Unterbliebener Rat zur Stanzbiopsie: Gynäkologin verurteilt, Radiologen nicht

von RA und FA für MedizinR Dr. Rainer Hellweg, Hannover

Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm hat entschieden, dass in dem zugrunde liegenden Fall nach einem auffälligen Tast- und Sonografiebefund die Stanzbiopsie die Methode der Wahl zum sicheren Ausschluss einer Krebserkrankung gewesen wäre. Da die behandelnde Gynäkologin der Patientin hierzu nicht dringend geraten habe, wurde sie zur Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 Euro verurteilt (Urteil vom 12.10.2018, Az. 26 U 172/17 ).

Sachverhalt

Eine Patientin stellte sich mit Mamma-Beschwerden bei ihrer Gynäkologin vor. Palpatorisch ergab sich eine schmerzhafte, grobknotige Mastopathie, zudem waren in der rechten Mamma diverse Knoten sowie eine unklare Resistenz festzustellen. Sonografisch konnte diese nicht eindeutig zugeordnet werden. Daher überwies die Gynäkologin für eine Mammografie an ein Radiologie-Zentrum.

Im radiologischen Zentrum wurde eine digitale Mammografie in zwei Ebenen vorgenommen. Dabei fanden sich mittelknotig konflurierende Parenchymstrukturen mit einem Dichtetyp entsprechend ACR-Typ III, keine Herdbefunde sowie rechtsseitig eine Mikrokalzifikation als kleine Liponekrose rechts. Der Gesatmbefund der Radiologen lautete fibrozystische Mastopathie ohne Malignitätsnachweis sowie eine Einstufung in BI-RADS 1 bei einem ACR-Typ III. Gegenüber der Gynäkologin wurde eine mammografische Kontrolle in zwölf Monaten sowie zwischenzeitliche Palpation und evtl. eine Sonografie zur Befundkontrolle als Individuelle Gesundheits-Leistung (IGeL) empfohlen.

Nachdem die Schmerzen in der Folgezeit zunahmen und die Patientin eine Vergrößerung der festgestellten Struktur bemerkte, konsultierte sie die Gynäkologin erneut. Diese untersuchte und bot eine weitere Sonografie an, die aber nicht mehr durchgeführt wurde. Nach einer Kontrolluntersuchung bei einem anderen Gynäkologen und weiterer Diagnostik – einschließlich einer mehrere Wochen später durchgeführten Stanzbiopsie – wurde die Diagnose auf ein „invasives solides duktales Mammakarzinom rechts“ gestellt. Mehrere Operationen und Chemotherapie konnten die Metastasierung nicht mehr aufhalten. Nach einigen Monaten verstarb die Patientin an multiplen intracerebralen Metastasen.

Entscheidungsgründe des OLG

Die Richter bejahten einen Befunderhebungsfehler der zuerst behandelnden Gynäkologin. Nach dem eingeholten Sachverständigengutachten hätte diese weitere Befunde, insbesondere mittels Stanzbiopsie, erheben müssen. Dass sie der Patientin zur Vornahme einer Stanzbiopsie zumindest nicht mit der erforderlichen Dringlichkeit geraten habe, sei der Gynäkologin anzulasten, da sie „Herrin der Behandlung“ gewesen sei – so die Wertung der Richter.

Radiologen entlastet

Doch auch den Radiologen gegenüber waren Vorwürfe im Prozess erhoben worden, und zwar Diagnosefehler sowie eine fehlerhafte Sicherungsaufklärung: Statt der Einstufung in die Kategorie BI-RADS 1 wäre in die Kategorie 2 – retrospektiv tatsächlich die Kategorie 3 – mit einer Verlaufskontrolle innerhalb von sechs Monaten einzustufen gewesen. Angesichts des dichten Drüsengewebes sei zudem eine ergänzende Sonografie notwendig gewesen, die intolerabel nur als IGeL angeraten worden sei.

Dem erteilte das Gericht eine Absage: Der im Prozess beauftragte radiologische Sachverständige beurteilte die Mammografie als korrekt durchgeführt und – nach dem damaligen Erkenntnisstand – auch richtig befundet. Auch wenn die Einstufung als BI-RADS 1 ex post betrachtet unzutreffend gewesen sein möge, sei die Befundung aus Ex-ante-Sicht fachradiologisch lege artis gewesen, so der Gutachter. Die Empfehlung einer weiteren Sonografie nur als IGeL habe keine schädlichen Auswirkungen auf den weiteren Behandlungsverlauf gehabt.

Praxistipp

Dass im vorliegenden Fall die Gynäkologin haftungsrechtlich als „Herrin der Behandlung“ eingestuft wurde, ändert nichts daran, dass Radiologen bei abklärungsbedürftigen Befunden von sich aus den Patienten und/oder zumindest den behandelnden Fachkollegen informieren sollten. Gerade bei Zufallsbefunden oder Eilbedürftigkeit empfiehlt sich ein rasches initiatives Tätigwerden, das dokumentiert werden sollte, um einem möglichen späteren Haftungsprozess vorzubeugen.