Vom Oberarzt zum Chefarzt: Lohnt dieser Weg heutzutage überhaupt noch?

Was sollte der Oberarzt als Chefarzt in spe bedenken und womit muss er rechnen, wenn die weitere Karriere auf eine Chefarzt-Position führen soll? Und was kann er von denjenigen lernen, die diesen Weg bereits gegangen sind? Dieser Beitrag beleuchtet nicht die formalen Eingangshürden, sondern die rein „praktischen“ Voraussetzungen, die ein künftiger Chefarzt mitbringen sollte.

Abrechnung mit Faktor 10 – das waren Zeiten ... 

Wie haben sich die Zeiten doch geändert: Es ist nur ein paar Jahre her, da war es in der Medizin das Ziel der meisten Jungärzte, später einmal Chefarzt im Krankenhaus zu sein. Die Abrechnung der Chefarzt-Leistung mit dem Faktor 2,3 oder 3,5 war nicht überall die Regel; Chefärzte an größeren (Universitäts-)Kliniken rechneten mit bis zum Faktor 10 ab.

Diese Zeiten sind inzwischen passé. Heute wird der Chefarzt regelmäßig zum kaufmännischen Direktor zitiert und mit den Zahlen seiner Abteilung konfrontiert: „Ihr Case-Mix-Index ist zu niedrig, Sie tragen nicht genug zum Erlös bei“, bekommt da so mancher Chefarzt zu hören – und schon ist sein Bonus dahin.

Vom Chefarzt wird die Quadratur des Kreises erwartet 

Vom Chefarzt neuer Prägung wird in der heutigen Zeit so viel erwartet, dass es fast schon der Quadratur des Kreises gleicht. Er soll

  • seine Abteilung erfolgreich führen,
  • sie nach außen attraktiv vermarkten
  • als leitender Arzt Maßstäbe setzen,
  • in vollem Umfang klinisch tätig sein,
  • die Privatpatienten – die „Cashcows“ der Kliniken – umsorgen und
  • sich in der Aus-, Fort- und Weiterbildung engagieren.

Diese Anforderungen verlangen Stressresistenz und sollten von Oberärzten, die die Chefarzt-Position anstreben, nicht unterschätzt werden. Hinzu kommt die Sandwich-Position des Chefarztes, der „von oben“ dem Druck der Geschäftsleitung ausgesetzt ist und „von unten“ dem Druck der eigenen Abteilung. Von der „Seite“ schließlich drückt der Konkurrenzkampf mit einigen Chefarzt-Kollegen – gerade wenn sich Fachgebiet und Ressourcenbedarf überschneiden.

Die Problemfelder der Chefarzt-Position 

Es stellt sich zudem völlig zu Recht die Frage, wie die umfangreichen Verwaltungsaufgaben bewältigt werden sollen. Was soll man tun? Delegieren geht nicht immer, und stetige Überstunden wirken sich auch nicht positiv auf die Leistungsfähigkeit aus.

Ein weiteres Problemfeld sind die modernen Anreizsysteme aus der Wirtschaft, die im Krankenhaus Einzug gehalten haben und die in der Öffentlichkeit am Pranger stehen. Die Vorwürfe betreffen in erster Linie Chefärzte: Führen bestimmte Bonusvereinbarungen zu unnötigen, medizinisch nicht gerechtfertigten Maßnahmen?

Diesen Vorwürfen, die auch von Patienten erhoben werden und das ärztliche Selbstverständnis betreffen, wird sich jeder Oberarzt stellen müssen, der sich auf dem Weg zum Chefarzt befindet.

Harte Bandagen bei wirtschaftlichen Fragestellungen 

Gerade auf der wirtschaftlichen Ebene einer Klinik wird mit harten Bandagen gekämpft. Zeitverträge, Zielvereinbarungen und Bonussysteme aufgrund von „Balanced Scorecards“ sorgen für ständige Spannung. Der Chefarzt, der sich immer noch in erster Linie als Arzt sieht, muss sich auch in dieser Welt behaupten bzw. darin überleben. Inzwischen gibt es Chefärzte, die den Rückzug angetreten haben und auf ihre Oberarzt-Stelle zurückgekehrt sind. Schließlich hat man als Oberarzt immer noch den Chef über sich, der dem Druck unmittelbar ausgesetzt ist.

Praxishinweis

Gerade bei der Neueröffnung von Abteilungen oder Zentren hat die Geschäftsführung hohe Erwartungen an die Ärzteschaft. Sind Sie hier in verantwortlicher Position, sollten Sie von Anfang an auf eine gute Ausstattung von Personal- und Sachmitteln achten. Auf ein „Fangen Sie erstmal an zu arbeiten, wenn es läuft, sehen wir, was Sie wirklich an Mitarbeitern und Geld brauchen“ sollten Sie sich nicht einlassen.

 

Erfolgsfaktoren für künftige Chefärzte 

Aber wo Schatten ist, muss auch Licht sein. Trotz aller Umwälzungen weisen Chefärzte in Zufriedenheitsanalysen unter Ärzten immer noch die höchsten Werte auf, vor Oberärzten und Niedergelassenen. Offenbar scheint das Plus an Status und Gehalt für viele Chefärzte am Ende doch die Mühe zu lohnen – zumal nicht an jedem Tag die Geschäftsführung zum Gespräch bittet.

Eine glückliche Hand bei der Wahl der Subspezialisierung hat der, dessen eigene klinische Fähigkeiten gerade nachgefragt werden. Besondere Erfolgschancen boten die klassischen Fächer Innere Medizin oder Chirurgie in den letzten Jahren eher weniger, in der interventionellen Radiologie bzw. Neuroradiologie sah es da schon besser aus. Solche Entwicklungen sind jedoch kaum vorherzusagen.

Fazit

Die Anforderungen an (junge) Chefärzte sind enorm, die Arbeitsbelastung und der Stress mit nichtmedizinischen Fragen setzen vielen besonders zu. Auf der Habenseite stehen – im Vergleich zum Oberarzt – die Reputation und das höhere Gehalt; allerdings sind die Spitzenverdienste früherer Jahre längst passé, da junge Chefärzte nur selten privat liquidieren dürfen. Und da sich viele Entwicklungen kurzfristig ändern, die Karriereplanung aber eine mittel- bis langfristige Angelegenheit ist, braucht man sicher auch etwas Glück, um im entscheidenden Moment das richtige Blatt zu haben.