Gemeinschaftspraxis erzwingt Zulassungsverzicht

von René T. Steinhäuser, Rechtsanwalt, Rechtsanwälte Wigge, Hamburg, www.ra-wigge.de

Die Durchsetzung eines Nachbesetzungsverfahrens stellt eine radiologische Gemeinschaftspraxis vor erhebliche Probleme, wenn der ausscheidende Radiologe den Vertragsarztsitz vertragswidrig selbst verwerten will. Für die verbleibenden Partner droht ein wirtschaftlicher Schaden durch den Verlust des Vertragsarztsitzes und des damit verbundenen Budgets. In einem solchen Fall hat das Oberlandesgericht (OLG) Rostock nun eine für die verbleibenden Gesellschafter positive Entscheidung getroffen: Das OLG gab deren Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz statt und zwang den ausscheidenden Partner zur Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens (Entscheidung vom 29.03.2011, Az: 1 U 189/10). 

Der Fall

Im zugrunde liegenden Fall trat ein Radiologe die Nachfolge eines ausscheidenden Arztes in einer Gemeinschaftspraxis an, ohne sich in der Probezeit einkaufen zu müssen. Nachdem sich die Radiologen eine Weile kennengelernt hatten, wollten die bisherigen Gesellschafter die Zusammenarbeit mit dem Juniorpartner nicht fortsetzen. Der Gesellschaftsvertrag sah vor, dass der Junior in diesem Fall ein Nachbesetzungsverfahren über seinen Vertragsarztsitz durchführen muss. 

Vorsorglich hatten die verbleibenden Gesellschafter in einem weiteren Vertrag mit ihm vereinbart, dass er im Falle seines Ausscheidens den Vertragsarztsitz in der Gemeinschaftspraxis belassen muss. Für die Mitwirkung an dem Nachbesetzungsverfahren erhielt er eine Geldzahlung. Der Juniorpartner kam trotz der Geldzahlung seiner Pflicht nicht nach. 

Die Entscheidung

Nach gefestigter Rechtsprechung der Sozialgerichte können die verbleibenden Gesellschafter das Ausschreibungsverfahren nach § 103 Abs. 4 und 6 SGB V beantragen, wenn der aus der Gesellschaft ausscheidende Vertragsarzt auf seinen Vertragsarztsitz verzichtet. Ein solcher Verzicht lag dem Zulassungsausschuss nicht vor. Da der ausscheidende Radiologe nach Auffassung des OLG den Verzicht vertragswidrig nicht erklärt hatte, wurde er dazu verurteilt, den Verzicht auf seine Zulassung gegenüber dem Zulassungsausschuss zugunsten der Gemeinschaftspraxis zu erklären. 

Außerdem untersagte das OLG dem ausscheidenden Radiologen, die Verlegung des Vertragsarztsitzes zu beantragen. Nachdem der Zulassungsausschuss davon Kenntnis erhielt, war der Verzicht auf die vertragsärztliche Zulassung des ausscheidenden Radiologen unwiderruflich ausgesprochen. Die verbliebenen Gesellschafter konnten sodann selbst die Ausschreibung des Vertragsarztsitzes beantragen. 

Das grundsätzliche Problem ist, dass ausscheidende Gesellschafter bei den Zulassungsgremien das Ende der Berufsausübungsgemeinschaft anzeigen können und den Antrag auf Verlegung des Vertragsarztsitzes stellen können, ohne dass die Zulassungsgremien prüfen, ob der Gesellschafter damit eventuell gegen gesellschaftsvertragliche Pflichten verstößt. Eine solche Prüfung müssen die Zulassungsgremien auch nicht vornehmen. 

Was die Entscheidung so bedeutsam macht

Besonders wichtig ist die Entscheidung des OLG Rostock vor allem, weil sie ausnahmsweise in einem Eilverfahren erging, obwohl die abschließende Klärung eines Rechtsstreits grundsätzlich einem Hauptverfahren vorbehalten ist. Das OLG gewährte somit den verbliebenen Gesellschaftern Rechtsschutz, der in der zur Verfügung stehenden Zeit durch ein gewöhnliches Klageverfahren nicht zu erzielen gewesen wäre. 

Eile war einerseits durch die wirtschaftlichen Folgen des weggefallenen Budgets geboten und andererseits durch die Rechtsauffassung der Zulassungsgremien, dass die Anknüpfungsmöglichkeit an eine gemeinsame Berufsausübung Voraussetzung für die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens ist. Nach einer Vakanz des Vertragsarztsitzes von mehr als sechs Monaten kann daher eine KV die Ausschreibung des vakanten radiologischen Vertragsarztsitzes aus dem Grund verweigern, dass es an dem für eine Praxisnachfolge erforder­lichen Patientenstamm mangelt. 

Praxistipp: Sobald sich andeutet, dass der Juniorpartner, mit dem die Zusammenarbeit nicht fortgesetzt werden soll, entgegen der vertraglichen Pflicht den Vertragsarztsitz nicht zugunsten der verbleibenden Gesellschafter ausschreiben wird, sollten die verbleibenden Partner unverzüglich widersprechen und vor einem Zivilgericht klagen. Sonst laufen sie Gefahr, dass der Zeitraum, um an die für die Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens erforderliche Verzichtserklärung des ausscheidenden Arztes zu gelangen, länger als sechs Monate dauert und die KV eine Nachbesetzung verweigert.