Gesetz zur Tarifeinheit: Was bedeutet es für Krankenhausärzte, wie geht es weiter?

von RA Norbert H. Müller, FA für Arbeits- und Steuerrecht, und RA Marc Rumpenhorst, FA für Medizin- und Arbeitsrecht, Bochum

Am 10. Juli 2015 ist das Gesetz zur Tarifeinheit in Kraft getreten. Es ist nach wie vor umstritten – einige Verfassungsbeschwerden sind anhängig. In diesem Beitrag werden die Konsequenzen des Gesetzes für Krankenhausärzte erläutert.

Was soll mit dem Tarifeinheitsgesetz erreicht werden? 

Ziel des Gesetzes ist die Durchsetzung der Tarifeinheit im Betrieb, nachdem das Bundesarbeitsgericht den Grundsatz der betrieblichen Tarifeinheit formell aufgegeben und die Tarifpluralität auch innerhalb eines Betriebs zugelassen hatte. Die Tarifpluralität ermöglichte es auch kleineren Gewerkschaften, sogenannten Spartengewerkschaften, für „ihre“ Arbeitnehmer eigene Tarifverhandlungen zu führen und einen eigenen Tarifvertrag abzuschließen.

Dementsprechend hat der Marburger Bund in 2008 erklärt, nicht mehr von ver.di vertreten zu werden, sondern selbst mit den Arbeitgeberverbänden – wie der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) oder der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) – zu verhandeln und für die Ärzteschaft einen eigenen Tarifvertrag durchzusetzen: den TV-Ärzte.

Dass auch kleine Gewerkschaften aufgrund der Schlüsselpositionen, die ihre Mitglieder in Unternehmen bekleiden, mit Streiks erhebliche Wirkung erzielen können, haben die Arbeitskämpfe der Spartengewerkschaften der Lokführer und Piloten gezeigt. Diese Streiks nahmen die Spitzenverbände der „großen“ Gewerkschaften zum Anlass für einen gemeinsamen Gesetzesvorschlag, an deren Ziele und Inhalt sich das Tarifeinheitsgesetz nunmehr eng anlehnt.

Nur der Tarifvertrag der größten Gewerkschaft soll gelten 

Zentrale Vorschrift des Tarifeinheitsgesetzes ist der neue § 4a im Tarifvertragsgesetz, mit dem Tarifkollisionen in einem Betrieb „zur Sicherung der Schutzfunktion, Verteilungsfunktion, Befriedungsfunktion sowie Ordnungsfunktion von Rechtsnormen des Tarifvertrages“ vermieden werden sollen. Dieses Ziel wird dadurch erreicht, dass in einem Betrieb nur die Rechtsnormen des Tarifvertrags derjenigen Gewerkschaft gelten sollen, die die meisten Mitglieder im jeweiligen Betrieb hat. Dies gilt nur dann nicht, wenn sich die Geltungsbereiche mehrerer Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften in einem Betrieb nicht überschneiden, also nicht kollidieren.

Bezogen auf die vom Marburger Bund verhandelten Tarifverträge im Bereich kommunaler Arbeitgeber oder auf Länderebene bedeutet dies Folgendes: Da die von ver.di verhandelten Tarifverträge im öffentlichen Dienst (TVöD) einen besonderen Teil für den Dienstleistungsbereich Krankenhäuser – nämlich den TVöD-K oder TVöD-BT-K – mit den Arbeitgeberverbänden verhandelt und vereinbart haben, existieren in einem Krankenhausbetrieb auch für die ärztlichen Mitarbeiter zwei Tarifverträge. Das ist zum einen der TVöD-K und zum anderen der TV-Ärzte/Marburger Bund.

Folge des Gesetzes: TVöD-K dürfte den TV-Ärzte verdrängen  

Ist ein Arzt bei einem im VKA organisierten Krankenhausträger angestellt und selbst Mitglied der Gewerkschaft des Marburger Bundes, gilt der TV-Ärzte/VKA; ist der Arzt Mitglied der Gewerkschaft ver.di oder DBB Tarifunion, was eher selten ist, würde der TVöD-K gelten. Bei diesen kollidierenden Tarifverträgen in einem Betrieb gelten mit dem Tarifeinheitsgesetz die tarifvertraglichen Bestimmungen der Gewerkschaft, die die meisten – dann der nicht nur ärztlichen – Mitglieder im Betrieb stellt, was im Krankenhausbereich regelmäßig ver.di sein wird. Die Folge ist, dass der TVöD-K den vom Marburger Bund verhandelten TV-Ärzte verdrängen dürfte.

Zur Vermeidung von Tarifkollisionen schlägt der Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten vor. So könnten die Gewerkschaften ihre jeweiligen Zuständigkeiten abstimmen und ihre Tarifverträge somit für verschiedene Arbeitnehmergruppen gelten lassen. Diese sogenannte „gewillkürte Tarifpluralität“ setzt voraus, dass ver.di die Ärzte vom TVöD ausnähme, was nicht sehr wahrscheinlich sein dürfte. Alternativ könnten die Gewerkschaften gemeinsam ihre Tarifverträge in einer Tarifgemeinschaft verhandeln, was der Marburger Bund mit seiner Autonomieerklärung in 2008 jedoch abgelehnt hat.

Einstweilige Anordnung gegen Tarifeinheitsgesetz abgelehnt 

Eben aus diesem Grunde haben unter anderem der Marburger Bund sowie zwei weitere Spartengewerkschaften den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen das Gesetz zur Tarifeinheit beim Bundesverfassungsgericht beantragt. Voraussetzung einer Entscheidung im Eilverfahren ist jedoch, dass die einstweilige Anordnung zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Da das Bundesverfassungsgericht derartige Nachteile für den Zeitraum bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht hat erkennen können, hat es die Anträge der Gewerkschaften abgelehnt.

Diese Ablehnung trifft jedoch keine Aussage über die Erfolgsaussichten in den Hauptsacheverfahren. Hier wird sich das Bundesverfassungsgericht mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob das Tarifeinheitsgesetz mit dem Recht auf Vereinigungsfreiheit nach Artikel 9 Grundgesetz vereinbar ist.

Neuregelung gilt nicht für bereits bestehende Tarifverträge 

Die Neuregelung ist nicht bereits auf bestehende Tarifverträge anzuwenden. Gefahr droht also erst im Falle der Kündigung eines Tarifvertrags, weil die dann greifende Nachwirkung der tarifvertraglichen Regelung nicht vom Schutz für bestehende Tarifverträge erfasst ist.