Variabler Einkommensanteil: Worauf der Chefarzt bei der Verhandlung achten sollte!

von RAin und FAin für Arbeitsrecht Sonja Riedemann, LL.M. (LSE), Osborne Clarke – Köln, www.osborneclarke.de

In vielen Chefarztverträgen ist geregelt, dass das Zieleinkommen jährlich neu bestimmt wird. Offen war bisher, was diese Klausel genau bedeutet. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat hierzu kürzlich entschieden: Der Arbeitgeber darf die Zielerreichung nicht willkürlich bestimmen, sondern muss auch die Interessen des Arbeitnehmers berücksichtigen (Urteil vom 14.11.2012, Az. 10 AZR 783/11). Was dies für den Chefarzt bedeutet, klärt dieser Beitrag. 

Vorweg: Ermessen ist nicht Willkür

Der Arbeitgeber hat im Falle eines Falles vor Gericht zu beweisen, dass er den Anteil der Zielerreichung richtig bestimmt hat, also sein „Ermessen“ richtig ausgeübt hat. Auch die Klinikleitung darf ihren Ermessensspielraum als Arbeitgeber des Chefarztes nicht willkürlich ausüben. Bei der Verhandlung über den Anteil der Zielerreichung kann der Chefarzt jedoch nicht verlangen, dass die Geschäftsführung Gehälter vergleichbarer Kollegen offenlegt. 

Der Fall

Der nachfolgende Fall betrifft zwar nicht den Chefarzt-Vertrag, die Urteilsgrundsätze haben jedoch höchste Relevanz für ihn: Eine Wirtschaftsprüfungs-Gesellschaft hatte ein einheitliches „Partnervergütungssystem“ eingeführt, dem auch der später klagende Partner zugestimmt hatte. Das jährlich neu festzulegende Zieleinkommen bestand aus 60 Prozent Festgehalt und 40 Prozent variablen Tantiemen. Ermittelt wurden die Tantiemen nach einer fünfstufigen Beurteilungsskala und einer Selbsteinschätzung des Partners, der die einzelnen Kriterien mit seinem Vorgesetzten gemeinsam gewichtete. 

Den variablen Bezügen wurde zudem die Erwartung zugrunde gelegt, dass der Partner auch im Folgejahr weiter erfolgreich für das Unternehmen tätig ist („Betriebstreue“). Das jährliche Zieleinkommen des klagenden Partners stieg von 400.000 Euro in mehreren Schritten auf zuletzt 740.000 Euro, wurde dann aber auf 520.000 Euro reduziert. Dabei wurde das Fixum nicht abgesenkt, sondern lediglich der variable ­Anteil erheblich reduziert. Das zuvor festgelegte Verhältnis von 60:40 war am Ende nicht mehr gegeben. 

Der betroffene Partner akzeptierte die Absenkung nicht, wollte sein Zieleinkommen mit mindestens 740.000 Euro festgelegt wissen und klagte auf Zahlung sämtlicher Differenzbeträge. Zusätzlich verlangte er Auskunft über die inpiduelle Vergütungssituation der anderen Partner. 

Die Entscheidung

In seinem Urteil stellte das BAG die folgenden Grundsätze für variable Vergütungssysteme auf. Diese Grundsätze gelten auch für Chefarztverträge und konzentrieren sich im Wesentlichen auf folgende beiden Punkte: 

1. Vergütungssystem ist grundsätzlich rechtlich wirksam  

Grundsätzlich verstößt das Vergütungssystem nicht gegen arbeitsrechtliche Regeln: Es wurde klar und verständlich verfasst (sogenanntes Transparenzgebot) und es benachteiligt den Arbeitnehmer nicht unangemessen, wenn es korrekt angewendet wird. Berücksichtigt der Arbeitgeber allerdings bei der Beurteilung der Zielerreichung die Interessen des Angestellten nicht, kann dieser eine Nachzahlung der Tantieme verlangen. Die exakte Höhe der Tantieme wird dann gerichtlich festgelegt. 

2. Treueklausel ist unangemessen  

Unangemessen und damit rechtlich unwirksam ist aber die vertragliche Klausel, welche die Auszahlung des gesamten variablen Teils von der weiteren „Betriebstreue“ abhängig macht. Hingegen ist die Veränderung des Verhältnisses von Fixum und variablem Vergütungsanteil von 60:40 aus dem ersten Jahr im Laufe der Zeit zulässig. Bei einer Anpassung des Einkommens ist aber nur der variable Teil absenkbar. Eine Verringerung des erreichten Fest­gehalts wäre unwirksam. 

Hinweise für den Chefarzt

Ergibt die Auslegung des Chefarztvertrags, dass ein Bonusanteil, der an die „Betriebstreue“ geknüpft ist, in Wahrheit eine Gegenleistung für bereits erbrachte Arbeit darstellt, muss er ohne weitere Bedingungen ausgezahlt werden. In diesem Fall ist die Treueklausel rechtlich hinfällig. Auch nach einer Kündigung behält der Chefarzt somit den Anspruch auf Auszahlung dieses variablen Vergütungsanteils. 

Hat der Chefarzt mit der Klinikleitung im Chefarztvertrag festgelegt, dass das Zieleinkommen jährlich neu zu vereinbaren ist, muss dies auch so geschehen. Die Neubestimmung erfolgt durch eine gemeinsame Vereinbarung – und nicht etwa einseitig. Die zu erreichenden Ziele müssen dabei im Konsens festgelegt werden. 

Selbst wenn der Chefarzt-Vertrag eine einseitige Vorgabe der zu erreichenden Ziele durch das Krankenhaus vorsieht, darf die Einstufung nicht willkürlich geschehen. Im Rahmen ihrer Ermessensausübung hat die Klinik auch die Interessen des Chefarztes zu berücksichtigen. 

Praxishinweis

Schreiben Sie bei Gesprächen, die Ihr Einkommen betreffen, ruhig mit! Im Konfliktfall können Sie somit eine unangemessene Zielfestsetzung, ein zu niedriges Zielgehalt oder die erfolgte Zielerreichung darlegen. Argumentieren Sie bei Gehaltsgesprächen aber immer nur mit der eigenen Leistung: Den Verdienst von Chefarztkollegen muss die Klinik nicht preisgeben!