Juristische Fallstricke zur SV-Pflicht bei der Beauftragung eines Vertretungsarztes

von RA, FA für SozR und ErbR Andreas Mikysek, Moers/Düsseldorf buiting-tessmer.de

Radiologen müssen sich – wie alle anderen Vertragsärzte auch – im Falle der Verhinderung nach § 32 Abs. 1 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) vertreten lassen. Üblicherweise wird zwischen Vertragsarzt und Vertreter auf Basis eines mündlichen oder schriftlichen Vertrags ein entsprechendes Honorar vereinbart und die Vertragsparteien gehen (zumindest stillschweigend) davon aus, dass zwischen ihnen kein sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 7 SGB IV zustande kommt. Doch das ist nicht immer zutreffend.

Deutsche Rentenversicherung versus BSG-Urteil von 1959

Zumindest ist die Deutsche Rentenversicherung (DRV) bei Ärzten in Berufsausübungsgemeinschaften (BAG) und Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) hinsichtlich der Beurteilung des sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses anderer Auffassung. Dies zeigen aktuelle Urteile auf.

Dabei hatte das Bundessozialgericht (BSG) bereits in seinem Urteil vom 27.05.1959 (Az. 3 RK 18/55) entschieden, dass ein Röntgenfacharzt, der einen Praxisinhaber in seinen Räumen vertritt, nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht, wenn dieser bei der Ausübung seiner Tätigkeit als Arztvertreter nicht aufgrund besonderer Vereinbarungen den Weisungen des Praxisinhabers unterworfen ist.

Dem Umstand, dass der Vertreter dabei notwendigerweise in den Betriebsablauf der bestehenden Praxis durch Nutzung der sächlichen und personellen Mittel eingebunden ist, hat das BSG demgegenüber nur eine untergeordnete Rolle zugemessen.

LSG Baden-Württemberg sieht keine SV-Pflicht bei BAG

Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hatte nun über die Frage zu entscheiden, ob eine Fachärztin für Radiologie, die für verschiedene Vertragsärzte einer BAG Urlaubsvertretungen übernommen hatte, in einem Beschäftigungsverhältnis zur BAG stand (Urteil vom 21.02.2017, Az. L 11 R 2433/16). Die DRV hatte zuvor eben dies angenommen. Dabei hat sich die DRV insbesondere darauf gestützt, dass zwischen der Vertretung in einer Einzelpraxis und in einer Gemeinschaftspraxis unterschieden werden müsse.

Auch bei längerer Abwesenheit eines Praxispartners könne eine Gemeinschaftspraxis fortgeführt werden. Der fehlende Arzt müsse nicht „von außen“ ersetzt werden. Der Vertreter sei dementsprechend im Rahmen einer fremden Betriebsorganisation tätig. Diese pauschalen Annahmen hat das LSG so nicht stehen lassen und im Ergebnis hier kein Beschäftigungsverhältnis angenommen. Dabei hat das Gericht durchaus die strukturellen Unterschiede bei der Vertretung in einer Einzelpraxis und einer Gemeinschaftspraxis gewürdigt. Im Rahmen der zu treffenden Gesamtwürdigung hat das LSG aber angenommen, dass die Vertreterin nicht derart in die betriebliche Eigenorganisation eingegliedert war, dass von einem Beschäftigungsverhältnis auszugehen ist.

LSG Berlin-Brandenburg stellt SV-Pflicht im Fall eines MVZ fest

Zu einem anderen Ergebnis kam das LSG Berlin-Brandenburg bei der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung eines Facharztes für Innere Medizin, der die Urlaubsvertretung für Ärzte in einem MVZ übernahm (Urteil vom 17.02.2020, Az. L 9 BA 92/18). Das Gericht hat ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis angenommen, da der Vertreter gegenüber dem MVZ weisungsgebunden und in dessen Betriebsabläufe eingegliedert sei. Das Weisungsrecht hat das LSG unter anderem daraus geschlossen, dass der Vertreter Patienten behandelt hat, die vom MVZ einbestellt wurden. Die Einbindung in die Betriebsorganisation hat das Gericht beispielsweise daraus hergeleitet, dass der Vertreter die Infrastruktur des MVZ genutzt hat und dem nichtärztlichen Personal im Rahmen seiner Tätigkeit Anweisungen erteilt hat.

Zwischenfazit

Die Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg überzeugt nicht, weil sie sich nicht mit den maßgeblichen Argumenten des BSG-Urteils von 1959 auseinandergesetzt hat. Dennoch zeigen beide LSG-Urteile auf, dass bei der Beauftragung eines Vertreters in einer Gemeinschaftspraxis oder in einem MVZ Vorsicht geboten ist!

 

Vertragsgestaltung und „gelebte Verhältnisse“ entscheidend

Ob ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 7 SGB IV vorliegt, entscheidet die Rechtsprechung im Rahmen einer Gesamtabwägung, bei der die

  • Weisungsgebundenheit und
  • Eingliederung in den Betrieb

anhand verschiedener Einzelkriterien festgestellt werden.

Um hier nicht in eine Falle zu tappen, bedarf es zum einen einer Vertragsgestaltung, die Risiken minimiert. Zum anderen kommt es aber auch auf die „gelebten Verhältnisse“ an. Hier muss jeweils im Einzelfall sehr genau geschaut werden, welches Maß an Weisungsgebundenheit und Eingliederung in den Betrieb noch unschädlich ist und ab wann das Risiko einer Scheinselbstständigkeit zu groß ist. Dies gilt letztlich auch bei der Vertretung in einer Einzelpraxis.

Fazit

Auch wenn das BSG in seinem Urteil vom 27.05.1959 bei der Beurteilung des sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses im Fall einer ärztlichen Vertretung grundsätzlich zu einem „arztfreundlichen“ Ergebnis (= keine Sozialversicherungspflicht) gekommen ist, darf nicht verkannt werden, dass auch in dieser Entscheidung maßgeblich auf die Einzelfallverhältnisse abgestellt worden ist. Im Zweifel sollte daher vor der Beauftragung eines Praxisvertreters anwaltlicher Rat in Anspruch genommen werden, um das Vertretungsverhältnis auf eine belastbare rechtliche Grundlage zu stellen und sozialversicherungsrechtliche Risiken zu minimieren.