Spekulationsobjekt MVZ – Wie ist die Lage?

von RA Tim Hesse, Kanzlei am Ärztehaus, Münster/Dortmund

Nach Information der Kassenärztlichen Bundesvereinigung waren in Deutschland zum Ende des Jahres 2017 mehr als 2.800 Medizinische Versorgungszentren (MVZ) zugelassen, in denen rund 18.000 Ärzte angestellt oder freiberuflich tätig waren. Da sich der deutsche Gesundheitsmarkt umsatzstark und wenig konjunkturanfällig zeigt, ist er für Kapitalanleger von Interesse. So betätigen sich Finanzinvestoren – gerade im Bereich der Radiologie und Nuklearmedizin – vermehrt als MVZ-Betreiber. Sich hieraus ergebende (Rechts-)Fragen beantwortet der folgende Beitrag.

MVZ: rechtlicher Hintergrund

Im Jahr 2004 führte der Gesetzgeber das MVZ-Modell ein, um neue Beschäftigungsmöglichkeiten für Ärzte in der ambulanten Versorgung und die Möglichkeit der Kooperation unterschiedlicher ärztlicher Fachgebiete oder mit nichtärztlichen Leistungserbringern zu schaffen.

Heute ist der Kreis möglicher MVZ-Gründer gemäß § 95 Abs. 1a SGB V zur Sicherung der Unabhängigkeit medizinischer Entscheidungen auf zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Ärzte und Krankenhäuser, Erbringer nichtärztlicher Dialyseleistungen, gemeinnützige Träger mit Versorgungsauftrag und Kommunen beschränkt.

Früher entstandene MVZ, die zulässigerweise durch andere Leistungserbringer (z. B. Heil- und Hilfsmittelerbringer, Vorsorge-/Rehabilitationseinrichtungen, Apotheker) gegründet worden waren, genießen Bestandsschutz.

Merke

Die Gründung eines MVZ ist heute nur noch in der Rechtsform einer Personengesellschaft (also etwa einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, Partnerschaftsgesellschaft), einer eingetragenen Genossenschaft oder einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung sowie in öffentlich-rechtlicher Form erlaubt.

 

Welche Gründungsvoraussetzungen existieren?

Abgesehen von der passenden Gründereigenschaft und der Wahl einer zulässigen Rechtsform müssen für eine MVZ-Gründung mindestens zwei halbe vertragsärztliche Zulassungen zur Verfügung stehen. Im MVZ muss ein ärztlicher Leiter als angestellter Arzt oder selbstständiger Vertragsarzt tätig sein. Auch eine kooperative Leitung durch Angehörige verschiedener Fachgebiete ist denkbar. Bereiche des Managements können z. B. auch durch Nichtmediziner geleitet werden.

Wer investiert – und wie?

Sog. Private-Equity-Gesellschaften (Investmentfonds) sammeln Kapital und investieren es in Unternehmensbeteiligungen, um diese später gewinnbringend wieder zu verkaufen. Es geht also um die – regelmäßig zeitlich begrenzte – Investition privaten Kapitals zu Anlagezwecken.

Auch Unternehmen wie z. B. der Geräte-Hersteller Siemens investieren. Aufgrund der strengen Vorgaben zur zulässigen Gesellschaftsform ist Investoren grundsätzlich verwehrt, selbst MVZ zu gründen oder zu erwerben. Allerdings kommt eine mittelbare Beteiligung durch den Erwerb einer an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Kinik in Betracht, deren MVZ-Beteiligung und -Betrieb zulässig ist.

Im Übrigen können freiberuflich tätige Ärzte zum Zweck der Anstellung an einem MVZ auf ihre Zulassung verzichten und diese auf das MVZ übertragen. Ein MVZ kann so Zulassungen niedergelassener Vertragsärzte unmittelbar erwerben. Voraussetzung ist, dass die Abgeber in dem MVZ noch mindestens drei Jahre lang als Angestellte weiterarbeiten. Eine Ausschreibung der zu übertragenden Zulassung ist dabei nicht erforderlich – was auch bedeutet, dass die Zulassungsausschüsse der KVen keine Steuerungsfunktion bei der Nachbesetzung übernehmen können.

Darüber hinaus kann ein MVZ wie jeder andere Leistungserbringer eigene Zulassungen zur Nachbesetzung ausschreiben und sich auf ausgeschriebene Kassenarztsitze bewerben. Übernommene Praxen können mit einem angestellten Arzt am bisherigen Ort weitergeführt werden. So finden branchenfremde Investoren Zugang zur ambulanten medizinischen Versorgung. Mit den erworbenen Arztsitzen lässt sich eine lukrative, hochspezialisierte fachärztliche Versorgung organisieren.

Niedergelassenen Radiologen, die sich mit der Aufgabe ihrer Praxis beschäftigen, bleibt angesichts der zunehmenden Investitionsbereitschaft möglicherweise eine langwierige Suche nach einem Praxisnachfolger erspart. Vielfach dürfte sich – abhängig von Steuervor- und -nachteilen – die Möglichkeit bieten, die Praxis lukrativ zu veräußern und die eigene Tätigkeit zu finanziell ansprechenden Konditionen, ggf. unter Reduzierung der Arbeitszeit und befreit von lästigem Verwaltungsaufwand im Anstellungsverhältnis fortzusetzen.

Zahlen und Trends

Die Zahl der in Deutschland zugelassenen MVZ steigt wie die Anzahl der MVZ in Krankenhaus-Trägerschaft stetig. Im Jahr 2016 wuchs die Summe der MVZ-Zulassungen um mehr als 13 Prozent. Die weitaus meisten MVZ arbeiten mit angestellten Ärzten. Im Jahr 2017 waren bei MVZ

  • 1.112 Fachärzte für diagnostische Radiologie und
  • 342 Nuklearmediziner beschäftigt.

Von 2.821 zu Beginn des Jahres 2018 in Deutschland zugelassenen MVZ wurden 1.163, also gut 40 Prozent, von Krankenhäusern getragen. Im Freistaat Thüringen befanden sich zu dieser Zeit bereits fast drei Viertel aller MVZ in Klinikhand, Vertragsärzte machten dort lediglich knapp ein Fünftel der MVZ- Träger aus. In Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt trugen Krankenhäuser jeweils rund 60 Prozent aller MVZ.

Die Zahl der Praxis- und MVZ-Standorte hierzulande in Private-Equity-Hand wurde 2018 auf 420 geschätzt. Im Jahr 2017 waren 35 MVZ-Übernahmen durch Privatinvestoren zu verzeichnen, 2018 noch deutlich mehr. Wie viele Investoren-MVZ aktuell in Deutschland tatsächlich existieren, ist offenbar nicht bekannt. Für den ärztlichen Bereich kann laut KBV eine verlässliche Zuordnung der Träger zu Private-Equity Gesellschaften nicht vorgenommen werden. Die Situation ist daher undurchsichtig.

Welchen Bedenken unterliegt die Investitionszunahme?

Die in Bezug auf die zunehmende Investorenbeteiligung an MVZ-Trägergesellschaften geäußerten Beden-ken sind vielfältig.

  • Hauptsächlich wird die Befürchtung angeführt, der Betrieb von MVZ in der Hand von Finanzinvestoren ohne medizinischen Bezug orientiere sich eher an Gewinnerzielung als an adäquater medizinischer Versorgung.
  • Kritiker sehen die Unabhängigkeit medizinischer Entscheidungen gefährdet.
  • Die Ausbildung konzernartiger Strukturen in der medizinischen Versorgung begünstige das allgemein beobachtete „Praxissterben“, fördere damit Unterversorgung in ländlichen und strukturschwachen Gebieten und befeuere gleichzeitig eine Über- und Fehlversorgung in Großstädten und einkommensstarken Regionen.
  • Bei fortschreitender Entwicklung drohe eine Einschränkung der freien Arztwahl einerseits und der Ausübung des freien Arztberufs andererseits. Auf lange Sicht gehe die Vielfalt des ärztlichen Leistungsangebots verloren.

Fazit

Anzunehmen ist, dass sich die Investorenexpansion in das Gesundheitswesen weiter fortsetzt. Wirksame gesetzliche Vorgaben gegen diesen Trend existieren bisher nicht. Es dürfte jedoch z. B. wenig sinnvoll sein, etablierte ärztliche Einzelpraxen auf Dauer in einen Wettbewerb mit Praxisketten treten zu lassen – oder in einem Planungsbereich die Bündelung eines Großteils der Arztsitze einer Fachgruppe in der Hand eines Konzerns zuzulassen. Insgesamt sollte verhindert werden, dass medizinfremde Kapitalanlagegesellschaften allzu hohe Summen aus dem mit Solidarmitteln finanzierten deutschen Gesundheitssystem herausziehen können.

Um ausuferndem Investitionsverhalten entgegenzuwirken, wäre es denkbar, ausschließlich die in einem MVZ tätigen Ärzte als dessen Betreiber zuzulassen oder ihnen zumindest eine Mehrheitsbeteiligung zu garantieren.

Bei anderen MVZ-Betreibern wie etwa Krankenhäusern könnte (um einer Ausweitung des Krankenhaus-Leistungsangebots über das MVZ vorzubeugen) ein medizinisch-fachlicher Bezug zwischen Klinik- und MVZ-Angebot verlangt oder ein räumlich-regionaler Bezug – bzw. die Erlaubnis zum MVZ-Betrieb nur innerhalb des Klinik-Planungsbereichs – vorgeschrieben werden. Ausnahmen könnte bzw. sollte es für Gebiete geben, für die Unterversorgung festgestellt wurde oder droht.