Kündigung wegen verspäteter Anzeige der Arbeitsunfähigkeit kann zulässig sein

Die verspätete Anzeige einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit (AU) oder deren Fortdauer kann einen verhaltensbedingten Grund zum Ausspruch einer Kündigung darstellen (Bundesarbeitsgericht [BAG], Urteil vom 07.05.2020, Az. 2 AZR 619/19).

von RA Kristian Schwiegk, Voß.Partner Medizinrecht, Münster, voss-medizinrecht.de

Sachverhalt

Der Arbeitgeber hatte seinen Arbeitnehmern die Weisung erteilt, dass das Vorliegen und die voraussichtliche Dauer einer AU unverzüglich bei dem jeweiligen Vorgesetzten/dessen Vertreter angezeigt werden müsse. Die bloße Abgabe oder Übersendung einer AU-Bescheinigung reiche nicht aus. Entsprechendes gelte für die Fortdauer der AU.

Ein Arbeitnehmer war binnen eines Sechs-Monats-Zeitraums wiederholt arbeitsunfähig erkrankt. In einem Fall hatte er gar keine AU-Bescheinigung und in zwei weiteren Fällen diese erst mit mehrtägigen Verspätungen bei dem Pförtner abgegeben.

Wegen des ersten Falls mahnte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer ab. Auf die zwei weiteren Vorfälle hin sprach der Arbeitgeber die Kündigung aus.

Gegen die Kündigung erhob der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage. Nachdem die Gerichte in erster und zweiter Instanz noch für den Arbeitnehmer entschieden, hob das BAG diese Entscheidungen auf.

Entscheidungsgründe

Nach Auffassung des BAG stellt die schuldhaft unterbliebene oder verspätete Anzeige des (Fort-)Bestehens einer AU eine Verletzung des Arbeitnehmers gegen arbeitsvertragliche (Neben-)Pflichten dar. Diese Pflichtverletzungen können eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen. Hintergrund sei, dass die unverzügliche Anzeigepflicht den Arbeitgeber in die Lage versetzen solle, sich auf das Fehlen des arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers möglichst frühzeitig einstellen zu können. Dieses Bedürfnis bestehe auch bei einer Fortdauer der AU über den zunächst mitgeteilten Zeitraum hinaus. Dies gelte grundsätzlich auch unabhängig von einer etwaigen Pflicht zur Entgeltfortzahlung.

Bedeutung für Praxisinhaber

Das Urteilsszenario dürfte nahezu jedem Praxisinhaber/-verantwortlichen bekannt sein. Aufgrund einer erst verspätet (oder gar nicht) angezeigten AU kommt es zu (erheblichen) Störungen im Betriebsablauf. Die anwesenden Kollegen müssen die Mehrarbeit auffangen. Unfrieden innerhalb der Belegschaft kehrt ein.

Klare Weisungen von Vorteil

Grundsätzlich gilt, dass sich durch klare und praktikable Weisungen an die Arbeitnehmer, wann, wie und gegenüber wem eine AU anzuzeigen ist, viele spätere Streitigkeiten vermeiden lassen.

Praxistipp

Regelmäßig empfiehlt es sich, diejenigen Mitarbeiter mit der Entgegennahme von „Krankmeldungen“ zu autorisieren, die eine bestmögliche Erreichbarkeit und Weitergabe gewährleisten (z. B. durch eine zuverlässige Vollzeitkraft).

 

Bei Missachtung der Regeln unbedingt reagieren

Kommt es dennoch zu einer Missachtung, muss diese nicht immer mit einer Abmahnung oder gar Kündigung sanktioniert werden. Eine (dokumentierte) Reaktion des Arbeitgebers sollte jedoch zwingend erfolgen! Andernfalls würde der Arbeitgeber zu einem späteren Zeitpunkt ggf.

  • mit dem Einwand des aufgezeigten Fehlverhaltens ausgeschlossen sein oder
  • Gefahr laufen, konkludent zum Ausdruck gebracht zu haben, er akzeptiere bzw. dulde dieses Verhalten.

Angesichts der vielen weiteren rechtlichen Besonderheiten ist eine frühzeitige anwaltliche Beratung anzuraten. Die Bewertung der eigenen rechtlichen Position und das Aufzeigen der Handlungsmöglichkeiten noch vor dem Ergreifen erster Maßnahmen maximiert regelmäßig die eigenen Erfolgsaussichten.

Weiterführender Hinweis