LSG Hessen spricht Radiologen höheres RLV wegen „außergewöhnlichen Gründen“ zu

von RA FA MedR Dr. Tobias Eickmann, Kanzlei am Ärztehaus, Frehse Mack Vogelsang, Dortmund, www.kanzlei-am-aerztehaus.de

Die bisherigen Erfahrungen mit der Abrechnung unter RLV-Bedingungen zeigen vor allem eines: Viele Fragen bleiben noch zu klären. Dass eine rechtliche Auseinandersetzung für Ärzte durchaus erfolgreich sein kann, zeigt eine aktuelle Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) Hessen. Dieses hat einer radiologischen Gemeinschaftspraxis im Wege einstweiligen Rechtsschutzes zugestanden, Leistungen im Fachgebiet der Radiologie auf Basis höherer Fallzahlen abzurechnen als im Vorjahresquartal erbracht wurden (Beschluss vom 21.12.2009, Az: L 4 KA 77/09 B ER). Das LSG Hessen hat dabei erstmals Anforderungen an einen „außergewöhnlichen Grund“, der eine Sonderregelung bei der Berechnung des RLV ermöglichen kann, formuliert. 

Sachverhalt

Eine radiologische Gemeinschaftspraxis mit Vorhaltung von CT und MRT hatte 6,5 Millionen Euro in neue Praxisräume investiert. Im Quartal 3/09 sollte – nach Erhalt der notwendigen Abrechnungs­genehmigungen für die Geräte – mit dem Praxisbetrieb in vollem Umfang begonnen werden. 

Aufgrund verschiedener Umstände waren die drei Ärzte im Referenzquartal 3/08 allerdings nur in sehr eingeschränktem Umfang vertragsärztlich tätig. So bestand vorübergehend eine nur zeitlich eingeschränkte Nutzungsmöglichkeit der Geräte, der Praxisumbau selbst verzögerte sich und ein Konkurrent hatte erfolgreich gegen eine zunächst genehmigte Zweigpraxis Widerspruch erhoben. Auf Basis der daraus resultierenden niedrigen Fallzahlen wies die Kassenärztliche Vereinigung (KV) der Gemeinschaftspraxis ein RLV in Höhe von nur 5.860 Euro für das Quartal 3/09 zu. 

Die Gemeinschaftspraxis verlangte im Wege einstweiligen Rechtsschutzes, dass ihr unmittelbar eine Abrechnung bis zur Höhe des Fachgruppendurchschnitts ermöglicht werden müsse. Das Sozialgericht Marburg entschied in diesem Sinne (Beschluss vom 6.8.2009, Az: S 11 KA 430/09 ER). Die KV erhob Beschwerde zum LSG Hessen und hielt entgegen, dass der Honorarvertrag eine Wachstumsmöglichkeit durch die Anknüpfung an das jeweilige Vorjahresquartal nur bis zur Abstaffelung vorsehe. Für eine Ausnahmeregelung sei kein Raum, da die drei Ärzte im Referenzquartal bereits als Vertragsärzte niedergelassen waren. 

Entscheidungsgründe

Das LSG Hessen sprach den Ärzten ein deutlich höheres RLV für die Quartale 3/09 und 4/09 zu. Dies allerdings nicht bis zur Höhe des Fachgruppendurchschnitts, sondern in einer Höhe, dass der Erhalt der Praxis gesichert werden konnte. Anders als noch das SG Marburg ging der Senat nicht davon aus, dass die vorgenommene Zuweisung des RLV evident rechtswidrig sei. 

Kein Anspruch auf direkten Wachstum bis zum Durchschnitt

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) müssen umsatzmäßig unterdurchschnittlich abrechnende Praxen die Möglichkeit haben, zumindest nach absehbarer Zeit den durchschnittlichen Umsatz der Fachgruppe zu erreichen. Dies folgt aus dem Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit. Anders als die Vorinstanz wollte das LSG Hessen den klagenden Ärzten jedoch kein sofortiges Wachstum bis zum Fachgruppendurchschnitt ermöglichen. Die derzeitige Möglichkeit eines Honorarwachstums auf durchschnittliche Werte innerhalb eines Jahres ist nach Auffassung des LSG nicht zu beanstanden. Daher bedürfe es im Honorarverteilungsvertrag (HVV) auch keiner speziellen Regelung für unterdurchschnittlich abrechnende Praxen. 

„Außergewöhnliche Gründe“ bei RLV-Zuweisung zu beachten

Das LSG weist darauf hin, dass der HVV für bestimmte Fallkonstellationen Ausnahmeregelungen enthalte. Dies sei zwingend durch den Bewertungsausschuss vorgegeben worden. So könnten auf Antrag des Arztes Ausnahmen von der Abstaffelung und nach Genehmigung durch die KV Leistungen über das arzt-/praxisbezogene RLV hinaus unter Umständen vergütet werden. Das aber nur dann, wenn außergewöhnliche Gründe – auch unverschuldete (zum Beispiel Krankheit) – vorlägen, die zu einer niedrigeren Fallzahl geführt haben, sodass daraus eine außergewöhnlich starke Erhöhung der Zahl der behandelten Versicherten im Vergleich zum Vorjahresquartal resultiere. 

Ausgehend von der Verwaltungspraxis der KV liege ein außergewöhnlicher Grund in diesem Sinne jedenfalls dann vor, wenn er eine unverschuldete oder nachweisliche Schließung der Praxis von über 14 zusammenhängenden Tagen zur Folge hatte (zum Beispiel Krankheit) und in gleichgelagerten Fällen. Die Auffassung der KV, wonach dafür eine Nichtausübung der ärztlichen Tätigkeit für zumindest zwei Wochen zu fordern sei, verwarf das LSG: Das Erfordernis einer Praxisschließung ergebe sich nicht aus der beispielhaften Nennung einer Krankheit. Denkbar seien auch Fälle einer länger andauernden Erkrankung mit intensivem Behandlungsbedarf (zum Beispiel Dialyse, Chemotherapie), die aufgrund ihrer Schwere dazu führen, dass über einen längeren Zeitraum eine Praxisführung nur unter eingeschränkten (zeitlichen) Bedingungen möglich sei, ohne dass es dabei zu einer Praxisschließung kommen müsse. Auch in solchen Fällen seien Fallzahlminderungen denkbar. 

Darüber hinaus seien auch andere Fallgestaltungen zu berücksichtigen, wenn sie eine vergleichbare außergewöhnliche Qualität haben. Dabei komme es auf ein Verschulden des Arztes gerade nicht an. Derartige außergewöhnliche Gründe sah das LSG im zu entscheidenden Fall als gegeben an. 

Konsequenzen aus der Entscheidung

Obgleich die viel zitierte arztfreundliche Entscheidung des SG Marburg somit keinen Bestand hat, ist der vorliegende Beschluss des LSG Hessen zu begrüßen. Dieser verdeutlicht, dass die vorgegebenen Regelungen des Erweiterten Bewertungsausschusses, die in den jeweiligen HVV umgesetzt worden sind, flexibel und sachgerecht zu nutzen sind. Der schematischen und – vielfach pauschal abweisenden – Verwaltungspraxis einzelner KVen wird eine deutliche Absage erteilt. 

Gerade im Geltungsbereich der RLV gibt es Praxen, die aufgrund verschiedener Umstände nicht in das „vorgegebene Raster“ passen, wie der entschiedene Sachverhalt beispielhaft belegt. Betroffene Praxen sollten prüfen, ob auf Grundlage des HVV Sonderregelungen vorgesehen und die Vorgaben des Bewertungsausschusses rechtmäßig umgesetzt sind. 

Ob ein rechtliches Vorgehen sinnvoll ist, sollte dann im jeweiligen Einzelfall entschieden werden. Zwar wird nicht in allen Fällen auf rechtlichem Weg eine bessere Honorierung erreicht werden können. Die vorliegende Entscheidung zeigt jedoch, dass ein gezieltes Vorgehen im Einzelfall erfolgreich sein kann.