MVZ: Kassenführung ist keine genuine Aufgabe der ärztlichen Leitung

von RA und FA für MedizinR Till Sebastian Wipperfürth, LL.M., D+B Rechtsanwälte, Berlin, www.db-law.de

Die Zahl der Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) in Deutschland steigt seit Jahren und damit auch die damit verbundenen rechtlichen Fragen. Ein Leser fragt: „ Hat der ärztliche Leiter eines MVZ, der bei der MVZ-GmbH angestellt ist, Zugriff auf die Bareinnahmen in der Kasse des MVZ? Haftet der ärztliche Leiter gegenüber der MVZ-GmbH für den Kassenbestand? “ Die Antwort leitet sich aus der zugrundeliegenden Aufgabenverteilung innerhalb eines MVZ ab.

Abgrenzung zwischen ärztlicher Leitung und Geschäftsführung

Allein die Stellung als ärztlicher Leiter berechtigt nicht, die Kasse mit den Bareinnahmen des MVZ zu führen. Denn die ärztliche Leitung ist nicht mit der kaufmännischen Geschäftsführung gleichzusetzen. Dies gilt auch, wenn bei einem MVZ, in dem die Gesellschafter selbst ärztlich tätig sind, beide Funktionen häufig von derselben Person wahrgenommen werden. Die folgenden Ausführungen gelten für die Konstellation, dass das MVZ von einer GmbH als Trägergesellschaft betrieben wird und Geschäftsführer und ärztlicher Leiter personenverschieden sind.

Aufgaben des Geschäftsführers

Der Geschäftsführer ist das Leitungsorgan der MVZ-Trägergesellschaft. Er trifft alle Entscheidungen in kaufmännischer Hinsicht, die für den wirtschaftlichen Betrieb des MVZ erforderlich sind. Seine Aufgaben sind vielfältig. So ist der Geschäftsführer bspw. zuständig für

  • die Einstellung des nichtärztlichen Personals,
  • die Verhandlungen zum Kauf eines neuen MRT,
  • den Abschluss von Darlehensverträgen mit Banken oder
  • die Ausübung des Optionsrechts gegenüber dem Vermieter zur Verlängerung des Praxismietvertrags.

Der Geschäftsführer kann Arzt des MVZ sein, muss es aber nicht.

Aufgaben der ärztlichen Leitung

Von der Geschäftsführung ausgenommen ist die ärztliche Leitung des MVZ. Nach der gesetzgeberischen Vorstellung beschränkt sich die Kernaufgabe des ärztlichen Leiters darauf, die Organisation und die Betriebsabläufe des MVZ in fachlich-medizinischer Hinsicht zu steuern. Dabei hat er, auch und gerade gegenüber der Geschäftsführung, sicherzustellen, dass die Ärzte des MVZ ihre medizinischen Entscheidungen frei von sachfremden Erwägungen treffen.

Ferner hat der ärztliche Leiter zu gewährleisten, dass die im MVZ tätigen Ärzte die vertragsärztlichen Verpflichtungen einhalten, z. B. dass sie eine Abrechnungsgenehmigung für genehmigungspflichtige Leistungen besitzen, das Wirtschaftlichkeitsgebot bei der ärztlichen Behandlung beachten etc. Regelmäßig ist der ärztliche Leiter außerdem für die Abrechnung gegenüber der KV verantwortlich.

Merke

Die Kassenführung zählt nicht zu den genuinen Aufgaben der ärztlichen Leitung, sondern obliegt dem Geschäftsführer.

 

Kassenführung kann ärztlichem Leiter übertragen werden

Dem Geschäftsführer steht es allerdings frei, die Kassenführung dem ärztlichen Leiter – wie auch jedem anderen ärztlichen oder nichtärztlichen Mitarbeiter des MVZ – zu übertragen. Das kann sinnvoll sein, wenn bspw. die Trägergesellschaft mehrere MVZ-Standorte betreibt und die Verwaltung aller Kassen durch den Geschäftsführer praktisch nicht möglich ist.

Soll ein Arzt des MVZ, z. B. dessen ärztlicher Leiter, die Kasse verwalten, bedarf dies in aller Regel einer ausdrücklichen arbeitsvertraglichen Vereinbarung oder jedenfalls der Zustimmung des betroffenen Arztes. Denn im Wege des einseitigen Direktionsrechts kann der Arbeitgeber nur solche Tätigkeiten zuweisen, die sich innerhalb des vereinbarten Berufsbilds halten. Die Kassenführung gehört nach der maßgeblichen Verkehrsauffassung weder zu den typischen Aufgaben eines angestellten Arztes noch zu denen eines ärztlichen Leiters.

Merke

Für das nichtärztliche Personal kann – anders als bei Ärzten – die Kassenführung durchaus zu den typischen Aufgaben zählen, etwa wenn ein Mitarbeiter als „Praxismanager“ eingestellt wird.

 

Haftung für den Kassenbestand nur in Ausnahmefällen

Eine Haftung des ärztlichen Leiters für den Kassenbestand kommt grundsätzlich nur in Betracht, wenn ihm sein Arbeitgeber den Griff in die Kasse nachweisen kann. Eine verschuldensunabhängige Garantiehaftung dergestalt, dass er Fehlbestände auszugleichen hat, gleich, ob sie durch ihn, andere Mitarbeiter des MVZ oder sonstige Dritte (Patienten, Lieferanten etc.) verursacht sind, scheidet dabei aus.

Dies kann anders zu beurteilen sein, wenn dem ärztlichen Leiter im Arbeitsvertrag die Verwaltung der Kasse als Dienstaufgabe zugewiesen worden ist. Ergibt der Abgleich mit dem Kassenbuch oder sonstigen Aufzeichnungen (Quittungskopien, Kassenbons, elektronische Aufzeichnungen etc.) einen zu niedrigen Kassenbestand, kann der ärztliche Leiter ausnahmsweise verpflichtet sein, den fehlenden Geldbetrag zu erstatten. Auch dann sind die Anforderungen an einen Schadenersatzanspruch allerdings hoch. Der Verschuldensnachweis obliegt dem Arbeitgeber:

  • Nach den von der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen der eingeschränkten Arbeitnehmerhaftung haftet der Arbeitnehmer nicht für leichte Fahrlässigkeit.
  • Bei mittlerer Fahrlässigkeit trägt der Arbeitnehmer den Schaden anteilig.
  • Nur wenn der Arbeitnehmer grob fahrlässig oder gar vorsätzlich gehandelt hat, haftet er voll. Selbst bei grober Fahrlässigkeit können zugunsten des Arbeitnehmers Haftungserleichterungen bestehen, z. B. bei einem deutlichen Missverhältnis zwischen Verdienst und Haftungsrisiko.

Dabei wirken sich Organisationsmängel zulasten des Arbeitgebers aus. Dies ist bspw. der Fall, wenn der Geschäftsführer des MVZ den ärztlichen Leiter veranlasst, den Kassenschlüssel im MVZ aufzubewahren, andere Mitarbeiter über Zweitschlüssel verfügen oder der Geschäftsführer regelmäßige Kontrollen unterlässt.

Dies zugrunde gelegt, ist eine volle Haftung des ärztlichen Leiters für fehlende Kassenbeträge nur ausnahmsweise begründet, etwa wenn er Bareinnahmen veruntreut (= vorsätzlich begangene Straftat) oder für Privatausgaben aus der Kasse entnimmt und es anschließend versäumt, die Entnahmen wieder zurückzuzahlen (= grob fahrlässiges Verhalten). Kleinere Nachlässigkeiten, wie sie im Praxisalltag immer wieder vorkommen – der ärztliche Leiter vergisst bspw. nach entgegengenommener Zahlung, die Kasse wieder zu verschließen – dürften im Bereich der leichten Fahrlässigkeit liegen und keinen Schadenersatzanspruch des MVZ begründen.

Weiterführende Hinweise