KI auf dem Weg zum Facharztstandard – nicht ohne Haftungsprophylaxe

von RAin, FAin MedizinR Dr. Christina Thissen, Münster, voss-medizinrecht.de

Künstliche Intelligenz (KI) befindet sich in vielen Lebensbereichen auf dem Vormarsch, so auch insbesondere in der Medizin. Facharztgruppen, die schon länger in großem Umfang von Apparatemedizin geprägt werden – wie beispielsweise die Radiologie –, sind dabei prädestiniert für den Einsatz von KI bei der Diagnosefindung und Behandlung. Haftungsrechtliche Fragen sind in diesem Zusammenhang aber mangels entsprechender Rechtsprechung nicht abschließend geklärt, sodass sich Radiologen im Praxisalltag mit Netz und doppeltem Boden bewegen sollten.

KI bald Facharztstandard

Der Arzt ist verpflichtet, seinen Patienten aufzuklären und bei der Behandlung die allgemein anerkannten fachlichen Standards einzuhalten (vgl. § 630a Abs. 2 BGB). Will ein Arzt keine Standardmethode, sondern eine neue und noch nicht allgemein eingeführte Methode mit noch nicht abschließend geklärten Risiken anwenden, so hat er den Patienten umfassend aufzuklären und auf die Möglichkeit unbekannter Risiken hinzuweisen. Dabei gilt, dass die Aufklärungspflicht umso weiter reicht, je weiter die Art der Behandlung, also hier der Einsatz der KI, von der fachlich anerkannten Methode abweicht.

Zum Standard wird eine Methode erst, wenn sie an einer ausreichend großen Patientenzahl erprobt, in der medizinischen Wissenschaft im Wesentlichen unstrittig, risikoärmer oder weniger belastend ist oder bessere Heilungschancen bietet als andere Diagnose- oder Behandlungsmethoden. Ab wann KI nach diesen Kriterien in der Medizin zum Facharztstandard zählen wird, ist nur noch eine Frage der Zeit. Künftig befasste Gerichte werden hiervon spätestens ausgehen, wenn die KI auch Einzug in die betreffenden medizinischen Leit- oder Richtlinien gefunden hat.

Prophylaktische „Über-Aufklärung“

Solange Sie als Radiologin oder Radiologe aus medizinischer Sicht noch im Unklaren darüber sind, ob Sie sich mit dem (Nicht-)Einsatz von KI unterhalb oder innerhalb des Facharztstandards bewegen, sollten Sie in jede denkbare Richtung aufklären:

  • 1. Bei fehlender eigener apparativer Ausstattung, wenn diese in einer für den Patienten erreichbaren anderen Praxis oder Klinik zur Verfügung stünde oder
  • 2. wenn Sie selbst die KI bei Diagnosestellung oder Behandlung einsetzen möchten oder
  • 3. wenn Sie trotz eigener apparativer Ausstattung die KI nicht zum Einsatz kommen lassen möchten.

Der Patient muss in allen drei genannten Varianten im Rahmen der Aufklärung das Wesen, die Bedeutung und die Tragweite des (Nicht-)Einsatzes der KI erfassen und das Für und Wider in den Grundzügen verstehen können, sodass ihm eine verständige Abwägung möglich ist. Hierzu gehören regelmäßig Angaben zu Art, Umfang, Durchführung, den zu erwartenden Folgen und Risiken der Maßnahme sowie zur Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und zu Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose und Therapie und insbesondere die gleiche Aufklärung auch zu den bestehenden KI-freien Alternativen.

Praxistipp

Sollte in Ihrer Radiologie-Praxis bzw. -Abteilung noch keine KI zum Einsatz kommen, dies aber aus medizinischer Sicht eine sinnvolle Alternative darstellen, so sollten Sie den Patienten vorsorglich in Kenntnis setzen, dass es in einer erreichbaren anderen Praxis oder Klinik die erforderliche apparative Ausstattung gäbe.

 

Anwendung innerhalb des Facharztstandards

Sofern eine umfassende Aufklärung erfolgt ist, scheidet eine Haftung des Arztes grundsätzlich aus, wenn er die KI entsprechend dem Facharztstandard einsetzt und sich an dessen Empfehlung hält. Der behandelnde Arzt hat allerdings schon wegen des Grundsatzes der persönlichen Leistungserbringung das Ergebnis der KI zu prüfen. Für etwaige Schäden durch eine fehlerhafte KI-Empfehlung haftet der behandelnde Arzt entsprechend, wenn er erkannt hat oder hätte erkennen müssen, dass die von der KI zur Verfügung gestellten Informationen fehlerhaft sind und er trotzdem nach Maßgabe dieser fehlerhaften Informationen behandelt.

Abweichen von KI-Empfehlungen

Setzt der behandelnde Arzt KI ein, so sollte er sich über eine KI-Empfehlung nur in begründeten Fällen hinwegsetzen, den Patienten über die Gründe informieren und dies gut dokumentieren. Denkbar ist der oben bereits geschilderte Fall, dass die KI erkennbar fehlerhafte Ergebnisse geliefert hat. Dies dürfte für den Arzt aus Haftungssicht unproblematisch sein, solange der Fehler des Systems nachweisbar ist. Unterliegt die KI keinem nachweislichen Fehler, weicht aber dennoch von der fachlichen Einschätzung des Arztes ab, so setzt sich dieser einem erhöhten Haftungsrisiko aus, wenn er sich über die KI-Anweisungen hinwegsetzt. Die eigene fachliche Bewertung muss für ein befasstes Gericht dann entweder nachvollziehbar besser sein als das KI-Ergebnis oder aber der Patient musste nach umfassender Aufklärung ausdrücklich gewünscht haben, den Weg des behandelnden Arztes und nicht den der KI einzuschlagen. Es liegt auf der Hand, dass gute Dokumentation in diesem Fall unumgänglich ist.

Nichteinsatz von KI

Möchte ein Arzt KI nicht einsetzen, obwohl dies dem Facharztstandard entspricht, so muss er hierzu eine Vereinbarung mit dem Patienten bezüglich der Unterschreitung des Standards treffen (vgl. § 630a Abs. 2 BGB). Wichtig ist, dass der Patient darüber aufgeklärt wurde, dass der Einsatz der KI der allgemein anerkannte Standard wäre und der Patient in die Unterschreitung des Standards einwilligt. Nur wenn diese Vorkehrungen getroffen werden, kann auf die KI verzichtet werden. Ansonsten besteht ein hohes Haftungsrisiko für den Arzt.

Einsatz von KI jenseits des Facharztstandards

In der quasi spiegelbildlichen Situation, in der der behandelnde Arzt KI einsetzt, obwohl sie noch nicht Facharztstandard ist, können der Arzt und der Patient ebenfalls vereinbaren, dass eine Behandlung außerhalb der Standards erfolgen soll. Vereinbarungen zur Anwendung einer neuen, klinisch nicht ausreichend erprobten Therapie sind möglich. Wichtig ist aber auch hier natürlich eine umfassende Aufklärung. Problematisch wird wiederum, wie die durch die KI gestellten Diagnosen zu bewerten sind. Denn bei Neulandmethoden schuldet der Arzt die Sorgfalt eines vorsichtig Behandelnden. Bei der oben bereits geschilderten Überprüfungspflicht wird hier voraussichtlich ein noch strengerer Maßstab angelegt.

Fazit

Der Arzt handelt aufgrund des Grundsatzes der persönlichen Leistungserbringung immer sorgfaltswidrig, wenn er die Diagnosen der KI ungesehen übernimmt, obwohl ihm eine Überprüfung möglich ist. Sie sollten die Ergebnisse der KI also immer so kritisch hinterfragen, wie Sie es als Radiologie-Facharzt gegenüber Ergebnissen eines Assistenzarztes oder nichtärztlichen Personals auch tun würden. Ganz grundsätzlich und abschließend ist zu betonen, dass die Aufklärung im Zusammenhang mit dem (Nicht-)Einsatz von KI prophylaktisch umfassend erfolgen sollte und eine vollständig dokumentierte Aufklärung/Einwilligung des Patienten das Haftungsrisiko massiv reduziert.