„Die Gestaltungsfreiheit in der eigenen Praxis ist ein Privileg!“

„Erfolgreich in die eigene Praxis“ lautet der Titel eines Leitfadens für die Selbstständigkeit in der Radiologie. Erstautorin ist Dr. med. Ulrike Engelmayer, niedergelassene Radiologin im süddeutschen Schwabmünchen und kooptiertes Vorstandsmitglied des Forums Niedergelassener Radiologen (FuNRad) in der Deutschen Röntgengesellschaft (DRG) sowie des Berufsverbands Deutscher Radiologen (BDR). Ursula Katthöfer ( textwiese.com ) fragte sie, wie der Weg in die eigene Praxis sich gut bewältigen lässt und worauf Abgeber achten sollten.

Redaktion: Der Kostendruck im Gesundheitswesen ist enorm. Was spricht dafür, sich mit einer radiologischen Praxis selbstständig zu machen, statt angestellt im Krankenhaus zu arbeiten?

Dr. Ulrike Engelmayer: Ich erlebe die Gestaltungsfreiheit in der eigenen Praxis als Privileg. Es ist erfüllend, selbst bzw. in Absprache mit meinen Mitgesellschaftern über Unternehmens- und Mitarbeiterführung, Investitionen, Untersuchungsprotokolle, den Patientenkontakt und die Zusammenarbeit mit den Zuweisenden entscheiden zu können. Im Krankenhaus störte mich am meisten die strenge Hierarchie, die nicht nur innerhalb der eigenen Abteilung, sondern auch interdisziplinär und im Verhältnis zur Geschäftsführung herrschte. In der Niederlassung bin ich unabhängiger und freier.

Redaktion: Selbstständigkeit ist eine Typfrage. Was muss der radiologische Nachwuchs unbedingt mitbringen, damit die eigene Niederlassung gelingt?

Dr. Ulrike Engelmayer: Um unternehmerische Verantwortung zu übernehmen, muss man eine gewisse Risikobereitschaft mitbringen. Außerdem braucht man einerseits ein Interesse an Managementthemen und andererseits etwas, das ich „soziales Gewissen“ nenne. Wir haben es täglich mit betriebswirtschaftlichen Themen wie Kosteneffizienz und Personal-Ressourcen, aber auch mit Menschen zu tun, seien es Mitarbeitende, Zuweisende oder Patienten. So entsteht das Spannungsfeld, einerseits die Praxis wirtschaftlich und kostendeckend zu führen und andererseits menschlich und empathisch zu bleiben.

Auf einer Veranstaltung des Deutschen Röntgenkongresses zur Niederlassung wurde kürzlich ein Kollege gefragt, ob man als niedergelassener Radiologe eine Zusatzqualifikation als Master of Business Administration (MBA) bräuchte. Halb spass-, halb ernsthaft antwortete er, dass ein Psychologiestudium wichtiger sei, weil man so viel mit Menschen zu tun habe. Da ist etwas dran. Die Management-Aufgaben können innerhalb der Praxis delegiert oder an Berater, z. B. einen Steuerberater, ausgelagert werden. Jedoch sollten sich Niedergelassene schon zu einem gewissen Grad für Honorarbescheide und Geschäftspläne interessieren.

Redaktion: Stichwort Berater: Wie lässt sich bei der Gründung ein Experte finden, der z. B. das Startkapital berechnet und die Investitionen plant?

Dr. Ulrike Engelmayer: Beim Einstieg in radiologische Praxen geht es um hohe Finanzierungssummen, die deutlich über denen anderer Fachbereiche liegen und die für die „einfachen“ Bankberater eine besondere Herausforderung darstellen. Ich habe sehr gute Erfahrungen mit einer Unternehmensberaterin gemacht, die den Geschäftsplan erstellt und die Finanzierungsanfrage eingereicht hat. Zusätzlich habe ich sehr von einer Medizinrechtlerin profitiert, die die Verträge aufgesetzt und uns durch das Zulassungsverfahren manövriert hat. Um solche Berater zu finden, würde ich im Kollegenkreis nach Empfehlungen fragen.

Redaktion: Wie lässt sich sicherstellen, dass eine Praxis sich langfristig wirtschaftlich trägt?

Dr. Ulrike Engelmayer: Es handelt sich ja meistens um Übernahmen. Deshalb ist eine Analyse der zu übernehmenden Praxis entscheidend. Wichtige Parameter sind die technische Ausstattung, die Personalkosten und das Leistungsangebot. Für den Geschäftsplan ist z. B. zu klären, ob es einen Investitionsbedarf gibt und wie die Zukunftsperspektiven der Praxis sind.

Redaktion: Welche Rolle spielt der Standort?

Dr. Ulrike Engelmayer: Für die Finanzierungsanfrage ist die Wettbewerbssituation am Standort wichtig. In Innenstädten ist zudem ein wichtiger Faktor, ob die Praxis gut mit dem ÖPNV erreichbar ist und ob es genug Parkplätze gibt. In der Stadt sind die Gehälter für das Personal höher, auf dem Land ist das Lohnniveau meistens niedriger, das Praxisteam ist homogener. Da kann es spannend werden, wenn es darum geht, Diversität als Erfolgs- und Qualitätsmerkmal umzusetzen und neue Mitarbeitende zu integrieren. Doch letztlich ist die Standortwahl von den persönlichen Umständen des Einzelnen abhängig. Möchte ich auf dem Land oder in der Stadt leben? Ist der Wohnort mit der Berufstätigkeit meines Partners vereinbar?

Redaktion: Wie lässt sich prüfen, ob der Kaufpreis angemessen ist?

Dr. Ulrike Engelmayer: Viele BAGs haben in ihren Gesellschaftsverträgen Formeln definiert, nach denen der Wert der Praxis berechnet wird. Manche Praxisabgeber lassen Wertgutachten erstellen, bei denen zu prüfen ist, inwieweit der Wert zugunsten des Auftraggebers ausfällt. Letztlich bestimmt die Nachfrage das Angebot. Seit einigen Jahren versuchen finanzstarke Investoren, Einfluss in der ambulanten Radiologie zu gewinnen. Sie sind bereit, sehr hohe Preise für die Übernahme einer Gesellschaft zu zahlen.

Redaktion: Der Leitfaden enthält einen ausführlichen Check-Up zur Patientenfindung und -bindung. Warum ist das angesichts der guten Auslastung in radiologischen Praxen überhaupt ein Thema?

Dr. Ulrike Engelmayer: Bei Privatpatienten ist es essenziell. Doch auch bei Kassenpatienten ist es wichtig, auf die Patienten- und Zuweiserbindung Wert zu legen. Es kann von Vorteil sein, dass Verlaufskontrollen in derselben Praxis erfolgen, sodass eine Kontinuität gegeben ist. Gerade chronisch kranke Menschen sind froh, wenn sie die Praxisabläufe kennen und wissen, was sie erwartet. Auch für die zuweisenden Praxen ist es eine Arbeitserleichterung, wenn die Untersuchungsterminierung und der Befunderhalt etabliert und bekannt sind.

Redaktion: Radiologen im ambulanten Sektor müssen Generalisten sein. Wie sinnvoll ist es dennoch, sich zu spezialisieren?

Dr. Ulrike Engelmayer: In den größeren MVZs und BAGs ist es mittlerweile üblich, dass die dort tätigen Radiologen unterschiedliche Schwerpunkte haben. Auch in den kleineren Praxen ist es wichtig, sich zu spezialisieren und vor allem zu zertifizieren. So sind die Abrechnungsgenehmigungen von Prostata-MRT und Herzdiagnostik an die Zertifikate der Fachgesellschaft bzw. des Berufsverbands gebunden.

Redaktion: Der Ärztestatistik 2021 der Bundesärztekammer zufolge arbeiten in Deutschland etwa 3.500 Radiologinnen und 6.000 Radiologen. Der Frauenanteil hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen und wird weiter steigen. Wie verändert dieser Trend die Gründerszene?

Dr. Ulrike Engelmayer: Kaum. Männliche Kollegen sind immer noch deutlich häufiger Teilhaber, der Anteil niedergelassener Radiologinnen beträgt nur 23 Prozent. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass meine männlichen Kollegen die besseren Netzwerke haben und sich unternehmerische Verantwortung eher zutrauen. Radiologinnen haben hingegen mit vielen Vorurteilen zu kämpfen. Bei meinen Bewerbungen wurde nicht automatisch davon ausgegangen, dass ich Teilhaberin werden möchte. Häufig wurde gedacht, dass ich (als Mutter) nur in Teilzeit arbeiten wolle bzw. ein Wohnortwechsel für mich und meine Familie nicht infrage komme. Leider gibt es auch Praxisvermittler, die diese Vorbehalte haben. Das hat zur Folge, dass wir Radiologinnen seltener als potenzielle Nachfolgerinnen wahrgenommen werden.

Redaktion: Wird Frauen also unterstellt, dass ihre Work-Life-Balance der Niederlassung zum Nachteil wird?

Dr. Ulrike Engelmayer: Bei diesem Schlagwort gehe ich auf die Barrikaden, denn es verkennt absolut die gesellschaftliche Realität. Mit dem Ausdruck Work-Life-Balance wird meiner und den jüngeren Generationen unterstellt, dass wir Shoppen und zum Golfen gehen wollen. Dabei beinhaltet „Life“ Care-Arbeit wie Kinderbetreuung oder Pflege von Angehörigen, Forschung, Fortbildung etc. Die Erlanger Längsschnittstudie BELA-E hat gezeigt, dass Ärztinnen zu 85 Prozent Partner mit demselben Bildungsabschluss haben, 40 Prozent der Partner sind selbst Ärzte und 91 Prozent arbeiten in Vollzeit. Bei Ärzten hingen sind die Prozentsätze in allen Bereichen niedriger, sie haben also eher Partnerinnen, die ihnen „den Rücken freihalten“. Auch haben wir heute eine ganz andere Arbeitsverdichtung als vor ein, zwei Jahrzehnten. Damals wurden z. B. 15 CTs am Tag gemacht, heute sind es 40. Das Argument älterer Kollegen aller Fachgruppen, früher seien Praxisinhaber viel leistungsbereiter gewesen als die Fachärzte von heute, lasse ich nicht gelten. Wir befinden uns mitten in einem Wertewandel, negativ ausgedrückt kann man es als Generationenkonflikt bezeichnen.

Redaktion: Wie ließe diese Konfliktsituation sich konstruktiv lösen?

Dr. Ulrike Engelmayer: Für die Praxisübergabe bedeutet dies, dass es umso wichtiger ist, eine Vertrauensbasis zwischen Abgeber und Nachfolger aufzubauen. Dies kann durch Praxisvertretungen, Kooperationen zwischen Praxen und Kliniken oder eine Anstellung erfolgen. Dabei sollte bedacht werden, dass sich der Markt in Zeiten des Fachkräftemangels gedreht hat: Praxen müssen für die nachfolgende Generation attraktiv sein, um weiterhin Bestand zu haben. Das gilt übrigens ebenso für das nicht-ärztliche Personal.

Redaktion: Wendet der Leitfaden sich denn auch an Abgeber?

Dr. Ulrike Engelmayer: Ja, denn die Checklisten enthalten Informationen, die der Abgeber für den Geschäftsplan bzw. die Finanzierungsanfrage zur Verfügung stellen muss. Die Banken brauchen Informationen zu den Praxisräumen wie z. B. Mietverträge und Grundrisse der Praxis, bei Eigentum sogar Grundbuchauszüge, Unterlagen zur Personalsituation wie z. B. Arbeitsverträge, Lohnjournale und Organigramme, zu den Praxisversicherungen und zu geplanten Marketing-Aktivitäten. Das kann eine recht aufwendige Recherche bedeuten.

Redaktion: Gibt es etwas, wovon Sie jungen Radiologen bei der Suche nach einer Niederlassung unbedingt abraten?

Dr. Ulrike Engelmayer: Die Unternehmensführung und Unternehmensphilosophie sollten zur eigenen Persönlichkeit passen. Sobald rechtliche Grauzonen, z. B. in Bezug auf Steuerthemen oder die Gesellschaftsanteile – Stichwort Scheinselbstständigkeit – tangiert werden, sollten Interessenten aussteigen. Auch das hat mit dem Wertewandel der Ärztegenerationen zu tun. Es gilt jetzt das Antikorruptionsgesetz. Was vor einigen Jahren noch ein Kavaliersdelikt war, ist heute eine Straftat, die zum Verlust der Approbation führen kann. Doch sollten junge Radiologen auf keinen Fall aufgeben, wenn sich Hürden auftun. Es gibt nichts Schöneres, als niedergelassene Radiologin zu sein. Ich kann aus vollem Herzen sagen, dass ich meinen Traumberuf ausübe.

Redaktion: Vielen Dank!

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