Elektronische AU-Bescheinigung: Was sich für Arbeitgeber zum 01.01.2023 geändert hat

Von RAin Victoria Hahn und Rechtsreferendarin Helene Hoppe, Kanzlei am Ärztehaus, Münster, kanzlei-am-aerztehaus.de

Gesetzlich krankenversicherte Arbeitnehmer, also ggf. auch ärztliches sowie nichtärztliches Personal in der Radiologie, sind durch die am 01.01.2023 in Kraft getretene Regelung des § 5a Abs. 1 a Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG) nicht mehr verpflichtet, dem Arbeitgeber ihre Arbeitsunfähigkeit (AU) in Form des „gelben Scheins“ aktiv zu bescheinigen. Damit verbunden ist das neue Verfahren der elektronischen AU-Bescheinigung. Was bedeutet das für die Praxis?

Welche Voraussetzungen müssen vorliegen?

Für das neue Verfahren der elektronischen AU-Bescheinigung (eAU)

  • muss der Arbeitnehmer gesetzlich krankenversichert sein,
  • muss der feststellende Arzt an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen und
  • darf es sich nicht um eine geringfügige Beschäftigung in Privathaushalten handeln.

Merke

Für privat versicherte Arbeitnehmer ändert sich nichts. Sie müssen weiterhin die AU in Papierform vorlegen.

 

Welche Folgen ergeben sich daraus?

Der Informationsaustausch bezüglich der AU findet dann in weiten Teilen zwischen Krankenversicherer und Arbeitgeber elektronisch statt.

Ist ein Arbeitnehmer arbeitsunfähig, sieht § 109 SGB IV vor, dass der Arbeitgeber die AU bei der jeweiligen Krankenkasse aktiv anfragt und daraufhin die Krankenkasse des Arbeitnehmers dem Arbeitgeber elektronisch Meldung über die ihr vorliegenden Informationen zur AU gibt. Die Informationen sind in § 109 Abs. 1 S. 1 SGB IV einzeln aufgeführt.

Merke

Im Umkehrschluss zu § 109 SGB IV fallen darunter nicht solche Bescheinigungen wie z. B. über Rehabilitationsleistungen, Erkrankung des Kindes, Beschäftigungsverbote oder eine stufenweise Wiedereingliederung.

 

Davon unbenommen haben Arbeitnehmer weiterhin

  • dem Arbeitgeber die AU und deren voraussichtliche Dauer ab dem Zeitpunkt ihres Vorliegens unverzüglich anzuzeigen und
  • die AU sowie ihre voraussichtliche Dauer zu den in § 5 Abs. 1 EntgFG festgelegten Zeitpunkten ärztlicherseits feststellen zu lassen (ohne besondere vertragliche Absprache nach drei Tagen der AU).

Wie kommt der Arbeitgeber an die relevanten Informationen?

Zur elektronischen Kommunikation müssen Arbeitgeber entsprechende technische Vorrichtungen gewährleisten, wobei auch bei der Anpassung des bereits bestehenden technischen Systems selbstredend datenschutzrechtliche Bestimmungen beachtet werden müssen.

Für das Abrufen der eAU muss der Arbeitgeber folgende Daten bereithalten:

  • Betriebsnummer des Beschäftigungsbetriebs,
  • Absendernummer,
  • Versicherungsnummer,
  • Familienname, Vorname, Geburtsdatum und Geschlecht des Arbeitnehmers.

Der GKV-Spitzenverband spricht die Empfehlung aus, die eAU nicht zu früh abzurufen, da es dann zu Fehlermeldungen bzw. fehlenden Rückmeldungen kommen kann. Empfohlen wird der Abruf zwei Kalendertage nach der ärztlichen Feststellung der AU. Bei einer fortbestehenden AU soll die eAU laut GKV-Spitzenverband frühestens einen Kalendertag nach dem bisherigen AU-Ende abgerufen werden.

Problem mit der eAU, was nun?

Problematisch wird es, wenn Arbeitnehmer ihre Pflicht nach § 5 Abs. 1 a EntgFG nicht erfüllen. Nach bisheriger Rechtslage steht im Falle der Nichterfüllung der arbeitnehmerseitigen Pflichten nach § 5 Abs. 1 EntgFG dem Arbeitgeber grds. ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 EntgFG zu – er kann das entsprechende Entgelt bis zur Pflichterfüllung einbehalten. Dieses Leistungsverweigerungsrecht hat der Gesetzgeber allerdings auf die neue Verpflichtung in § 5 Abs. 1a EntgFG explizit nicht ausgeweitet. Im Umkehrschluss zur Nichtänderung des § 7 EntgFG dürfte jedenfalls ein Leistungsverweigerungsrecht analog § 7 EntgFG nicht ohne Weiteres zu bejahen sein.

Ebenfalls problematisch sind Störfälle, in denen die eAU „verloren“ geht. Weil sich Arbeitnehmer zwecks Beweissicherung eine AU in Papierform ausstellen lassen müssen, könnten sie diese zwar stattdessen vorlegen. Die Überlagerung der Pflicht auf die Arbeitgeber, die AU einzuholen, bedeutet, dass der Arbeitgeber prinzipiell das Störungsrisiko trägt. Mithin dürfte eine arbeitnehmerseitige rechtliche Vorlagepflicht in Papierform abzulehnen sein. Welche Lösung jedoch die Rechtsprechung für überzeugend hält, wird sich erst noch zeigen.

 

Praxistipp

Bestehende Arbeitsverträge, die vor dem 01.01.2023 geschlossen wurden, dürften entsprechend der neuen Vorgaben auszulegen sein, sodass sie insoweit nicht automatisch unwirksam sein dürften. Mangels existierender Rechtsprechung kann dies jedoch noch nicht mit Sicherheit gesagt werden. Vor diesem Hintergrund sollten zur Risikoverminderung entsprechende alte arbeitsvertragliche Vereinbarungen an die neuen Regelungen angepasst werden.

Neue Verträge sollten die neuen gesetzlichen Vorgaben unbedingt berücksichtigen. Es wird in jedem Fall dringend empfohlen, die Arbeitnehmer auf die neu geltenden Regelungen hinzuweisen und deutlich zu machen, dass nach wie vor eine Pflicht des Arbeitnehmers besteht, die AU unverzüglich mitzuteilen und ärztlich feststellen zu lassen.

 

Weiterführende Hinweise