„Die hohen Umsätze machen radiologische Praxen für private Investoren interessant!“

Quo vadis, Radiologie? Diese Frage stellt sich im Zeitalter kapitalstarker Finanzinvestoren, die zunehmend in die Praxislandschaft eingreifen. Radiologen betrachten diese Entwicklung teilweise mit Sorge. Sie sehen die qualitätsgesicherte radiologische Versorgung in Gefahr. Zu den Mahnern gehört Prof. Dr. Hermann Helmberger, Chefarzt des Zentrums für Radiologie und Nuklearmedizin am Klinikum Dritter Orden München-Nymphenburg und Mitglied des Bundesvorstands im Berufsverband Deutscher Radiologen (BDR). Gegenüber Ursula Katthöfer (textwiese.com) erläuterte er seine Position.

Redaktion: Wie ist der aktuelle Stand bei den Übernahmen? Nimmt die Entwicklung an Fahrt auf?

Prof. Dr. Helmberger: Der Einstieg privater Investoren ist nicht neu. Wir beobachten ihn im stationären Sektor seit 20 bis 25 Jahren. Seitdem hat der Anteil privater Träger erheblich zugenommen, in der Regel zu Ungunsten der kommunalen Träger. Zunehmend suchen auch kirchliche Häuser einen privaten Nachfolger.

Im ambulanten Bereich begannen die Übernahmen durch private Investoren vor etwa 20 Jahren in der Dialysebehandlung. Es folgten Labore, Augenärzte, die Radiologie und in den vergangenen ein bis zwei Jahren auch die Pathologie. Die Entwicklung nimmt tatsächlich an Fahrt auf, wobei wir in der Radiologie generell einen starken Konzentrationsprozess beobachten. Dort führt die Entwicklung zu großen inhabergeführten Einheiten oder zu investorgeführten Gesellschaften sowie Großkonzernen, die ihr Gesamtportfolio vervollständigen wollen.

Redaktion: Welche Rolle spielt die Niedrigzinspolitik bei dieser Entwicklung?

Prof. Dr. Helmberger: Die Niedrigzinspolitik ist nicht die Ursache, wirkt aber wie ein Katalysator. Denn die niedrigen Renditeaussichten auf dem klassischen Kapitalmarkt führen dazu, dass Investoren andere Anlageformen suchen müssen.

Redaktion: Was macht radiologische Praxen für Private-Equity-Gesellschaften so interessant?

Prof. Dr. Helmberger: Im Vergleich zu anderen Fächern macht die Radiologie hohe Umsätze. Diese Tatsache weckt die Erwartung, hohe Renditen erwirtschaften zu können, wenn man nur den Kostenanteil entsprechend senkt. Investoren interessieren sich primär nicht für die medizinische Versorgung, die Radiologie oder das Wohl der Bevölkerung. Sie interessieren sich für eine möglichst hohe Rendite.

Redaktion: Radiologische Praxen arbeiten in der Regel bereits sehr effizient. Ist es realistisch, noch höhere Gewinnmargen zu erzielen?

Prof. Dr. Helmberger: Das ist in meinen Augen ein Trugschluss. Durch den hohen Kostendruck, speziell im GKV-Bereich, waren alle Praxen gezwungen, ihre Kostenstrukturen zu optimieren und ihr Management effektiver zu gestalten. Die Möglichkeiten, die Rendite zu verbessern, sind sehr begrenzt.

Redaktion: Könnte es für ältere Kollegen unter den Radiologen attraktiv sein, an einen Investor zu verkaufen, statt einen jüngeren Kollegen zu suchen?

Prof. Dr. Helmberger: Es kommt noch ein ganz anderer Aspekt hinzu: Kolleginnen und Kollegen, die altersbedingt ihre Nachfolge regeln, würden dies am liebsten mit jüngerem Nachwuchs aus der Radiologie tun. Wer jetzt verkauft, hat die Praxis aufgebaut und zu dem gemacht, was sie heute ist. Aber die unternehmerische Bereitschaft der jüngeren Generation ist rückläufig. Viele streben eine Anstellung an, keine Partnerschaft. Obwohl wir im Verband beobachten, dass dieser Trend wieder etwas zurückgeht, ist es trotzdem so, dass viele jetzt keine Nachfolger finden. Dann ist der Verkauf an einen Investor der lukrativere Ausweg. Zudem ist ein Finanzinvestor, der einen Standort zum Beispiel aus Wettbewerbsgründen unbedingt übernehmen möchte, zu ganz anderen Konditionen fähig als ein Neueinsteigender.

Redaktion: In MVZ, die zu Kapitalgesellschaften gehören, kümmern sich Betriebswirte um alle finanziellen Dinge. Ist es für Radiologen nicht eher von Vorteil, dass sie sich ganz ihren Patienten widmen können?

Prof. Dr. Helmberger: Das ist für manche tatsächlich ein Argument, sich einem investorgesteuerten MVZ anzuschließen. Ich persönlich würde sagen, dass es gerade in radiologischen Praxen Mitarbeitende gibt, die sich primär mit dem Wirtschaftsbetrieb beschäftigen. Einzelne Partner übernehmen Managementaufgaben. Auch unter wirtschaftlichem Druck werden manche Entscheidungen in inhabergeführten Praxen eher patientenorientiert gefällt. Man kann also auch argumentieren, dass die unternehmerische Verantwortung zur Radiologie dazugehört.

Redaktion: Schauen wir auf den Praxisalltag: Welche Mittel nutzen Private-Equity-Gesellschaften, um radiologische Praxen kosteneffizienter zu machen?

Prof. Dr. Helmberger: Da kommen wir wieder auf den Aspekt der Rendite zurück. Es wird zu einer Selektion vermeintlich lukrativer Anteile kommen. Weniger einkömmliche Tätigkeiten wird man abgeben. Das führt zu einer Verschmälerung des diagnostischen und therapeutischen Angebots.

Redaktion: Nehmen wir die Durchleuchtungsuntersuchung als Beispiel. Wie entwickelt sich die Versorgung der Patienten?

Prof. Dr. Helmberger: Die Durchleuchtungsuntersuchungen verschwinden aus den Praxen. Das können wir uns als Klinik gar nicht leisten, weil wir einen Versorgungsauftrag haben. Also bleibt die Durchleuchtungsuntersuchung an den Kliniken hängen, obwohl auch wir wirtschaftlich arbeiten müssen. Für den Patienten fallen Untersuchungsmöglichkeiten weg, das führt zu einer schlechteren Versorgung.

Redaktion: Bei welchen Indikationen befürchten Sie eine besonders schlechte Versorgung?

Prof. Dr. Helmberger: Ein großer Bereich ist die kinderradiologische Versorgung. Wir haben deutschlandweit 70 Kinderradiologen, die zumeist an Kliniken arbeiten. Damit sind wir bereits unterdimensioniert. Auch die kurative Mammografie wird bereits weniger angeboten.

Redaktion: Und welche Indikationen versprechen eine so hohe Rendite, dass sie erhalten bleiben werden?

Prof. Dr. Helmberger: Dazu gehört der gesamte Schnittbildbereich, der immer noch wächst, insbesondere beim MRT. Grund sind Sportverletzungen und degenerative Erkrankungen. Da erwarte ich in Zukunft eine weitere Konzentration.

Redaktion: Sind Digitalisierung und Künstliche Intelligenz (KI) aus Ihrer Sicht für die Konzerne von Vor- oder Nachteil?

Prof. Dr. Helmberger: Die Unternehmen, die sich mit KI beschäftigen, sind alle daran interessiert, einen möglichst großen Datenpool anzulegen. Denn aus großen Datenmengen, die durch KI entstehen, lassen sich neue Produkte generieren. Deshalb sind Großkonzerne an großen Konglomeraten interessiert. Das führt zu einer weiteren Konzentration.

Redaktion: Welche Rahmenbedingungen müsste die Politik ändern, um den Trend zu stoppen?

Prof. Dr. Helmberger: Wir haben bei der alten Bundesregierung leider beobachtet, dass das Gesundheitsministerium gewisse Sympathien für investorgeführte medizinische Einheiten hatte. Möglicherweise lag das an der Vorstellung, dass das dem Gesundheitswesen finanzielle Vorteile verschaffen könnte. Ich glaube das nicht. Denn die Rendite steht immer im Vordergrund. Nach meinem Dafürhalten fehlt jeder Euro für einen privaten Investor der Solidargemeinschaft. Da müsste ein Umdenken eintreten.

Redaktion: Was versprechen Sie sich von der neuen Bundesregierung?

Prof. Dr. Helmberger: Im Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition ist zu diesem Thema nichts konkret zu finden. Wie die Bundespolitik sich positioniert, müssen wir abwarten.

Redaktion: Wie kann eine radiologische Praxis sich davor schützen, von einer Kapitalgesellschaft übernommen zu werden?

Prof. Dr. Helmberger: Jede Praxis ist gut beraten, ihre Kostenstrukturen zu kennen und ihre Organisationsprozesse zu optimieren. Die Situation der Praxen ist je nach Lage unterschiedlich, in den großen Städten ist der Wettbewerb stärker als in kleineren Orten. Je nach Wettbewerbssituation sind Zusammenschlüsse von inhabergeführten Praxen notwendig. Daran gibt es keinen Zweifel. Man müsste auch den Neueinsteigenden nicht nur vermitteln, dass die Partnerschaft ein gutes Ziel ist, sondern ihnen auch ein Angebot machen, das realisierbar ist.

Vielen Dank!