„Die Entwicklung der Computertomografie ist bis heute faszinierend“

50 Jahre Computertomografie: Das „Arbeitspferd der Radiologie“ wird ein halbes Jahrhundert alt. Der Deutsche Röntgenkongress (Röko) widmet der Computertomografie (CT) daher einen Schwerpunkt. Prof. Dr. Heinz-Peter Schlemmer ist Leiter der Abteilung Radiologie des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg und Sprecher des Forschungsschwerpunkts Bildgebung und Radioonkologie am DKFZ. Er hat zudem die Professur für Radiodiagnostische Onkologie an der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg inne. Ursula Katthöfer ( textwiese.com ) sprach mit ihm über Vergangenheit und Zukunft der CT in der Humanmedizin.

Redaktion: Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Erfahrung mit der CT?

Prof. Dr. Schlemmer: Tatsächlich war es noch eine inkrementelle CT, keine Spiral-CT. Das muss Ende der 1980-er Jahre gewesen sein. Bei der CT des Schädels eines Schlaganfallpatienten sollte geklärt werden, ob es sich um eine Einblutung oder eine Ischämie handelt. Schichtbilder waren damals schon Teil der Routine, doch die Aufnahmetechnik war bei Weitem nicht so weit wie heute. Bei Untersuchungen der Lunge musste der Patient für jede Schicht zum Ein- und Ausatmen aufgefordert werden.

Redaktion: Die frühe Bildgebung von 1972 war noch sehr einfach, dennoch bekam die CT einen enormen betriebswirtschaftlichen Stellenwert. Warum?

Prof. Dr. Schlemmer: Dazu möchte ich zunächst in die Historie der Medizin zurückschauen. Die Wurzel unserer heutigen westlichen Medizin liegt in der Renaissance. Seitdem untersuchen Ärzte die menschliche Anatomie. Zuvor gab es ganz andere Vorstellungen vom Gleichgewicht des Körpers, etwa die Vier-Säfte-Lehre der griechischen Kultur. Mit der Anatomie zerlegten Mediziner den Körper in Teile. Krankheiten wurden als Störungen der Anatomie erkannt. Horchen, Klopfen und Tasten waren Mittel, um zu untersuchen, wo im menschlichen Körper etwas Krankhaftes geschieht. Mit Röntgens Entdeckung wurde die Anatomie zugänglich, ohne den Körper zu berühren. Das war revolutionär. Die Bildgebung wurde damit zu einem Standardinstrument der medizinischen Diagnostik. Und das weltweit überall dort, wo wissenschaftliche Medizin betrieben wurde.

Redaktion: Und mit ihr wuchs dann die CT?

Prof. Dr. Schlemmer: Nachdem die CT am Markt war, entstand eine irrsinnige globale Nachfrage. Es begann eine rasante Ära der verbesserten Technik mit höherer Auflösung, besserer Bildqualität, geringerer Strahlung und weniger Bewegungsartefakten.

Heute beruht z. B. fast jede Medikamentenentwicklung in der Onkologie auf Studien, bei denen der individuelle Therapieerfolg mit der CT gemonitort wird. Ob ein Tumor kleiner oder größer wird, ob er zerfällt oder aktiv bleibt, sehen wir an der Bildgebung.

Redaktion: Welches waren Meilensteine in der Weiterentwicklung?

Prof. Dr. Schlemmer: Ich sehe zwei Meilensteine: Die Methode der CT, die Godfrey Hounsfield realisierte, und die Weiterentwicklung der Spiral-CT durch Willi Alfred Kalender. Es folgten weitere Wellen von immer leistungsfähigeren Röntgenröhren und Detektoren, von immer leistungsfähigerer Mechanik sowie verbesserte Bildrekonstruktionsmethoden mit immer leistungsfähigeren Computern. Jetzt kommt Photon Counting mit einer höheren Detektorempfindlichkeit mit dementsprechend höherer Auflösung, besserem Kontrast und weniger Strahlenbelastung.

Redaktion: Eine Röko-Veranstaltung wird den Titel „50 Jahre CT – Vom Tot-Gesagten zum Steh-auf-Männchen“ tragen. Was war für das CT bedrohlich?

Prof. Dr. Schlemmer: Als die Magnetresonanztomografie (MRT) kam, dachte man, ihr Kontrast sei viel besser. Es gab keine ionisierenden Strahlen. Einige gingen davon aus, dass man die CT nicht mehr brauche. Doch die MRT wurde überschätzt und die Technik der CT entwickelte sich weiter. Aufnahmezeiten für Ganzkörperaufnahmen dauerten nur wenige Sekunden.

Die CT ist der MRT in vielen Bereichen überlegen und heute weltweit als diagnostisches Instrument aus der Medizin nicht mehr wegzudenken. Sie ist unersetzlich in der Notfalldiagnostik. Sie ist bei der Diagnostik der Lunge der MRT weit überlegen. In der Kardiodiagnostik kann die moderne CT die diagnostische Koronar-Angiografie praktisch komplett ersetzen. Aus vielen weiteren Einsatzgebieten ist die CT nicht mehr wegzudenken.

Redaktion: Schauen wir auf die Gegenwart: CT-Technik oder MRT-Technik – wo lassen sich bessere Umsätze erzielen?

Prof. Dr. Schlemmer: Die CT kann man leichter betreiben, weil sie weder Kältetechnik noch einen Magneten braucht. Es gibt auch preiswerte und dennoch sehr leistungsfähige Systeme für weniger entwickelte Regionen.

Redaktion: Sie arbeiten bereits mit der neuen Photon Counting CT, die Bilddaten direkt digital registriert. Wo sind die Vorteile für die Radiologen?

Prof. Dr. Schlemmer: Wir hatten am DKFZ einen Experimental-Scanner, mit dem wir wissenschaftlich arbeiten konnten und erste Erfahrungen mit dem Strahlenschutz sammelten. Erste klinische Erkenntnisse bekamen wir über die Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Stefan Schönberg, der im Klinikum Mannheim eines der ersten für den klinischen Einsatz zugelassenen Geräte betreibt. Derzeit wird untersucht, inwiefern in der klinischen Routine eine höhere räumliche Auflösung, ein besserer Weichteilkontrast, eine reduzierte Strahlendosis und eine geringere Kontrastmittelmenge möglich und therapierelevant sein werden.

Redaktion: Wo sind verbesserte Untersuchungsmethoden zu erwarten?

Prof. Dr. Schlemmer: Den ersten Erfahrungen zufolge wird die Herzbildgebung enorm profitieren. Der Gefäßbaum ist besser zu sehen, es können detailliertere Schlüsse gezogen werden. Es ist ein fantastischer Erfolg, dass man das Herz und die Herzkranzgefäße im Bruchteil einer Sekunde, in dem der Patient nur sehr kurz den Atem anhält, in dennoch deutlich höherer Auflösung scannen kann. Ist die Technik noch weiter ausgereift, wird es auch viele Anwendungen mit reduzierter Strahlendosis in Lungenfachkliniken geben.

Wegen der höheren Auflösung und der besseren Kontraste werden wir in der Onkologie die Durchblutung des Tumors besser erkennen. Das alles wird einen großen Einfluss auf genauere Diagnostik und Früherkennung haben.

Redaktion: Für eine CT bei Kindern müssen Nutzen und Risiken besonders sogfältig abgewogen werden. Profitieren Kinder von der neuen Technik?

Prof. Dr. Schlemmer: Eine Nutzen-Risiko-Abschätzung muss man immer machen. Mit der Photon Counting CT verbessert sich das Nutzen-Risiko-Verhältnis alleine schon deshalb, weil der Detektor empfindlicher ist und weniger Strahlendosis benötigt. Denn das ist eine Frage der Mathematik: Wenn man den Teiler verkleinert, wird der Bruch größer. Anders gesagt: Je geringer das Risiko, desto höher der Nutzen. Das spielt insbesondere für die Pädiatrie eine wichtige Rolle.

Redaktion: Wie hoch ist der Weiterbildungsbedarf?

Prof. Dr. Schlemmer: Bisher reichen Grundkenntnisse des Photon Counting Detektors aus. Wenn das Gerät voll funktionsfähig ist und wir die Energieauflösung betrachten, dann könnte es einen Weiterbildungsbedarf geben. Doch für die Diagnostik ist kein zusätzliches physikalisches Fachwissen notwendig. Man kann sich die Weiterentwicklung so ähnlich vorstellen wie bei einer Digitalkamera. Sie hat mehr Pixel, der Sensor ist empfindlicher. Auch der Photon Counting Detektor ist nun empfindlicher und hat mit mehr Pixeln eine höhere Auflösung.

Redaktion: Wann lohnt es sich für eine Praxis oder Abteilung, in ein Gerät zur Photon Counting CT zu investieren?

Prof. Dr. Schlemmer: Wenn es klare Indikationen und klinische Vorteile gibt. Das hängt wiederum von den Fragestellungen und dem Patientenklientel ab. Bei der Untersuchung von Kindern ist das gar keine Frage. Ich könnte mir zudem vorstellen, dass sich Spezialfragestellungen wie z. B. die Kardio-CT und Lungen-CT herauskristallisieren und dass onkologische Zentren die Geräte vor allem für die vielen Kontroll-CTs und wissenschaftliche Studien nutzen.

Redaktion: Denken wir nicht 50 Jahre, sondern nur 10 Jahre weiter. Wird die Photon Counting CT die konventionelle CT ablösen?

Prof. Dr. Schlemmer: Es ist immer eine Frage der Kosten-Nutzen-Relation. Wer investieren will, muss sich fragen, ob er wirklich die höhere Auflösung für seine Fragestellungen braucht. Die Strahlenreduktion ist zweifelsohne ein sehr relevanter Aspekt. Die technische Verbesserung muss in Relation zu den Anschaffungs-, Unterhaltungs- und Wartungskosten gesetzt werden. Der Stromverbrauch der Photon Counting CT ist dem Hersteller zufolge übrigens nicht höher als bei anderen hochwertigen Dual Source Systemen.

Die CT ist über die ganze Welt verbreitet, von Spezialkliniken in urbanen Zentren bis zu Allgemeinkrankenhäusern in ländlichen Gegenden. Für die einfache Routinediagnostik können herkömmliche CT-Geräte noch immer ganz hervorragend sein. Wirtschaftlich wie medizinisch betrachtet lässt sich mit einem älteren Gerät, das noch gut funktioniert, eine sehr gute Diagnostik machen. Die Photon Counting CT ist eine beachtenswerte technologische Entwicklung mit großem diagnostischen Potenzial, an der extrem lang gearbeitet wurde. Summa summarum ist faszinierend, dass wir in der anatomischen und funktionellen Darstellung noch einmal weiterkommen.

Vielen Dank!