„Radiologen brauchen grundsätzlich betriebswirtschaftliche Kenntnisse!“

Jeder Radiologe ist gezwungen, ökonomisch zu denken. Anders geht es in unserem Versorgungsystem nicht. So Prof. Dr. Dr. med. Martin Maurer, Facharzt für Radiologie und Leitender Arzt am Universitätsinstitut für Diagnostische, Interventionelle und Pädiatrische Radiologie der Universitätsklinik Bern, Inselspital. Er hat zudem ein Studium der Betriebswirtschaftslehre mit dem Diplom-Kaufmann abgeschlossen und einen Master of Health Economics an der London School of Economics erworben. Ursula Katthöfer ( textwiese.com ) fragte ihn, welche Vorteile betriebswirtschaftliches Know-how hat.

Redaktion: Können betriebswirtschaftliche Kenntnisse dabei helfen, eine Praxis oder Institut wirtschaftlicher zu machen?

Prof. Dr. Maurer: Wir haben auf dem deutschen Markt eine extreme Trennung zwischen der gesetzlichen und der privaten Krankenversicherung. Man muss ganz nüchtern feststellen, dass die Vergütung für die Untersuchung und Behandlung gesetzlich Versicherter teils absurd gering ist. Ökonomisch betrachtet liefert sie dabei nur noch einen Deckungsbeitrag für den laufenden Betrieb, doch eigentlich kann man mit ihr kein Geld mehr verdienen. Da ist dann auch mit betriebswirtschaftlichen Methoden nicht mehr viel zu machen. Das System funktioniert nur, weil die Praxen durch Privatpatienten oder andere Einkommensquellen quersubventioniert werden. Eine weitere Stellschraube ist, bei geringen Vergütungen das „Hamsterrad“ immer schneller zu drehen.

Redaktion: Was bedeutet das für radiologische Praxen oder auch Institute?

Prof. Dr. Maurer: In den 1980-er oder 1990-er Jahren konnte man als Radiologe praktisch nichts falsch machen. Diese Zeiten sind jedoch nun vorbei. In der Bevölkerung herrscht der Irrglaube, man könne rund um die Uhr und an jedem Ort in Deutschland eine Behandlung vom Spezialisten erwarten, und das bei flächendeckend geringen Beiträgen. Vielen Menschen fehlt dabei die Wertschätzung für medizinische Leistung.

In der Radiologie geht der Trend im ambulanten Bereich in Deutschland heute immer stärker zu großen Praxisverbünden mit Prozessen wie am Fließband. Einzelkämpferpraxen, die einmal mit ein bis zwei Radiologen funktionierten, gibt es immer weniger. Dieses aktuelle Arbeitsumfeld hat verschiedene Folgeeffekte: Es bleibt oft nur eine minimale Zeit für die Befunderstellung oder für das Einholen von Zweitmeinungen. Um einmal etwas nachzulesen, reicht oft die Zeit nicht aus. Auch die so überaus wichtige Einordnung in einen Gesamtkontext der Behandlung wird unrealistisch.

Redaktion: Gilt dieser Kostendruck auch für die Kliniken?

Prof. Dr. Maurer: Auch sie leiden. Beim Anteil an den jeweiligen Fallpauschalen ist die Radiologie unterrepräsentiert, die Vergütung hausintern oft sehr gering. Die personell aufwendige und unbedingt notwendige Teilnahme an Röntgendemonstrationen und Tumorboards wird oftmals gar nicht vergütet. So gibt es finanziell wenige Anreize, sich fachlich tiefgründig für die Patienten einzusetzen.

Redaktion: Sehen Sie einen Ausweg?

Prof. Dr. Maurer: Es gibt natürlich noch Nischen in Regionen, in denen es viele Privatpatienten gibt. Zudem gibt es Möglichkeiten von Zusatzverdiensten für spezielle Untersuchungen wie Mammografien im Mammografie-Screening und für Herz-MRT-Untersuchungen. An einigen Stellen bildet sich zudem ein System mit dem Angebot von Leistungen heraus, die die Patienten aus eigener Tasche bezahlen oder für die sie zumindest eine Zuzahlung leisten müssen. Mein Eindruck ist jedoch, dass sich in der Gesundheitspolitik niemand traut, den Menschen zu sagen, dass sich vieles ändern müsste. Wir müssen einen Weg finden, weniger Leistungen mit einer höheren Qualität und einer sinnvollen Einordnung in den Behandlungskontext zu erbringen. Dabei muss jedoch die einzelne Leistung wieder realistisch vergütet werden.

Redaktion: Ist den Radiologinnen und Radiologen das so deutlich bewusst?

Prof. Dr. Maurer: Nach meinem Eindruck ist es vor allem jüngeren Kolleginnen und Kollegen nicht klar. Sie absolvieren ihre Facharztausbildung und werden sich dann dem enormen Arbeitsdruck bewusst, wenn wie am Fließband 40 bis 50 Befunde pro Tag zu erstellen sind. Viele sind dann froh, irgendwie durch den Tag zu kommen. Viele fragen sind dann jedoch, ob sie diesen hohen Arbeitsdruck über viele Berufsjahre aushalten.

Redaktion: Kommen wir zurück zu unserer Ausgangsfrage. Wo sind BWL-Methoden in einer Radiologie-Praxis oder einem radiologischen Institut sinnvoll?

Prof. Dr. Maurer: Ein grundsätzliches Verständnis ist wichtig. Eine Investitionsrechnung ist recht simpel. Wer ein neues Gerät kauft, muss überlegen, wie teuer es ist, wie hoch die laufenden Kosten pro Untersuchung sind und wie viele Untersuchungen nötig sind, damit es sich rentiert. Doch das wird einem im Medizinstudium nicht beigebracht. Da kann es plötzlich zu einem bösen Erwachen kommen, wenn man feststellen muss, dass man sich – beispielsweise in der eigenen Praxis – massiv anstrengt, aber teils ökonomisch gar keinen Effekt in Form eines Gewinns erzielen kann. Auch für die Personalplanung braucht man BWL. Etwa um einen Puffer einzuplanen, weil Mitarbeiter Urlaub nehmen oder krank sind. Allerdings haben große radiologische Verbünde inzwischen eigene, gut organisierte betriebswirtschaftliche Abteilungen, die Einkaufsverhandlungen führen, weil sie größere Mengen kaufen. So müssen sich jüngere radiologische Kollegen, die in einer Großpraxis oder einem MVZ arbeiten, oftmals nicht mehr um betriebswirtschaftliche Belange kümmern.

Redaktion: Schadet es denn, nicht über Betriebswirtschaft nachdenken zu müssen?

Prof. Dr. Maurer: Radiologen sind im Alltag in Klinik und Praxis oft schon sehr beschäftigt. Zudem gibt es eine immer weiter fortschreitende Spezialisierung. Hierbei können diverse spezielle Zertifikate z. B. für die Prostata-MRT oder Herz-MRT erworben werden, was allerdings wiederum Zeit erfordert. Doch Grundkenntnisse der BWL könnten vielen Ärzten und Radiologen sicherlich guttun.

Man kann eine gewisse Diskrepanz im Verhalten von Ärzten beobachten. Während Ärzte im Privatleben sparsam mit finanziellen Ressourcen umgehen mögen, ist in Kliniken eine gewisse Sorglosigkeit im Umgang mit den teils sehr teuren Verbrauchsmaterialien zu beobachten. Das gilt z. B. für die interventionelle Radiologie, wo das Verbrauchsmaterial schnell viele hundert Euro oder mehr kostet. Radiologen mit BWL-Kenntnissen haben hier sicher ein höheres Bewusstsein, dass alles, was sie tun oder an Material verbrauchen, auch Geld kostet.

Redaktion: Was hat Sie bewogen, neben Ihrer Facharztausbildung dieses BWL-Know-how aufzubauen?

Prof. Dr. Maurer: Das Interesse – bevor ich 1998 mit dem Studium anfing, wurde jungen Menschen eher davon abgeraten, Mediziner zu werden, da es damals vermeintlich zu viele Absolventen gab. Deshalb wollte ich mir mit der BWL ein zweites Standbein aufbauen. Medizinstudienplätze waren zuvor drastisch abgebaut worden, was sich heute rächt. Ältere Kollegen scheiden aus dem Berufsleben aus und der hohe Anteil an Ärztinnen und generell eine sich ändernde Einstellung zum Beruf führen zu mehr nur in Teilzeit arbeitenden Ärztinnen und Ärzten. Die Folge ist ein dramatischer Fachärztemangel.

Redaktion: Wenden Sie Ihre betriebswirtschaftlichen Kenntnisse heute in der Klinik an?

Prof. Dr. Maurer: Sie schaden zumindest nicht. Wenn Betriebswirte mit Zahlen jonglieren, dann kann man diese mit BWL-Kenntnissen viel besser einordnen. Man muss dafür kein volles BWL-Studium absolvieren, aber heute gibt es bereits viele auch auf Mediziner ausgerichtete MBA-Programme, die man neben einer Berufstätigkeit in Vollzeit absolvieren kann. Auch ganz einfache Grundkenntnisse der BWL helfen sicher bei der persönlichen Weiterentwicklung.

Redaktion: Vielen Dank!

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