„Kinderradiologie wird nie zur Routine.“

Kleinen Patienten die Furcht vor dem MRT zu nehmen, ist nur eine der Anforderungen an die Kinderradiologie. Die Spanne vom Ungeborenen bis zum Jugendlichen ist enorm. Jedes Lebensalter erfordert spezielles Wissen. Prof. Dr. Hans-Joachim Mentzel ist Leitender Arzt der Kinderradiologie am Universitätsklinikum Jena und Präsident der Gesellschaft für Pädiatrische Radiologie e. V. (GPR). Ursula Katthöfer ( textwiese.com ) fragte ihn zum Stand seines Fachs.

Redaktion: Wo sehen Sie die besonderen Herausforderungen in der Kinderradiologie?

Mentzel: Die größte Herausforderung ist, bei knapper werdenden Ressourcen dem Anspruch einer zunehmend individualisierten Kindermedizin gerecht zu werden. Es fehlen Fachärzte mit Schwerpunkt Kinder- und Jugendradiologie und geschultes Assistenzpersonal. Da sind wir als kinderradiologische Fachgesellschaft bei der Weiterbildung gefordert, um interessierte Kolleginnen und Kollegen an das Fach heranzuführen.

Redaktion: Sie haben zu diesem Thema ein Strategiepapier veröffentlicht. Was wollen Sie erreichen?

Mentzel: Die Kinder- und Jugendradiologie sollte in die Weiterbildung, Nachwuchsförderung und Forschungsprojekte aller Bereiche der Kinder- und Jugendmedizin einbezogen werden. In der Ausbildung der Studierenden sollten spezielle Inhalte zum radiologischen Vorgehen und Erscheinungsbild typischer pädiatrischer Erkrankungen – z. B. bei Verdacht auf Kindesmisshandlung – in kinderradiologischen Pflichtveranstaltungen vermittelt werden.

Redaktion: Wie versuchen Sie, Studierende für Ihr Fach zu begeistern?

Mentzel: Wir gehen in Jena in die Lehre und schildern, dass wir in der Kinderradiologie das Diagnostische mit dem Pädiatrischen verbinden. Das ist spannend und macht Spaß. Nun sagt jeder Mediziner, dass sein Fach das spannendste ist. Doch wir haben andere Herausforderungen als die Erwachsenenmedizin. Kinder verweigern möglicherweise die Untersuchung, ihre Eltern müssen beim Prozess der Diagnose begleitet werden. Man hat jeden Abend etwas Neues gelernt, die Kinderradiologie wird nie zur Routine.

Redaktion: Wie sieht es mit der finanziellen Anerkennung aus?

Mentzel: Untersuchungen bei Kindern sind besonders anspruchsvoll und zeitintensiv. Die Vergütungsstrukturen im ambulanten und stationären Sektor müssen das künftig berücksichtigen. Bisher macht sich die Zusatzausbildung auf dem Gehaltszettel nicht bemerkbar.

Redaktion: In Kliniken fehlt häufig ein Kinderradiologe, sei es wegen Urlaub, Nacht- oder Wochenenddienst. Was sollten Ihre Kollegen aus der Erwachsenenradiologie beachten, wenn sie einspringen?

Mentzel: Zunächst sollten wir die Möglichkeiten von Telemedizin und Teleradiologie intensivieren und fördern. Sie werden wegen des Anspruchs auf Zweitmeinung und wegen der Beratung durch kinderradiologische Referenzzentren zukünftig stark zunehmen. Wir haben hier in Thüringen bei 2,1 Millionen Einwohnern zwar viele Kinder- und Jugendkliniken, aber nur uns Kinderradiologen am Universitätsklinikum in Jena. Unser Rufdienst wird sehr gerne in Anspruch genommen.

Außerdem haben wir als Fachgesellschaft S1 Leitlinien entwickelt, nach denen jeder Radiologe symptombezogen vorgehen kann. Je nach den Beschwerden eines Kindes empfehlen wir geeignete Methoden. Auch die Orientierungshilfen der Strahlenschutzkommission helfen, je nach Fragestellung das richtige Verfahren zu finden.

Redaktion: Wie sieht es mit der Technik aus? Gibt es Besonderheiten bei radiologischen Untersuchungen bei Kindern?

Mentzel: Grundsätzlich sollten Kinder immer mit der besten Technik versorgt werden. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass kleine Geräte für kleine Kinder ausreichen, im Gegenteil: Wir benötigen für die Kinderradiologie die größten und besten Geräte. Die modernsten sollten es natürlich auch sein.

Redaktion: Können Sie ein Beispiel nennen?

Mentzel: In der Sonografie kommt die Erwachsenenmedizin mit drei Schallköpfen schon sehr weit. In der Kindermedizin brauchen wir viel mehr Schallköpfe, da wir vom Frühgeborenen mit einem Gewicht von 300 Gramm bis zum Adoleszenten mit bis zu 150 Kilo die unterschiedlichsten Patienten haben. Das gilt auch für MRT und CT. Gerade beim CT ist es wichtig, bei strahlungsintensiven Untersuchungen möglichst schonende Verfahren und Mechanismen einzusetzen.

Redaktion: KI ist aus der Radiologie nicht mehr wegzudenken. Welchen Stellenwert hat sie in der Kinderradiologie?

Mentzel: Sie beginnt Fuß zu fassen und wird auch ein großes Thema unserer Jahrestagung im Oktober sein. Deep Learning kann hilfreich sein, wenn ein CT-Gerät aus der Voruntersuchung lernt, wie viel Dosis es braucht und sich dementsprechend bei Folgeuntersuchungen anpasst. Über die Computertechnik werden bei iterativen Rekonstruktionen Nachbarschaftskriterien berücksichtigt, so dass Dosis eingespart werden kann. Solche Mechanismen werden uns in der Zukunft sehr stark dabei helfen, den Strahlenschutz zu verbessern. Allerdings muss ein Radiologe beurteilen, wann das Bild zu stark abweicht. Es ist also ein Kompromiss.

Redaktion: Welche Rolle spielt Big Data?

Mentzel: Für uns ist das im Zusammenhang mit seltenen Erkrankungen in Kombination mit der Genetik sehr interessant. Die Zahl der bekannten Syndrome nimmt zu, seltene Erkrankungen können genetisch immer besser beschrieben werden. Wenn wir für verschiedene Syndromkonstellationen Algorithmen hätten, könnten diese bei der Diagnostik in eine bestimmte Richtung weisen und dem Kind möglicherweise unnötige Untersuchungen ersparen. Das würde auch die Eltern und die Kassen entlasten.

Redaktion: Wie beurteilen Sie KI bei der forensischen Altersdiagnostik möglicher Straftäter?

Mentzel: Über KI ließe sich der subjektive Faktor Mensch aus der Beurteilung reduzieren. Prinzipiell wäre es gut, ein Verfahren ohne Strahlung zu haben, bei dem jemand z. B. abgescannt wird. Die Forschung ist im Bereich von Sonografie und MRT aktiv dabei, Alternativen zu entwickeln.

Redaktion: Wir haben nun viel über die Kinderradiologie gesprochen. Wie fügt Ihr Fach sich grundsätzlich in die Radiologie ein?

Mentzel: Wir sind sehr dankbar für die zunehmende Akzeptanz in der gesamten radiologischen Welt. Die Unterstützung durch Fachgesellschaften wie die Deutsche Röntgengesellschaft sowie durch Neuro- und Interventionsradiologen hat sich in den letzten Jahren sehr positiv entwickelt. Wir sprechen berufspolitisch mit einer Stimme, wenn es darum geht, die Radiologie zu stärken. Das gilt für Lehre und Forschung ebenso wie für die Krankenversorgung.

Redaktion: Bleiben Wünsche offen?

Mentzel: Ich wünsche mir, dass die Kinderradiologie an den Universitäten durch mehr Professuren präsenter wird, sich kinderradiologische Schwerpunktzentren in der Bundesrepublik entwickeln. Dazu braucht es geeignete strukturelle, politische und ökonomische Aktivitäten. Es gibt günstige Tendenzen. In Hannover wurde gerade eine Professur besetzt und in Berlin läuft ein Berufungsverfahren für eine kinderradiologische Professur. Aber es müsste mehr sein. Derzeit werden wir Kinderradiologen hauptsächlich in der Krankenversorgung gebraucht, für Forschung bleibt keine Zeit. Dabei gibt es viele interessante Themen zu bearbeiten. Wir sollten das in Deutschland zukünftig mit einem Mehr an kinderradiologischer Forschung und maximaler Unterstützung der Kinderradiologie eigentlich hinbekommen.

Redaktion: Vielen Dank!

Weiterführende Hinweise

  • Eine Karte mit Radiologen, die schwerpunktmäßig in der Kinderradiologie tätig oder weiterbildungsberechtigt sind, finden Sie bei der Gesellschaft für Pädiatrische Radiologie online unter iww.de/s3967.