Haftungsfalle! Die 6 wichtigsten Punkte zur Neuregelung bei „Patienten-Abschriften“

von RAin Rosemarie Sailer, LL.M. Medizinrecht, Wienke & Becker, Köln, www.kanzlei-wbk.de

Vor gut zwei Monaten ist das viel diskutierte Patientenrechte­gesetz in Kraft getreten. Neben dem ohnehin zweifelhaften Bedarf an der neuen Vorschrift wird das Gesetz in der Praxis zahlreiche Fragen offenlassen und somit viele Gerichte beschäftigen. Ein – etwas verstecktes – Detail wird für erheblichen Verwaltungsaufwand sorgen und könnte sich, wird es ignoriert, als Pulverfass erweisen: Es geht um die Pflicht zur Aushändigung von Aufklärungsunterlagen an den Patienten, die der Patient im Zusammenhang mit der Aufklärung unterzeichnet hat“ – etwa vor MRT- oder CT-­Untersuchungen. Hierzu beantworten wir die 6 wichtigsten ­Fragen, damit der aufklärende Arzt nicht in die Haftungsfalle tappt. 

Die Neuregelung im Wortlaut

Die umstrittene Neuregelung findet sich in § 630e Abs. 2 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) unter „Aufklärungspflichten“. 

§ 630e Abs. 2 Satz 2 BGB

„Dem Patienten sind Abschriften von Unterlagen, die er im Zusammenhang mit der Aufklärung oder Einwilligung unterzeichnet hat, auszuhändigen.“ 

 

Die sich aufdrängende Frage nach dem Sinn dieser Neuregelung beantwortet die Gesetzesbegründung nicht, wie das folgende Zitat zeigt. 

Gesetzesbegründung

„Wenn der Patient im Zusammenhang mit der Aufklärung oder Einwilligung Unterlagen unterzeichnet hat, so sind ihm davon gemäß Abs. 2 Satz 2 Abschriften (zum Beispiel in Form einer Durchschrift oder Kopie) auszuhändigen“. 

 

Die Vorschrift gilt für alle Ärzte. Auf den ersten Blick erscheint die Neuregelung harmlos – faktisch hat sie es jedoch „in sich“. Die wichtigsten 6 Fragen werden daher nachfolgend ausführlich beantwortet. 

1. Welchen Zweck verfolgt die Neuregelung?

Die Abschriften sollen nach der Unterzeichnung, also nach Abgabe der Einwilligungserklärung, an den Patienten ausgehändigt werden; dies zeigt, dass sie nicht als Entscheidungshilfe für den Eingriff oder als Information hier-über dienen sollen. Der Arzt hat im Streitfall die ordnungsgemäße Aufklärung des Patienten nachzuweisen. Als klassisches Beweismittel dient ihm hierzu die vom Patienten durch Unterschrift bestätigte Aufklärungsdokumentation bzw. Einwilligungserklärung. Sinn der Neuregelung kann es daher nur sein, die Position des Patienten in einem späteren Prozess zu stärken, indem er die gleichen Unterlagen in Händen hält, auf die sich auch der Arzt stützen kann. Der Patient soll somit vor einer späteren Manipulation der Aufklärungsdokumentation geschützt werden. Die Neuregelung dient daher in erster Linie der Sicherung von Beweisen. 

2. Wann sind die Abschriften auszuhändigen?

Die Unterlagen sind dem Patienten unverzüglich nach Unterzeichnung auszuhändigen. Keine Rolle spielt hingegen, zu welchem Zeitpunkt das mündliche Aufklärungsgespräch geführt wurde. Gerade bei größeren Eingriffen wird der Patient mehrfach aufgeklärt (sogenannte Stufenaufklärung), zunächst bei Stellung der Indikation und noch einmal vor dem Eingriff selbst. 

3. Was genau ist mit ­„Abschriften“ gemeint?

Die Gesetzesbegründung spricht von „Durchschrift oder Kopie“, eine elektronische Datenübermittlung ist ausdrücklich nicht vorgesehen. Aus diesem Grund sollte der Arzt von einem Versand per E-Mail oder den Rückgriff auf digitale Speichermedien, die bei der Röntgendokumentation standardmäßig verwendet werden, absehen. Letztlich werden die Gerichte klären müssen, in welcher Form dem Patienten die Unterlagen auszuhändigen sind und ob man diese auch – zeitgemäß – digital zur Verfügung stellen darf. 

Wichtig ist es in jedem Fall, die Unterlagen vollständig herauszugeben – es reicht also nicht, nur die letzte Seite des Aufklärungsbogens mit der Einwilligungserklärung auszuhändigen. Allein mit der Unterschrift wäre nämlich lediglich bewiesen, dass der Patient überhaupt eine Einwilligung erteilt hat; es wäre jedoch nicht erkennbar, worüber er tatsächlich aufgeklärt worden ist und welchen Umfang die Einwilligung damit hat. In jedem Fall sollte nach Aushändigung der Unterlagen an den Patienten ein entsprechender Vermerk in die Krankenakte eingetragen werden. 

4. Was passiert bei nachträglichen Eintragungen?

Änderungen an den Behandlungsunterlagen dürfen künftig nach § 630f Abs. 1 BGB nur noch dann vorgenommen werden, wenn sowohl der ursprüngliche Inhalt als auch das Datum der Änderung erkennbar sind. Bei elektronisch geführter Dokumentation wird dies in aller Regel durch die verwendete Software sichergestellt. 

5. Kann der Patient auf die ­Abschrift verzichten?

Der Patient kann von sich aus auf die Aushändigung der Unterlagen verzichten – wie auch auf die Aufklärung selbst. Vorsicht ist allerdings bei vorgefertigten Verzichtserklärungen geboten, die der Patient nur noch zu unterschreiben braucht. Obacht sollte auch gegeben werden, wenn bereits der Aufklärungsbogen Verzichtsklauseln enthält, selbst wenn der Patient noch extra ein Kreuz an der entsprechenden Stelle setzen muss: Solche Erklärungen sind rechtlich bedenklich, da sie den Patienten zu einem Verzicht drängen und ihn hierdurch unangemessen benachteiligen könnten. Auch müsste eine solche Verzichtserklärung konkrete Hinweise auf die mit ihr verbundenen rechtlichen Nachteile für den Patienten enthalten. Sollte ein Patient von sich aus auf die Aushändigung der Abschriften verzichten wollen, sollte dies vorsorglich in den Patientenunterlagen festgehalten werden. 

6. Welche Folgen hat eine ­Nichtbeachtung der Vorschrift?

Für die Wirksamkeit der Einwilligung kommt es nicht darauf an, dass der Patient eine Abschrift erhält, da die Einwilligung auch mündlich erteilt werden kann. Jedoch könnten sich beweisrechtliche Konsequenzen ergeben. 

Angesichts der im Raum stehenden, zum Teil erheblichen Schaden­ersatzforderungen kann also eine – gegebenenfalls systematische – Nichtaushändigung von Abschriften der Aufklärungsdokumentation zu gravierenden rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen führen. Die beweisrechtlichen Konsequenzen, die hierdurch eintreten, werden aber letztlich allein die Gerichte abschließend beantworten können. 

Fazit

Die Neuregelung führt zu ­einer weiteren Zunahme des Papierkriegs in der Praxis und im Klinikalltag und bürdet den Ärzten weitere Pflichten auf. Sie wird dazu führen, dass künftig zusätzlicher zeitlicher wie personeller Aufwand entsteht. Wie die Gerichte Verstöße gegen die Neuregelung bewerten, kann noch nicht abschließend beurteilt werden.