Entwicklungsklausel: LAG Düsseldorf urteilt im Sinne leitender Ärzte

von Rechtsanwalt Marc Rumpenhorst, Rechtsanwälte Klostermann – Schmidt – Monstadt – Eisbrecher, www.Klostermann-RAe.de 

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf hat sich in einem aktuellen Urteil vom 19. Dezember 2013 (Az. 15 Sa 207/13) mit der Frage der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit der Entwicklungsklausel in Chefarztverträgen auseinandergesetzt. Bemerkenswert an dem Urteil ist, dass es die Frage der Zulässigkeit von Organisationsänderungen und Umstrukturierungen um eine weiterführende Ansicht zugunsten von betroffenen leitenden Ärzten bereichert.

Die Entwicklung der Entwicklungsklausel im Rückblick 

Mit der in Chefarztverträgen weit verbreiteten Entwicklungsklausel behält sich der Krankenhausträger das Recht vor, in der dem jeweiligen Chefarzt zur Leitung übertragenen Abteilung organisatorische und/oder strukturelle Änderungen vorzunehmen. Anders als im Falle der Änderungskündigung – also einer Beendigungskündigung mit dem gleichzeitigen Angebot des Krankenhausträgers, das Arbeitsverhältnis zu geänderten Konditionen fortzuführen – bedurfte es in Ausübung der Entwicklungsklausel weder eines „Kündigungsgrundes“ noch der Einhaltung einer vertraglich oder gesetzlich vorgesehenen Frist. Somit war es dem Krankenhausträger relativ einfach möglich,

  • den Umfang der Abteilung zu ändern,
  • die Ausführung bestimmter Leistungen von der Abteilung ganz oder teilweise abzutrennen und anderen Abteilungen oder Funktionsbereichen zuzuweisen,
  • weitere selbstständige Fachabteilungen – auch gleicher Fachrichtung – im Krankenhaus neu einzurichten oder zu unterteilen
  • und/oder weitere Ärzte – ebenfalls gleicher Fachrichtung – als leitende Abteilungsärzte in anderen Abteilungen einzustellen.

Die Änderung des Zuständigkeits- und Verantwortungsbereichs und damit einhergehend die Reduzierung des Leistungsspektrums wirkte sich immer auch nachteilig auf die variable Vergütung in Form des Liquidationsrechts für die gesondert berechenbaren wahlärztlichen Leistungen oder einer entsprechenden Beteiligung des Arztes an den Liquidationseinnahmen des Krankenhausträgers aus. Insofern sind Ausgleichs- und Entschädigungsansprüche regelmäßig ausgeschlossen, sofern die Gesamtvergütung des Arztes nicht unter einen bestimmten Schwellenwert von üblicherweise 70 bis 90 Prozent der Vergütung sinkt. Da die vertraglichen Klauseln insoweit auf die Gesamtvergütung abstellen, waren die allein schützenswerten variablen Einkünfte des Arztes nur zu einem deutlich geringeren Anteil – je nach Verhältnis von Festvergütung zur variablen Vergütung – abgesichert.

Seit das Recht für Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) auch auf arbeitsvertragliche Klauseln Anwendung findet, ist nicht nur die Verhältnismäßigkeit der Ausübung der Entwicklungsklausel geprüft, sondern auch die Entwicklungsklausel selbst infrage gestellt worden. Als Erweiterung des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts in einem vorformulierten Vertrag bzw. Vertragsmuster war die Entwicklungsklausel als AGB zu prüfen. Nach überwiegender Auffassung – allerdings erst einiger weniger arbeitsgerichtlicher Entscheidungen – stellte die Entwicklungsklausel eine unangemessene Benachteiligung des Arztes und damit einen Verstoß gegen das Recht für Allgemeine Geschäftsbedingungen dar mit der Folge, dass die Klausel unzulässig und unwirksam sei.

Die „neue“ Entwicklungsklausel 

Seit ihrer 7. Auflage zur Beratungs- und Formulierungshilfe „Chefarztvertrag“ empfiehlt die Deutsche Krankenhausgesellschaft eine um sachliche Gründe erweiterte Entwicklungsklausel, die die Änderungs- und Umstrukturierungsmaßnahmen rechtfertigen sollen. So soll insbesondere dem sogenannten Transparenzgebot, das das Bundesarbeitsgericht bei Widerrufsvorbehalten verlangt, Rechnung getragen werden. Ob diese „neue“ Entwicklungsklausel einer AGB-rechtlichen Überprüfung Stand halten würde, ist allerdings bislang noch offen.

Das Urteil des LAG Düsseldorf 

Wenngleich sich das Landesarbeitsgericht Düsseldorf vordergründig mit einer Änderungskündigung zur Teilung einer Internistischen Klinik zu befassen hatte, warf es die Frage auf, ob es dieser Änderungskündigung überhaupt bedürfte oder ob der Arbeitgeber die Änderung nicht auch in Ausübung seines Direktionsrechts – gegebenenfalls in Verbindung mit der Entwicklungsklausel – hätte vornehmen können.

Nach dem arbeitgeberseitigen Direktionsrecht kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag festgelegt sind. Das LAG hat den Chefarztvertrag dahingehend ausgelegt, dass mit der Übertragung der Verantwortung und den Aufgaben „seiner Abteilung/Klinik“ auf den Chefarzt die zu Vertragsbeginn gegebenen Fach- und Tätigkeitsbereiche und die diesbezügliche Abteilungsstruktur verbindlich festgelegt worden sei – das heißt zu den maßgeblichen Vertragsbedingungen zählen sollten. Mit den häufig verwendeten Formulierungen, nach denen dem Arzt die Führung und fachliche Leitung „seiner Abteilung“ obliegt, ist der Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich und damit das Leistungsspektrum nach der Weiterbildungsordnung verbindlich festgelegt – und damit auch dem arbeitgeberseitigen Direktionsrecht entzogen worden. Hinzu kommen die Besonderheit von Chefarztverträgen in Form der Vergütung, nämlich der Einräumung des Liquidationsrechts bzw. der Beteiligungsvergütung als Erwerbschance, die der Chefarzt „quasi in eigener unternehmerischer Betätigung wahrnehmen“ könne.

Zitat aus dem Urteil

„Dabei dürften Reputation und Verdienstmöglichkeiten für einen Chefarzt, der mit einem Krankenhausträger ein Vertragsverhältnis eingeht, in der Regel von ganz erheblicher Bedeutung sein, weshalb es seinen Interessen zuwiderlaufen dürfte, wenn er sich auf ein Vertragswerk einlässt, welches nicht die dafür maßgeblichen, bei Einstellung vorgefundenen Bedingungen verbindlich festschreibt, sondern diese in die einseitige Abänderungsbefugnis des Arbeitgebers im Wege des § 106 GewO stellt, ...“

 

Damit seien – so das LAG – das Fachgebietsspektrum, die Leitungsaufgaben und die organisatorische Struktur der Abteilung auf den bei der Einstellung bestehenden „Status quo“ vertraglich festgelegt. Zwar müsste auch einem künftigen Änderungsbedarf des Arbeitgebers Rechnung getragen werden; allerdings sei der Entwicklungsklausel ein Recht des Arbeitgebers zu einseitiger Änderung im Wege des Direktionsrechts nicht zu entnehmen. Es seien lediglich eine Vielzahl organisatorischer Maßnahmen benannt, deren Erwähnung nur dann Sinn mache, wenn man davon ausgehe, dass die Vertragsparteien den Zuständigkeitsbereich verbindlich festgelegt haben.

Einen weiteren Aussagegehalt konnte das LAG der Entwicklungsklausel nicht entnehmen. Insbesondere sei in der Entwicklungsklausel nicht geregelt, ob, wann und in welchem Umfang zu welcher arbeitsrechtlichen Maßnahme derartige Änderungen und Umstrukturierungen berechtigen sollten. Es fehle also an Regelungen zur Durchführung und den Voraussetzungen organisatorischer Änderungsentscheidungen, sodass bei Änderung vertraglicher Festlegungen die Ausübung des Direktionsrechts ausgeschlossen sei und allenfalls eine Änderungskündigung infrage komme.

Für den Fall einer wirksamen Änderungskündigung greife, so das LAG, dann auch die in der Entwicklungsklausel aufgeführte Entschädigungsregel. Dort sei nur die Frage eventueller finanzieller Kompensation für den Fall geregelt, dass eine diesbezügliche arbeitsrechtliche Maßnahme greife – nicht aber auch, mit welchen Mitteln sie gegenüber dem Arzt durchsetzbar wäre.

Fazit

Die Auffassung des LAG Düsseldorf gilt unabhängig von der „alten“ oder „neuen“ Entwicklungsklausel. Wird der im Vertrag definierte Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich bzw. das damit einhergehende Leistungsspektrum und infolge dessen der Umfang der Liquidationsberechtigung bzw. Beteiligungsvergütung geändert, ist laut dem LAG diese Änderung im Wege einer einseitigen Anweisung nicht möglich. Vielmehr bedürfe es immer einer Änderungskündigung, bei deren Wirksamkeit die Entschädigungsklausel gelte. Ob die noch nicht rechtskräftige Entscheidung des LAG einer Prüfung durch das Bundesarbeitsgericht standhält, bleibt abzuwarten.