Wer haftet bei einer horizontalen Arbeitsaufteilung: Der Radiologe oder der Auftraggeber?

von RA Rainer Hellweg, Kanzlei Schroeder-Printzen, Kaufmann & Kollegen, Hannover, www.spkt.de

Insbesondere bei arbeitsteiliger Behandlung von Patienten im Krankenhaus stellt sich oftmals die haftungsrechtliche Frage der horizontalen Arbeitsteilung. Wenn zum Beispiel eine andere Abteilung, ein Belegarzt oder ein sonstiger Überweiser eine radiologische Untersuchung in Auftrag gibt, geht es um die juristische Abgrenzung von Verantwortungsbereichen, wenn aufgrund fehlerhafter Behandlung Schäden beim Patienten auftreten. Doch wann haftet der Radiologe und wann der Auftraggeber? Der folgende Beitrag klärt auf.

Weshalb könnte der Radiologe haften?

Die Haftung des Radiologen ist nicht bereits von vornherein deshalb ausgeschlossen, weil möglicherweise zwischen diesem und dem Patienten kein eigener Behandlungsvertrag zustande kommt. Jedenfalls kommt eine sogenannte „Deliktshaftung“ des Radiologen in Betracht, wenn die radiologische Untersuchung oder Befundung nicht lege artis durchgeführt wurde. Dies gilt auch für den angestellten Krankenhausarzt, der vom Patienten gegebenenfalls neben dem Krankenhausträger in Anspruch genommen werden kann.

Es gilt der Vertrauensgrundsatz

Im Rahmen der horizontalen Arbeitsteilung zum Beispiel zwischen Auftraggeber und Radiologe gilt nach der Rechtsprechung als Ausgangspunkt der Vertrauensgrundsatz. Danach kann sich der Arzt einer bestimmten Fachgruppe vom Grundsatz her darauf verlassen, dass der Kollege aus einer anderen Fachgruppe seine Aufgaben ordnungsgemäß und sorgfältig erfüllt.

Somit kann der Radiologe grundsätzlich auf die vom Auftraggeber gestellte Indikation für die radiologische Untersuchung und eine Weiterbehandlung lege artis vertrauen, der Auftraggeber umgekehrt auf eine zutreffende Befundung durch den Radiologen.

Urteilsfall Nr. 1

Nach einem Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm vom 14. Juni 2000 (Az: 3 U 244/99) ist ein Radiologe bei einer Patientin, die ihm zur Durchführung einer Kontrollmammographie von einem Gynäkologen überwiesen wurde, nicht ohne Weiteres verpflichtet, ergänzend auch noch eine Biopsie oder eine Ultraschalluntersuchung durchzuführen, wenn kein Verdacht auf ein malignes Geschehen besteht. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich der Radiologe blind auf den vom Auftraggeber oder Überweiser gestellten Untersuchungsauftrag verlassen und beschränken darf und dadurch haftungsrechtlich entlastet wäre.

Praxistipp: In jedem Fall muss der Radiologe prüfen, ob der Auftrag richtig gestellt ist und dem angegebenen Krankheitsbild entspricht. Bestehen Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit der ihm übermittelten Diagnose oder zur Indikationsstellung der erbetenen Untersuchung, muss der Radiologe dem nachgehen.

Wie weit reicht der Umfang der geschuldeten Leistung?

Nach der Rechtsprechung richtet sich der Umfang der vom Radiologen geschuldeten ärztlichen Leistungen nach dem Inhalt des Auftrags bzw. der Überweisung. Ist dieser auf eine konkret benannte Diagnosemaßnahme beschränkt, muss der Radiologe grundsätzlich nur diese Maßnahme durchführen. Es obliegt dann dem auftraggebenden bzw. überweisenden Arzt, die Ergebnisse der Befunderhebung zu interpretieren und gegebenenfalls weitere Maßnahmen einzuleiten. Erfolgt jedoch die Überweisung bzw. Beauftragung des Radiologen zur eigenverantwortlichen Abklärung einer Verdachtsdiagnose, muss dieser eigenverantwortlich alle notwendigen Befunde erheben und vollständig auswerten, um den Verdacht entweder zu bestätigen oder auszuschließen.

Urteilsfall Nr. 2

In einem vom OLG Naumburg entschiedenen Fall (Urteil vom 18.1.2008, Az: 1 U 77/07) lautete der Überweisungsauftrag: „CT BWS/LWS – ossär metatast. PCA – beg. Querschnittssymptomatik“. Das Gericht sah dies als beschränkten Auftrag im vorstehend erörterten Sinne an, so- dass nach Auffassung des Gerichts der überweisende Urologe und nicht der Radiologe verpflichtet gewesen wäre, über weitere notwendige Diagnose- oder Therapiemaßnahmen zu entscheiden. Die Haftungsklage gegen den Radiologen wurde abgewiesen, da nach dem eingeholten Sachverständigengutachten dessen Befunderhebung lege artis erfolgte.

Wann haften Auftraggeber und Radiologe gemeinsam?

Die Fälle Nr. 3 und 4 zeigen, dass eine gemeinsame Haftung möglich ist

Urteilsfall Nr. 3

In einem Fall war es durch eine fehlerhafte Abstimmung zwischen Operateur und Radiologin dazu gekommen, dass die Radiologin nach der Untersuchung des intraoperativ entnommenen Gewebes als Ergebnis mitteilte, die operative Entfernung des Mammakarzinoms sei vollständig geglückt. Dieses war jedoch nicht der Fall. Dadurch konnte das Karzinom nachfolgend in die Lymphknoten streuen.

Das OLG Oldenburg sah hierin einen Behandlungsfehler. Hierfür hafteten sowohl der Operateur als auch die Radiologin (Urteil vom 9.7.2008, Az:5 U 32/08).

Wenn zum Beispiel bei einer Röntgenaufnahme Zufallsbefunde offenbar werden, sind sowohl Auftraggeber als auch Radiologe dazu verpflichtet, für die Einleitung weiterer erforderlicher diagnostischer oder therapeutischer Maßnahmen Sorge zu tragen. Bei offensichtlich erkennbaren Befunden kann sogar der Auftraggeber wegen eigener Verantwortlichkeit für die Befundung haftbar gemacht werden.

Urteilsfall Nr. 4

Im Urteil des OLG Brandenburg vom 27. August 2009 (Az: 12 U 233/08) wurden Haftungsansprüche gegen einen Anästhesisten zuerkannt, der eine Röntgenaufnahme in Vorbereitung der Operation für die Anästhesie benutzt hatte, auf der eine etwa zwei Zentimeter große rundliche unscharfe Verdichtung im rechten Unterfeld der Lunge erkennbar war.

Aufgrund der unterlassenen Befundung wurde die Behandlung des letztlich zum Tode führenden Lungenkarzinoms um mehr als ein Jahr verzögert, wofür das Gericht auch den Anästhesisten als verantwortlich ansah. Denn der Lungenkarzinomverdacht hätte angesichts derartiger Auffälligkeit auf dem Röntgenbild auch vom Anästhesisten gestellt werden müssen.

Dies entlastet jedoch den Radiologen nicht von eigener Haftung. Der Radiologe ist verpflichtet, anhand der ihm bekannten Informationen und nach den ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten den Untersuchungsauftrag sorgfältig zu prüfen. Bei Bedenken oder bei einem festgestellten Befund, der die Einleitung weiterer diagnostischer oder therapeutischer Maßnahmen erforderlich macht, muss zumindest Rücksprache mit dem Auftraggeber und Behandler des Patienten gehalten werden.

Fazit

Wenn der Radiologe Zweifel an dem Therapieregime oder der Sinnhaftigkeit der in Auftrag gegebenen radiologischen Untersuchung hat, sollte er mit dem Auftraggeber oder Überweiser Rücksprache halten und dies deutlich machen. Ebenso sollte der Radiologe den Auftraggeber rechtzeitig und deutlich darauf hinweisen, wenn das Ergebnis der radiologischen Befundung weitere therapeutische oder diagnostische Maßnahmen erforderlich macht. Auch wenn der Auftraggeber sich eventuell „auf den Schlips getreten“ fühlen könnte, kann nur so möglichen Haftungsstreitigkeiten vorgebeugt werden.

Letztlich kommt auch dem Auftraggeber eine möglichst genaue Abstimmung und lückenlose Kommunikation zugute. Gerade an der Schnittstelle zwischen Auftraggeber und Radiologen kann es zu haftungsträchtigen Abstimmungsfehlern kommen, die es für beide Seiten zu vermeiden gilt.

Praxistipp: Telefonische Absprachen oder Mitteilungen an den Auftraggeber oder Überweiser sollten in jedem Fall in den Behandlungsunterlagen schriftlich dokumentiert werden. Auch wenn dies im hektischen Arbeitsalltag, insbesondere im Krankenhaus bisweilen schwer einzuhalten ist, ist dies erforderlich, um im Falle eines späteren Haftungsprozesses den Entlastungs-beweis führen zu können.

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