frauen wesentlich aussagefähiger für die Früherkennung, aber schwierig auszuwerten. Im Zusammenspiel mit KI entsteht ein kombinierter Lernprozess. Der Radiologe lernt und die KI lernt wiederum durch den erfahrenen Radiologen. KI braucht immer den realen Input, sie wird die Radiologie nicht ersetzen, aber durch KI erreicht die Radiologie eine höhere Qualität bei steigender Effizienz.

Redaktion: Wie stehen die Chancen, dass KI bald den Weg in die Regelversorgung schafft?

Prof. von Eiff: Für eine bessere Diagnostik und eine effektivere Therapie geht es letztlich um das Zusammenspiel von drei Komponenten: KI, Miniaturisierung und Tele-Infrastruktur. Ein Smartphone mit KI-Software und Ultraschall-Kopf kommt in der Notfallversorgung zum Einsatz, kann aber auch im Regelbetrieb Patientendaten aus einer Landarzt-Praxis zur Befundung an ein radiologisches MVZ übertragen.

KI kommt nur in die Breite, wenn die damit verbundenen Kosten auch als Kalkulationsbestandteil in das Vergütungssystem aufgenommen werden Auch hier sei Israel wieder als Beispiel genannt. Dort übernehmen die Krankenkassen teilweise die Kosten für telemedizinische Geräte, die der Patient selbst einsetzt. Ist ein Ultraschallkopf, der ans Smartphone angeschlossen wird, für die persönliche Vorsorge nachweislich sinnvoll, bezahlt die Kasse einen Anteil.

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