„Die Zusammenarbeit mit mathematischen Instituten ist zwingendes Zukunftsmodell.“

Prof. Dr. Ulrike Attenberger ist neue Direktorin der Klinik für diagnostische und interventionelle Radiologie am Universitätsklinikum Bonn. Die Radiologin blickt auf Forschungsaufenthalte in Harvard, Zürich und Wien zurück. Sie wurde u. a. mit dem „Fellow Award der Radiological Society of North America“ (2010) und dem Walter-Friedrich-Preis der Deutschen Gesellschaft für Radiologie (2012) ausgezeichnet. Vor ihrer Berufung nach Bonn war sie stellvertretende Klinikdirektorin des Instituts für klinische Radiologie und Nuklearmedizin der Universität Mannheim. Ursula Katthöfer (textwiese.com) fragte sie zu ihren Forschungsansätzen.

Redaktion: In Mannheim leiteten Sie das Geschäftsfeld „Präventive und Onkologische Diagnostik“. Welche onkologischen Diagnoseverfahren möchten Sie in Bonn vorantreiben?

Attenberger: Wir wollen aus Bildgebungsdaten bildbasierte Biomarker entwickeln, um mit der radiologischen Diagnostik quantifizierbare und reproduzierbare Aussagen treffen zu können, in etwa so wie ein Labortest. Im Moment arbeiten wir bei Bilddatensätzen weitestgehend mit – auf individuellen Erfahrungshorizonten basierenden – Einschätzungswahrscheinlichkeiten. Sie haben zwar eine gewisse Genauigkeit, sind aber nicht so standardisierbar, reproduzierbar und quantifizierbar, wie man es sich nicht zuletzt im Hinblick auf immer spezifischere onkologische Therapien wünschen würde. Einer der Grundschritte ist nun, möglichst standardisierbare Daten für den Analyseprozess zur Verfügung zu stellen. Ein wesentlicher Punkt in diesem Zusammenhang ist die weitere Optimierung der Messtechnik.

Redaktion: Zu Ihren Schwerpunkten gehört die Diagnostik von Prostata-, Enddarm- und Leberkrebs. Was wird sich verändern?

Attenberger: Wir werden Bildgebung, Genetik, Laborwerte und klinische Daten in Zukunft mittels Methoden der künstlichen Intelligenz integrativ bewerten, um Erkrankungen besser zu charakterisieren. Anhand der Bilddaten eines Leberherds messen wir bisher z. B. die Größe und können mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit anhand seiner Morphologie sagen, ob der Verdacht auf einen Tumor besteht. Man kann aber aus diesen Bilddaten noch ganz andere Informationen wie Kurtosis oder Grey-White-Matter-Informationen ableiten.

Über die integrative Bewertung mittels Methoden der künstlichen Intelligenz möchten wir in Zukunft voraussagen können, wie ein Patient auf eine gewählte Therapie anspricht und welche Prognose er hat. Im nächsten Schritt stellt sich die Frage, ob Zusammenhänge zwischen der Bilddateninformation und speziellen genetischen Konstellationen bestehen, die das Outcome des Patienten beeinflussen. Das ist eine mehrdimensionale Datenmatrix.

Redaktion: Könnten Sie das am Beispiel eines Tumors erläutern?

Attenberger: Bisher wird ein Tumor diagnostiziert, die Therapie wird eingeleitet und wir sehen im Verlauf der Therapie, wie der Patient darauf anspricht. Uns geht es nun darum, die Heterogenität eines Tumors zu erfassen. Selbst ein singulärer HCC-Herd kann in sich molekular inhomogen sein. Die bisherige Therapie kann daher für einen Teil der Areale wirken, für andere nicht. Unser Ziel ist vorherzusagen, welche Herde auf welche Therapie ansprechen. Dann ließen sich z. B. lokal ablative Therapien mit Medikamenten zielgerichtet kombinieren.

Auch für die Immuntherapien öffnen sich neue Perspektiven. Der Patient kann stadienspezifisch und somit möglichst schonend therapiert werden. Man muss ihn nicht mehr teilweise starken Nebenwirkungen aussetzen, wenn man vorher weiß, dass diese Therapie für ihn nicht geeignet ist. Jeder Tumorfokus erhält die für ihn maßgeschneiderte Therapie.

Redaktion: Woher bekommen Sie die Daten?

Attenberger: In Studien haben wir meist eine sehr saubere Forschungslandschaft zu klinischen Parametern und zu Laborparametern. In Tierstudien gibt es beispielsweise genetische Mausmodelle, die dem hepatozellulären Karzinom sehr verwandt sind und Rückschlüsse erlauben. In einer DFG-geförderten, randomisierten Studie wollen wir konkret untersuchen, wie genetisch unterschiedliche Mäuse auf systemische Therapien ansprechen. Ferner gibt es mittlerweile viele Gruppen, die anonymisierte Daten zur Verfügung stellen. Daran lassen sich Algorithmen trainieren, das nennt sich Challenge. In der Informatik ist dieses Verfahren schon bekannter, in der Medizin bisher weniger.

Redaktion: Stichwort Informatik. Wie interdisziplinär arbeiten Sie?

Attenberger: Die Radiologie pflegt traditionell eine sehr starke Partnerschaft mit der Physik. Für unsere transdisziplinären Forschungsansätze bauen wir nun lokal, national und international Netzwerke mit klinischen Partnern wie Onkologen, Dermatologen und Kardiologen auf, aber auch mit Mathematikern und Informatikern.

Redaktion: Ist die Zusammenarbeit mit mathematischen Instituten grundsätzlich ein Zukunftsmodell für die Radiologie?

Attenberger: Das ist ein zwingendes Zukunftsmodell, nicht nur für die Radiologie, sondern für alle Fächer. In der Radiologie sollten diese Ausbildungsinhalte in die Facharztausbildung integriert werden, wenn nicht sogar ins Medizinstudium. Dieses Thema wird auch die Epidemiologie, die Humangenetik und die internistischen Fächer stark beschäftigen. Die Studierenden benötigen ein Grundverständnis.

Redaktion: Sie sind nun am Universitätsklinikum Bonn Direktorin. Welche Strategie haben Sie verfolgt, um Ihre heutige Position zu erreichen?

Attenberger: Zum einen ging es mir darum, in Klinik und Wissenschaft erstklassige Arbeit zu leisten. Zum anderen habe ich sehr früh Verantwortung übernommen, schon vor dem Facharztniveau. Dazu gehört, strukturiert zu denken, Abläufe zu optimieren und auch, sich um Mitarbeiter zu kümmern. Damals war mir noch nicht klar, dass das mit Führung zu tun hat. Doch früh auch organisatorische Verantwortung zu übernehmen und strategisch zu denken, hat mich in meine heutige Position gebracht. Fachliche Exzellenz allein macht noch keine Führungskraft. Es ist immer eine Frage der inneren Haltung.

Redaktion: Welche Weichen möchten Sie stellen, um talentierte Mediziner zu fördern?

Attenberger: Ich suche den engen Kontakt zu den jüngsten Nachwuchskräften. Das tue ich z. B. mithilfe von strukturierten Mitarbeitergesprächen. Darin schaue ich mir an, wer ein wissenschaftliches Interesse hat und fördere das während der Facharztausbildung. Eine Möglichkeit dazu ist der internationale Austausch. Wenn jemand zu einem internationalen Kongress reist und seine Arbeit vorstellt, kann das einen inneren Motivationsschub schaffen.

Redaktion: Wie begleiten Sie talentierte Kräfte zur Habilitation?

Es ist wichtig, die Struktur von Tag eins an vorzugeben und mit dem Mitarbeiter kurz-, mittel- und langfristige Ziele zu vereinbaren. Fehlt ein strukturierter Fahrplan, dann erscheint das Thema Habilitation irgendwann so „groß“, dass es schwer zu bewältigen ist. Ich ordne den wissenschaftlichen Nachwuchs daher Arbeitsgruppen zu. Dort ergeben sich Themen, aus denen sich ein Paper oder ein Abstract entwickeln ließe. Das wird dann bei Kongressen oft zum Selbstzünder.