Personaluntergrenzen bald auch für Ärzte?

von RA, FA für MedizinR Dr. Tobias Scholl-Eickmann, Dortmund, www.kanzlei-am-aerztehaus.de

Das „Gesetz zur Modernisierung der epidemiologischen Überwachung übertragbarer Krankheiten“ sieht u. a. für bestimmte Bereiche im Krankenhaus Untergrenzen für das Pflegepersonal vor. Mit Spannung wird die weitere Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben erwartet – die Erfahrungen sollen zeigen, inwieweit auch mit anderen Personaluntergrenzen z. B. für Ärzte geliebäugelt wird. Sicher dürfte sein, dass bei den weiteren Debatten die Ärzteschaft eine zentrale Rolle einnehmen wird. Chef- und Oberärzte sind deshalb gut beraten, im Rahmen der Vertragsverhandlungen auch personelle (oder strukturelle) Mindestgrenzen einzufordern.

Pflegekräfte: Zahlen und Fakten 

Laut Statistischem Bundesamt ist zwischen 1994 und 2015 die Zahl der behandelten Menschen um 24 Prozent gestiegen, während das Personal im Krankenhaus reduziert worden ist. Wurden 1994 noch 342.000 vollzeitäquivalente Pflegekräfte beschäftigt, waren es 2015 nur noch 321.000. Pro Jahr betreut eine Pflegekraft durchschnittlich 60 Fälle (verglichen mit 45 im Jahr 1994).

Gleichermaßen hat die Bertelsmann-Stiftung ermittelt, dass die Belastung der Pflegekräfte in den letzten Jahren stark zugenommen hat. Dabei gibt es allerdings Unterschiede je nach Region und Art der Klinik. So habe eine Pflegevollkraft in einem allgemeinen Krankenhaus im Jahr 2003 statistisch gesehen 57,3 Patienten betreut, 2015 seien es schon 64 gewesen. Während in Hamburg im Jahr 2015 auf jede Vollzeitpflegestelle 55 Patienten kamen, seien es in Niedersachsen 63 gewesen. Die Anzahl der zu betreuenden Patienten pro Pflegekraft sei seit 2003 in allen Bundesländern, außer in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, gestiegen. Überproportional sei die Belastung in Berlin und Niedersachsen gestiegen.

Reaktionen auf das Gesetz 

Nahezu alle Akteure im Gesundheitswesen befürworten die Einführung einer personellen Mindestgrenze in sensiblen Teilbereichen der Pflege. Allerdings endet hier auch schon die Gemeinsamkeit:

Einige prangern die nun fixierte Vorgabe als „Minimallösung“ an, da Untergrenzen nur „Mindestmaß“ bedeuteten. Andere kritisieren, dass die Personalstandards nicht wissenschaftlich ermittelt, sondern von Kassen und Kliniken festgelegt würden. Die Befürworter des Gesetzes weisen darauf hin, dass die Einhaltung der Mindeststandards überprüft und unabhängig bestätigt werden müsse.

Die DKG unterstützt grundsätzlich das Ziel einer verbesserten Personalausstattung, sieht aber durch die Arbeitsmarktlage praktische und finanzielle Probleme für die Kliniken. Personaluntergrenzen seien daher nur in nachweislich besonders pflegesensitiven Bereichen zu rechtfertigen, die Personalverantwortung müsse in Krankenhaushand bleiben.

Eine völlig andere Richtung verfolgt die Bundesärztekammer (BÄK): Sie plädiert dafür, nicht nur bei Pflegekräften, sondern auch bei Medizinern Personaluntergrenzen festzulegen mit dem Ziel, eine Gefährdung der medizinischen Versorgung und der Mitarbeiter zu vermeiden.

Darauf sollten Chefärzte achten 

Die personelle Ausstattung der Klinik ist immer wieder Streitthema zwischen Chefärzten und Krankenhausträgern. So werden (angehende) Chefärzte meistens vertraglich verpflichtet, die einzel- oder tarifvertraglich vereinbarten Arbeitszeiten der Ärzte und nicht ärztlichen Mitarbeiter ihrer Abteilung einzuhalten. Die Hoheit über die Stellenplanung und -besetzung verbleibt aber i. d. R. allein beim Krankenhausträger. Diese wehren sich häufig „mit Händen und Füßen“ gegen eine Ergänzung, dass der Krankenhausträger zur Erfüllung der dienstlichen Aufgaben ausreichend Personal für die vom Chefarzt geführte Abteilung zur Verfügung zu stellen hat. Dies erstaunt umso mehr, als diese Pflicht nur fixiert, was ohnehin arbeitsrechtlich geschuldet ist. In einigen Fällen erweist sich die personelle Besetzung gar als „Zünglein an der Waage“.

Eckpunkte für die Untergrenzen beim Pflegepersonal im Krankenhaus

1. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) haben im Benehmen mit dem Verband der privaten Krankenversicherung und unter Beteiligung des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) spätestens bis zum 30.06.2018 verbindliche Pflegepersonaluntergrenzen für solche Krankenhausbereiche festzulegen, in denen dies aus Gründen der Patientensicherheit besonders notwendig ist. Hierbei werden Intensivstationen sowie die Besetzung des Nachtdienstes miteinbezogen. Die Vereinbarung muss zum 01.01.2019 wirksam werden. Sollte bis zum 30.06.2018 keine Vereinbarung zustande kommen, wird das BMG bis zum 31.12.2018 durch eine Rechtsverordnung ersatzweise die ausstehenden Entscheidungen treffen

2. Der Pflegezuschlag, der mit dem Krankenhausstrukturgesetz eingeführt worden war und den Krankenhäuser seit diesem Jahr zur Förderung einer guten pflegerischen Versorgung erhalten, wird ab 2019 von bisher 500 Mio. Euro auf bis zu 830 Mio. Euro pro Jahr aufgestockt. Er kommt vor allem den Krankenhäusern zugute, die viel Personal beschäftigen. Denn Krankenhäuser erhalten den erhöhten Zuschlag in Abhängigkeit von ihrer Pflegepersonalausstattung. Soweit die Pflegepersonaluntergrenzen zu Mehrkosten führen, die nicht bereits anderweitig finanziert sind, können krankenhausindividuelle Zuschläge vereinbart werden.

3. Um die Pflege nicht in anderen Bereichen zu schwächen, sollen sogenannte Substitutions- bzw. Personalverlagerungseffekte vermieden werden. Dies ist durch „geeignete Maßnahmen“ sicherzustellen.

4. Ausnahmetatbestände und Übergangsregelungen sind vorzusehen.

5. Für den Fall, dass ein Krankenhaus die Personaluntergrenzen nicht einhält, sind Vergütungsabschläge nach § 11 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) vorzusehen.

6. Ab 2019 müssen die Krankenhäuser durch Bestätigung eines Wirtschaftsprüfers oder vereidigten Buchprüfers die Einhaltung der Personaluntergrenzen differenziert nach Personalgruppen und Berufsbezeichnungen nachweisen.

7. Die Folgen von Personaluntergrenzen in der Pflege sollen bis Ende 2022 wissenschaftlich überprüft werden.