Die Bewertung von Arztpraxen

von Geschäftsführer Dr. Bernd May, MBM Medical-Unternehmensberatung GmbH, Mainz

Veräußerung eines Gesellschaftsanteils, Erwerb eines Gesellschaftsanteils, Wertermittlung eines Praxisanteils im Rahmen eines Scheidungsverfahrens etc. – je nach Anlass bestehen bei den Beteiligten oft unterschiedliche Vorstellungen über den Praxiswert. Für die Bewertung geht man inzwischen allgemein von einer ertragswertorientierten Methode unter Berücksichtigung der Kosten aus (= sogenanntes Ertragswertverfahren). Hier die Einzelheiten.

Das Ertragswertverfahren 

Bei der Bewertung von Arztpraxen kollidieren zwei Prinzipien: Zum einen beschränken die gesetzlichen Regulierungen die unternehmerischen Freiräume bei der Führung der Praxis. Zum anderen ist eine (radiologische) Arztpraxis ein auf Gewinnerzielung ausgerichteter Wirtschaftsbetrieb, an dessen zukünftiger Entwicklung der Käufer interessiert ist.

Insofern spielt die Vergangenheit der Unternehmensentwicklung lediglich bis zum Bewertungsstichtag mit Darstellung der wirtschaftlichen Verhältnisse als Ausgangswert für die Zukunftsentwicklung eine Rolle. Risiken und Chancen sind bei der Zukunftsentwicklung entsprechend der Marktbesonderheiten zu berücksichtigen. Dies alles berücksichtigt das sogenannte Ertragswertverfahren, das höchstrichterlich auch für die Bewertung von Arztpraxen bestätigt worden ist (BGH, Urteil vom 02.02.2011, Az. XII ZR 185/08; Urteil vom 09.02.2011, Az. XII ZR 40/09). Auch die Bundesärztekammer greift dies in ihren „Hinweisen zur Bewertung von Arztpraxen“ auf.

Gutachter hinzuziehen 

Um den Interessen der Beteiligten im Bewertungsverfahren gerecht zu werden, kann ein Gutachter bestellt werden. Dessen Stellung ist genau zu beschreiben:

  • Handelt es sich um ein Parteiengutachten mit einer Bewertung aus der Sicht einer Partei (z. B. Anteilsabgeber oder -erwerber)?
  • Wird ein neutraler Gutachter mit dem Ziel tätig, einen fairen Interessenausgleich zwischen beiden Parteien herzustellen?
  • Gibt es einen vom Gericht bestellten Gutachter?

Zeitlich begrenzte Zukunftsprognose 

Im Gegensatz zu einem gewerblichen Betrieb mit einem weit in die Zukunft fortgeschriebenen Erfolg ist der Zukunftserfolg für Praxen meist zeitlich beschränkt:

  • Bei einer Einzelpraxis ist der Erfolg mit der Person des Praxisinhabers, seinem fachlichen Können und seiner Praxisführung eng verbunden. Dieser Erfolg kann sich schnell verflüchtigen, wenn der Übernehmer ein deutlich abweichendes fachliches Führungsprofil hat. Die gesetzliche Regulierung des Gesundheitsmarktes spielt ebenfalls eine wesentliche zeitliche Rolle.
  • Für Kooperationen ist der Zukunftserfolg schwieriger zu analysieren: Angesichts der Konzentrationsprozesse im ambulanten (und auch im stationären) Bereich bilden sich Kooperationen von Praxen untereinander oder aus Praxen mit Kliniken. Hier entstehen medizinisch wie konzeptionell bestandsfähige Praxisunternehmen mit z. T. mehr als 30 Fachärzten.

Zukunftsprognose hängt von Ertrags- und Bestandskraft ab 

Grundsätzlich hat der wirtschaftliche Zukunftserfolg einer Praxis zwei Dimensionen:

  • 1. Die nachhaltige Ertragskraft mit der in die Zukunft fortzuschreibenden, durchschnittlichen Gewinnerwartung (z. B. Gewinn vor Steuern nach Abschreibung und Zinsen einschließlich aller Arztgehälter, also der ausschüttungsfähige Gewinn)
  • 2. Die Bestandskraft, ausgedrückt im Ergebniszeitraum, also die Anzahl der Jahre, in denen der zukünftig zu erwartende Durchschnittsgewinn zu berücksichtigen ist

Diese beiden Dimensionen beschreiben im Schaubild unten vier typische Praxissituationen bei Bewertungsverfahren: Das Feld 1 bestimmt den relativ höchsten Praxiswert, die Felder 2 und 3 einen demgegenüber niedrigeren und das Feld 4 den relativ niedrigsten Praxiswert mit geringer Bestands- und Ertragskraft. Letzteres ist z. B. für eine Einzelpraxis mit konventionellem Röntgen, Sonographie und nur CT der Fall.

Ertragskraft (Gewinn) 

Bei der Gewinnermittlung müssen solche investiven Maßnahmen berücksichtigt werden, die zur Erhaltung der für die zukünftige Gewinnerzielung relevanten Substanz notwendig sind.

Beispiel: Veraltete Technik

In einer Praxis steht ein technologisch veralteter MRT, mit dem keine Kardio- oder Prostata-Diagnostik möglich ist bzw. Untersuchungen an Kleinkindern zu lange dauern. Werden parallel dazu mehrere moderne MRT betrieben, ist die veraltete Technologie weniger relevant, da diejenigen Indikationen damit bearbeitet werden können, deren Ergebnisse noch zeitgemäß sind.

Dagegen spielt eine veraltete Mehrzeilen-CT-Technologie ohne den aktuellen Stand der Strahlenhygiene grundsätzlich eine entscheidende Rolle.

 

Beispiel: Längere Nutzung

In einer Praxis werden Geräte betrieben, die am Ende ihres Lebenszyklus angelangt sind. Sie werden außerdem länger als betriebsgewöhnlich abgeschrieben. Zusätzlich ist eine Finanzierung mit einer über die betriebsgewöhnliche Nutzungszeit hinausgehenden Tilgung vereinbart worden. Hier sind entsprechende Korrekturen erforderlich:

  • Virtuelle Anschaffung eines Geräts mit aktueller Technologie
  • Betriebsgewöhnliche Nutzungszeit mit kongruenter AfA und Finanzierung (diese Korrektur ist vor allem dem endlichen Ergebniszeitraum geschuldet)

 

Bei den Kosten ist zu berücksichtigen, dass jeder in der Praxis tätige Arzt mit einem für seine Tätigkeit üblichen Gehalt eingesetzt wird. Das gilt auch für Nicht-Angestellte wie am Gesellschaftsvermögen beteiligte Arzt-Unternehmer.

Bestandskraft (Ergebniszeitraum) 

Zu den Besonderheiten einer Arztpraxis gehört, dass sich ein besonderes, herausragendes Eignungsprofil eines Arztes mit dessen Ausscheiden relativ schnell verflüchtigt, wenn die besondere Eignung nicht durch einen in der Praxis tätigen Arzt redundant besetzt ist oder der Anteilsübernehmer diese einbringt. Das gilt für

  • eine besondere fachliche Eignung (beispielsweise Diagnostische Neuroradiologie) oder
  • ein Managementsystem (z. B. für die Einhaltung des Regelwerks für den sozialen Zusammenhalt, die Anpassung und Weiterentwicklung der Strukturen in Abhängigkeit von den gesetzlichen Rahmenbedingungen, die fachliche Weiterentwicklung).

Lassen sich die Gewinnanteile eindeutig einer solchen Eignung zuordnen und können die Abhängigkeiten nicht durch den Aufbau entsprechender Redundanz beseitigt werden, muss dieser Faktor beim Ergebniszeitraum als Minderung gesondert berücksichtigt werden.

Beispiel

Üblicherweise erzielt ein überwiegend mit Spezialisten arbeitender Praxisbetrieb im Vergleich zu einem mit Generalisten einen höheren Gewinn. Er hat aber dann eine niedrigere Bestandskraft, wenn diese Spezialisierungen nicht redundant besetzt sind.

 

Hinweise für die Praxis 

Die Gewinnbeiträge von Mehrstandortpraxen sind einzeln auch bezüglich ihrer Bestandskraft zu bewerten.

Unterhält eine Praxis eine oder mehrere Kooperationen mit Kliniken, muss jede Kooperation im Hinblick auf ihre Bestandskraft analysiert werden. Dabei können sehr unterschiedliche rechtliche Rahmenbedingungen zugrunde liegen. Auch hängt die Zufriedenheit beider Parteien mit einer solchen Kooperation unter anderem von der Ergebnisqualität, der Servicequalität und der Kostenstruktur aus Sicht des klinischen Partners ab. Wenn beispielsweise die fachlichen Schwerpunkte des radiologischen Kooperationspartners nicht mit den klinischen Schwerpunkten korrespondieren, kann der Bestand einer Kooperation gefährdet sein, wenn diese Inkongruenz nicht beseitigt wird.

Die fachlich-methodischen Schwerpunkte einer Praxis sind im Verhältnis zu Mitbewerbern im direkten Einzugsgebiet herauszuarbeiten und evtl. gesondert zu bewerten.

Beispiele

Hier wird das Einzugsgebiet von den fachlichen Schwerpunkten der Praxis selbst geprägt und die Ausdehnung bis zu einem Mitbewerber mit einem vergleichbaren Schwerpunktprofil bestimmt:

  • Bei der interventionellen Radiologie in Kooperation mit dem Klinikpartner ist auch die kontrastmittel-gestützte multiparametrische MRT der Prostata an einer Klinik mit urologischem Schwerpunkt mit dem Potenzial MRT-gesteuerter Therapien zu berücksichtigen.
  • Fachliche Praxis-Schwerpunkte sind nichtinvasive Kardio-Diagnostik mit MRT und CT, neuroradiologische Diagnostik (insbesondere in Kooperation mit einem neurologischen bzw. neurochirurgischen Klinikpartner), die Prostatadiagnostik, die Strahlentherapie mithilfe von Linearbeschleunigern, Mammascreening (PVA) oder ein kinderradiologischer Schwerpunkt, der nachts nach Beendigung der Erwachsenen-Radiologie mit Kindern ohne die Notwendigkeit einer die Kinder immer belastenden Anästhesie durchgeführt wird.

Insofern sind zu bewerten:

  • Spezialisierung bei der Ausübung der fachlichen Schwerpunkte versus Generalisierung (Aufbau von Redundanz für jede Spezialisierung)
  • Servicequalität gegenüber Patienten und zuweisenden Ärzten
  • Mehrstandorte-Konzept versus Konzentration an einem Standort

 

Berechnung des Ertragswerts 

Der Ertragswert setzt sich aus den nachhaltigen Gewinnanteilen zusammen, die innerhalb eines Ergebniszeitraums anfallen und die einzeln auf den Bewertungsstichtag abzuzinsen sind.

Der dabei eingesetzte Zinssatz enthält einen Risikoanteil, der z. B. Unsicherheiten bei Änderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen oder die Bestandsfähigkeit einer Kooperation mit einer Klinik berücksichtigt. Darin kann sich auch ausdrücken, dass die Bestandsfähigkeit einer Klinik selbst kritisch zu sehen ist (z. B. wegen Veräußerung oder Schließung). Üblicherweise hat aber der stationäre Sektor eine höhere Bestandskraft als der ambulante.

Zu berücksichtigen ist am Ende des Ergebniszeitraums eine evtl. nicht durch den Abgeber verbrauchte Substanz (wie Geräte). Diese ist in einem solchen Fall zu ermitteln, auf den Bewertungsstichtag abzuzinsen und dem Ertragswert zuzuschlagen.

Die Summe der abgezinsten Ertragswerte (Zukunftserfolge) zuzüglich einer etwaigen, am Ende eines Ergebniszeitraums verbleibenden, nicht verbrauchten Substanz (abgezinst auf den Bewertungsstichtag) bestimmt dann den Praxiswert.

Weiterführender Hinweis

  • BÄK-Hinweise zur Bewertung von Arztpraxen auf der Website der BÄK unter www.iww.de/s178.