Nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit gilt die vierjährige Ausschlussfrist nicht!

von RA und FA für MedR Rudolf Gläser, Bremen, www.hammerundpartner.de 

Sachlich-rechnerische Berichtigungen von vertragsärztlichen Honoraren aufgrund von aufgeflogenen verdeckten Anstellungsverhältnissen sind oft existenzbedrohend. Nach Auffassung des Sozialgerichts (SG) Schwerin muss die Kassenärztliche Vereinigung (KV) solche Berichtigungen aber auf Zeiträume beschränken, die nicht mehr als vier Jahre zurückliegen. Nach Ablauf der vierjährigen Ausschlussfrist kämen Honorarberichtigungen nur in Betracht, wenn Vorsatz oder jedenfalls grobe Fahrlässigkeit des Arztes gegeben sind (Urteil vom 17.9.2014, Az. S 3 KA 23/10).

Der Fall 

Eine Fachärztin ließ sich zum Juli 1992 nieder. Ein Teil der Finanzierung der mit hohem operativem und personellem Aufwand betriebenen Praxis erfolgte durch ein „partiarisches Darlehen“, wobei aus steuerlichen Gründen ein „Gründungsvertrag“ mit dem Darlehensgeber abgeschlossen wurde, der selbst andernorts Vertragsarzt war. Hierin wurde der Vertragsärztin eine Tätigkeitsvergütung als Gewinnvorab garantiert. Der übersteigende Gewinn sollte zum größten Teil dem Darlehensgeber zustehen.

Dieser Vertrag wurde dem Zulassungsausschuss nicht vorgelegt; ebenso nicht ein wenig später an dessen Stelle tretender „Gesellschaftsvertrag“, wonach über die bereits geregelte Gewinnverteilungsabrede hinaus die Geschäftsführung von den Partnern gemeinschaftlich vorgenommen werden sollte. Tatsächlich wurde die Geschäftsführung allerdings alleine von der Ärztin und ihrem später hinzugetretenen Gemeinschaftspraxispartner (nicht aber vom finanzierenden Gesellschafter) ausgeübt.

Nach dem Bekanntwerden dieses Sachverhalts im Jahr 2003 berichtigte die KV die Honorarabrechnungen der Vertragsärztin ab dem Juli 1992 bis zur Beendigung ihrer Tätigkeit am 30. April 1999 sachlich-rechnerisch; die Leistungen wurden komplett gestrichen und das entrichtete Honorar in Höhe von mehr als 12 Millionen Euro zurückgefordert, da die Leistungen „nicht persönlich im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen“ erbracht worden seien.

Die Entscheidung 

Die Klage der Ärztin vor dem Sozialgericht war nunmehr zumindest insoweit erfolgreich, als Honorarberichtigungen nur die letzten vier Jahre betreffen dürfen. Das SG begründete sein Urteil maßgeblich mit § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X. Danach sind sachlich-rechnerische Richtigstellungen nach Ablauf der von der ständigen Rechtsprechung bestätigten vierjährigen Ausschlussfrist rechtswidrig, wenn nicht Ausnahmetatbestände des § 45 SGB X eingreifen. Einen solchen Ausnahmebestand sah das SG hier nicht. Die schriftlichen Urteilsgründe liegen allerdings noch nicht vor.

Das Bundessozialgericht (BSG) hatte in seiner Entscheidung vom 23. Juni 2010 (Az. B 6 KA 7/09) diesbezüglich ohne nähere Begründung im Falle einer radiologischen Gemeinschaftspraxis, die in den Quartalen 4/1996 bis 1/2001 geführt wurde, einen Vertrauensschutz nach § 45 SGB X verneint, weil den dortigen Beteiligten die Unrechtmäßigkeit ihrer vertraglichen „Konstruktionen“ bewusst gewesen sei (siehe RWF 8/2010). Ein solches Bewusstsein verneinte das SG Schwerin im Falle der Ärztin: Was die Kenntnis der rechtlichen Anforderungen an eine freie Praxisausübung betrifft, könne von einer Fachärztin mit „DDR-Hintergrund“ nicht erwartet werden, in den Jahren 1992 bis 1999 schon die spätere restriktive Rechtsprechung der Instanzgerichte und des Bundessozialgerichts in den 2000er-Jahren vorausgeahnt zu haben. Jedenfalls grobe Fahrlässigkeit sei ihr nicht anzulasten, sodass zu ihren Gunsten die vierjährige Ausschlussfrist greife.

Kommentar zu dem Urteil 

Nicht immer ist bei der Eingehung von Gesellschaftsverträgen, die auf verdeckte Anstellungen hinauslaufen, ein Unrechtsbewusstsein der Beteiligten gegeben. Dies gilt erst Recht bei Verträgen, die vor dem BSG-Urteil aus 2010 geschlossen wurden, da zu dieser Zeit die restriktiven Kriterien dieser Entscheidung weder bekannt noch mit hinreichender Deutlichkeit absehbar waren.

Das Urteil des BSG selbst ist weiterhin insofern zu kritisieren, als es den Bestand des vertragsärztlichen Status im Innenverhältnis in den Fällen ignoriert, in denen „die Zulassungsgremien eine Zulassung bei Kenntnis der genauen Umstände nicht erteilt hätten bzw. nicht hätten erteilen dürfen“. Bei den Zulassungsausschüssen handelt es sich nämlich um selbstständige, paritätisch besetzte Gremien, die gerade nicht mit der jeweiligen KV gleichzusetzen sind. Selbst wenn die Zulassungsgremien getäuscht werden – sei es auch nur durch Unterlassen –, ist damit immer noch keine Täuschung der KV bei der Abrechnung verbunden.

Fazit

Die besondere Bedeutung des Urteils des SG Schwerin liegt darin, dass dieses einer nach den Umständen des Einzelfalls nachvollziehbaren Vertrauensschutz-Konstellation Rechnung trägt und damit unbillige Härten jenseits der Vierjahresfristen für sachlich-rechnerische Berichtigungen vermeidet. Die diesbezüglichen Argumente dürften auch in anderen Auseinandersetzungen nutzbar sein.