Der Haftungsfall- wie reagiere ich richtig bei Behandlungsfehlervorwürfen?

von RAin, FAin für MedizinR Dr. Christina Thissen, Münster, www.kanzlei-am-aerztehaus.de

Ein möglicher Haftungsfall ist für einen Arzt eine ernstzunehmende Angelegenheit und kann erhebliche Konsequenzen nach sich ziehen. Üblicherweise deutet sich ein möglicher Haftungsfall schon dann an, wenn ein Patient entweder selbst oder in anwaltlicher Vertretung die Einsichtnahme in seine Patientenakte verlangt bzw. um Übersendung von Abschriften gegen Kostenerstattung bittet.

Einsicht in die Patientenakte: Was ist zu beachten?

Erfolgt die Aufforderung zur Einsichtnahme durch einen Anwalt, so müssen Sie zunächst darauf achten, dass dieser sich durch eine entsprechende Vollmacht legitimiert und Ihnen eine Schweigepflichtentbindung zu seinen Gunsten in Bezug auf die in Ihrem Hause erfolgte Behandlung vorlegt. Ansonsten darf eine Übersendung aufgrund der bestehenden ärztlichen Schweigepflicht nicht an den Anwalt, sondern nur unmittelbar an den Patienten persönlich erfolgen.

In der anwaltlichen Praxis erleben wir immer wieder, dass Ärzte entsprechende Anfragen ignorieren, die Dokumentation teilweise zurückhalten oder gar unvorteilhafte Einträge aus der Dokumentation streichen. Davon ist dringend abzuraten. Gemäß § 630g BGB besteht für den Patienten ein jederzeitiges Recht auf Einsicht. Dies umfasst die vollständige Akte, auch angefertigte Röntgen-/CT- und MRT-Bilder. Der Arzt kann nur dann die Einsichtnahme bzw. Übersendung von Abschriften gegen Kostenübernahme verweigern, wenn dem therapeutische oder sonstige erhebliche Gründe entgegenstehen.

Merke

Im Bereich der Radiologie, in der die Patientendokumentation ganz vorwiegend aus den Befunden der angewendeten bildgebenden Verfahren besteht, sind solche Verweigerungsgründe praktisch kaum denkbar.

 

Verzögerungen beim Aktenversand können Patienten fast ausnahmslos erfolgreich mit einer Herausgabeklage begegnen. Im Übrigen schlägt sich eine Verschleppungstaktik des Arztes im Falle eines anschließenden Arzthaftungsprozesses nach ständiger Rechtsprechung durchaus auch in der Schmerzensgeldhöhe nieder. Nachträgliche Veränderungen der Akte müssten als solche kenntlich gemacht werden (§ 630f Abs. 1 BGB). Der Beweiswert der Dokumentation wird ansonsten insgesamt erheblich eingeschränkt oder gar aufgehoben, wenn ein befasstes Gericht Manipulationen am Akteninhalt feststellen sollte.

Analoge Röntgenbilder im Original oder in Kopie?

Speziell bei Radiologen stellt sich im Zusammenhang mit dem Einsichtnahmerecht des Patienten aber in der Praxis noch eine andere Frage: Müssen Röntgenbilder, die in analoger Form erstellt wurden, im Original an den Patienten herausgegeben werden? Der Arzt ist im rechtlichen Sinne Urheber und Eigentümer des Originals. Dennoch muss er es dem Patienten zumindest vorübergehend zur Verfügung stellen, wenn eine Anforderung durch nachbehandelnde Ärzte erfolgt (vgl. § 28 Abs. 8 Röntgenverordnung). Einer Anforderung des Originals durch den Patienten oder seinen Anwalt muss hingegen nicht entsprochen werden. Die Rechte des Patienten sind in § 630g Abs. 2 BGB insoweit abschließend geregelt. Er kann gegen Kostenübernahme nur elektronische Abschriften verlangen.

Wann ist die Dokumentation von Zusatzinformationen sinnvoll?

Sie sind gemäß § 630f BGB nur verpflichtet, in der Patientenakte sämtliche aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung wesentliche Maßnahmen und deren Ergebnisse aufzuzeichnen. Daher ist es bei einem drohenden Haftungsprozess sinnvoll, abseits der Behandlungsdokumentation Zusatzinformationen zu den tatsächlichen Abläufen als Gedächtnisstütze zu erstellen. Sie werden sich ansonsten später in einer juristischen Auseinandersetzung nicht mehr an die unter Umständen streitentscheidenden Einzelheiten erinnern.

Soweit Sie überhaupt konkrete Erinnerungen an die Behandlung bzw. Befundung haben, sollten Sie bei drohender Haftung unmittelbar ein Gedächtnisprotokoll erstellen. Darin sollten Sie den Behandlungsablauf und besondere Umstände im Detail schriftlich aufarbeiten. Folgende Fragen können in diesem Zusammenhang u. a. als Orientierungshilfe dienen:

  • War der Patient in Begleitung?
  • Hat er besondere Fragen gestellt?
  • Wie lange hat das Gespräch gedauert?
  • Welche Erklärungen für eine lückenhafte Dokumentation liegen ggf. vor?

Dieses Gedächtnisprotokoll verwahren Sie gesondert von der Patientenakte, da es rechtlich nicht zum Akteninhalt gehört. Entsprechend muss es dem Patienten nicht zur Einsicht zur Verfügung gestellt werden.

Haftpflichtversicherung frühzeitig einbinden

Anwaltliche Anschreiben sollten Sie vorsorglich, selbst wenn Sie zunächst nur zur Überlassung einer Abschrift der Patientenakte aufgefordert werden, grundsätzlich bei Ihrer Haftpflichtversicherung (nicht Rechtsschutzversicherung) vorlegen. Eine Ausnahme hiervon besteht allerdings: wenn sich aus dem Kontext ergibt, dass sich die Forderungen des Patienten offenkundig gegen einen anderen Arzt richten (z. B. aufgrund der Betreffzeile des Schreibens) und von Ihnen nur ergänzend Befunde angefordert werden.

Sollte Ihnen ohne anwaltliche Vorwarnung unmittelbar eine Klage zugestellt werden oder die Schlichtungsstelle einer Ärztekammer Sie im Auftrag eines Patienten kontaktieren, so nehmen Sie ebenfalls umgehend Kontakt mit Ihrem Versicherer auf.

Merke

Geben Sie in keinem Fall eigene Stellungnahmen oder gar Haftungszusagen gegenüber dem Patienten ab.

 

Versicherung entscheidet, welcher Anwalt Sie vertritt

Die Haftpflichtversicherung entscheidet sowohl bei außergerichtlicher als auch bei gerichtlicher Inanspruchnahme darüber, was gegenüber dem Patienten kommuniziert wird und durch wen Sie sich gegenüber dem Patienten anwaltlich vertreten lassen. Die Mandatierung und Kostenübernahme erfolgt auch ausschließlich über den Versicherer.

Einige Versicherungsgesellschaften respektieren in diesem Zusammenhang zumindest im Falle einer Klage die Wünsche ihres Versicherungsnehmers. Andere Versicherer bestehen aber auf die Mandatierung eines ihrer Kooperationsanwälte. Einer außergerichtlichen anwaltlichen Vertretung wird fast nie zugestimmt, da die außergerichtliche Kommunikation üblicherweise durch angestellte Juristen des Versicherers übernommen wird.

Für die Ärzte ist es vielfach irritierend, wenn sie sich in dieser ohnehin schon belastenden Situation unerwartet nicht an ihren Vertrauensanwalt wenden dürfen. Es besteht nur die Möglichkeit, sich auf eigene Kosten im Hintergrund begleitend vom Wunschanwalt beraten zu lassen, ohne dass dieser nach außen in Erscheinung treten dürfte.

Praxistipp

Wem bestehende persönliche Bindungen in der anwaltlichen Beratung wichtig sind, sollte einen prüfenden Blick in die eigenen Versicherungsbedingungen vornehmen und ggf. auch einen Wechsel der Versicherung in Erwägung ziehen.

 

Versicherung fordert Akten und Stellungnahme

Die Versicherung wird Sie zur Beurteilung der Haftungsfrage in jedem Fall auffordern, ihr Abschriften der Behandlungsdokumentation und eine ärztliche Stellungnahme zukommen zu lassen. Auch hier gilt: Nehmen Sie keine Veränderungen an der Dokumentation vor und geben Sie eine wahrheitsgemäße Stellungnahme ab, auch wenn Ihnen ein Behandlungsfehler unterlaufen sein sollte. Sollten die Vorwürfe des Patienten offenkundig berechtigt sein, so sollten Sie auf eine außergerichtliche Regulierung des Schadens durch die Versicherung in Ihrer Stellungnahme hinwirken. Ein Gerichtsprozess ist langwierig, durch die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen ggf. sogar rufschädigend und dadurch belastend. Dies sollte man nur auf sich nehmen, wenn man sich aus eigener Überzeugung keinen Behandlungsfehler vorwerfen lassen muss.