Dann ist Teleradiologie sinnvoll

von Geschäftsführer Dr. Bernd May, MBM Medical-Unternehmensberatung GmbH, Mainz

Die Teleradiologie ist durch die moderne IT zu einer feinen Sache für alle Beteiligten geworden, wenn Bilder an einen beliebig entfernten Ort schnell übertragen werden können. Die Röntgenverordnung schränkt diese Freiheitsgrade auf solche Fälle ein, in denen bestehende Versorgungslücken geschlossen werden müssen, wenn es um die Anwendung von Röntgenstrahlen zur Untersuchung von Menschen geht. Hier ein Überblick über praktische Erfahrungen im Versorgungsalltag und mögliche Schlussfolgerungen.

Transfer von Experten-Know-how wird möglich

Bildgebende Verfahren spielen im modernen Versorgungsprozess eine wesentliche Rolle bei der Unterstützung zielgerichteter Therapien (Diagnostik) unter erhöhtem Kosten-druck, zunehmender Personalknappheit und einer stetigen Veränderung der Behandlungsansätze. Bei der Anpassung der radiologischen Versorgung an diese Rahmenbedingungen werden grundsätzlich technisch-methodische Innovationen genannt.

Die Vorteile für die Bevölkerung in dünn besiedelten, strukturschwachen Regionen liegen auf der Hand: Mit Hilfe der Teleradiologie lässt sich das Know-how von Experten in diese Regionen exportieren.

Selbst in hochverdichteten Ballungsräumen erobert die Teleradiologie überzeugende Positionen: So kann beispielsweise eine Uniklinik andere Häuser der Schwerpunkt- und Regelversorgung teleradiologisch versorgen. Diese Häuser vefügen ggf. über medizin-technisches Personal, das im Vergleich zu den mit modernen Verfahren hochtrainierten MTRA der Uniklinik nicht in gleicher Weise geschult ist. Die MTRA der Uniklinik steuern hier zentral das erforderliche Know-how z. B. beim Einsatz spezieller Sequenzen zur Verbesserung von Untersuchungsergebnissen bei bestimmten Erkrankungen. Auch hier geht es also um den Export von besonderem Know-how in stationäre Einrichtungen zur Verbesserung der Versorgungsqualität.

In der Praxis gibt es jedoch eine Schnittstellenproblematik

Die genannten Modellbeispiele überzeugen. Die Wirklichkeit hält jedoch bisher nicht gelöste Probleme bereit. Zu deren Verständnis soll die Schnittstelle zwischen anfordernden Kliniken/Praxen und der radiologischen Versorgung tiefer ausgeleuchtet werden.

Bereits im bayerischen Ärzteblatt 2/2007 hat D. Hahn (damaliger Direktor des Instituts für diagnostische und interventionelle Radiologie an der Uniklinik Würzburg) den Wandel in der radiologischen Diagnostik vieler Erkrankungen beschrieben: „Ausreichende Kenntnisse der diagnostischen Möglichkeiten der modernen CT und MRT aufseiten der Überweiser sowie kritische Indikationsstellung aufseiten der Radiologie sind die Voraussetzungen für einen sinnvollen Einsatz moderner bildgebender Verfahren ... Die Zeiten der Stufendiagnostik, beginnend mit klinischer Untersuchung, Labor und einer konventionellen Röntgenaufnahme, danach einer Denkpause vor dem Einsatz weiterer Untersuchungsverfahren, gehören bereits seit langem der Vergangenheit an“.

In jeder Klinik werden – unabhängig vom Versorgungsstatus Uniklinik, nicht universitärer Maximalversorger, Schwerpunkt- oder Regelversorger –in einem unvertretbar hohen Ausmaß Mehrfachuntersuchungen mit Röntgenstrahlen durchgeführt. Ausnahmslos werden zwischen 10 und 20 Prozent der Röntgenfälle nach zwei bis drei Tagen erneut mit CT untersucht. Eine CT schließt die Röntgenuntersuchung auf jeden Fall ein und macht diese überflüssig.

2018 wurde dem Autor bei der Diskussion der vorgenannten nicht notwendigen röntgenbasierten Mehrfachuntersuchungen mit den Chefärzten der anfordernden Kliniken eines Schwerpunktversorgers die Frage gestellt, ob er schon einmal von Stufendiagnostik gehört habe. Es handelte sich um den Unfallchirurgen, in dessen Klinik 21 Prozent der Röntgenuntersuchungen an Gelenken und 13 Prozent der Röntgenuntersuchungen an der Wirbelsäule durchgeführt wurden mit folgenden weiteren diagnostischen Verfahren:

  • Bei 20 Prozent der mit Röntgen untersuchten Gelenke wurde im Abstand von 2 bis 3 Tagen zu zwei Dritteln erneut CT und zu einem Drittel MRT eingesetzt.
  • Bei 18 Prozent der zuvor mit Röntgen untersuchten Wirbelsäulen wurde zu zwei Dritteln CT als Folgeverfahren und zu einem Drittel MRT als Folgeverfahren eingesetzt, CT im Abstand zwischen 2 und 3 Tagen, MRT im Abstand zwischen 3 und 4 Tagen.

Nach dem Stufendiagnostik-Argument blieb der Chefarzt die Erklärungen für die Notwendigkeit der Folgeuntersuchungen schuldig.

Sind Mehrfachuntersuchungen (nicht) notwendig?

Eine deutliche Aussage für die (Nicht-)Notwendigkeit von Mehrfachuntersuchungen im Zusammenhang mit dem Einsatz von CT und MRT bei 2 Schwerpunktversorgern liefert die folgende Abbildung:

Die Grafik zeigt die Struktur der Mehrfachuntersuchungen an gleichen und anderen Organen mit CT/MRT innerhalb eines stationären Aufenthalts in 2016.

CT und MRT wurden hier jeweils als erstes Verfahren sowie als Folgeverfahren eingesetzt und zwar für die Untersuchung der jeweils gleichen Organregion bzw. einer anderen Organregion als bei der ersten Untersuchung.

Am häufigsten wird CT zur Wiederholung einer Untersuchung eingesetzt und zwar zwischen 44 und 63 Prozent an einem anderen Organ als bei der ersten Untersuchung, jeweils während eines stationären Aufenthalts. Wenn CT als erstes Untersuchungsverfahren eingesetzt worden ist, wird MRT zwischen 52 und 64 Prozent als Folgeuntersuchung an einem anderen Organ als bei der ersten CT-Untersuchung eingesetzt.

Nach einer zuerst durchgeführten MRT-Untersuchung wird CT als Folgeuntersuchung zwischen 59 und 83 Prozent für die Untersuchung eines anderen Organs als bei der ersten MRT-Untersuchung verwendet.

Die MRT wird als Folgeuntersuchung nach einer zuerst durchgeführten MRT-Untersuchung zwischen 59 und 79 Prozent zur Untersuchung eines anderen Organs als bei der ersten MRT-Untersuchung durchgeführt.

Im Durchschnitt werden die Folgeuntersuchungen mit CT und MRT zwischen 53 und 65 Prozent an einem anderen Organ durchgeführt als bei der jeweils ersten Untersuchung mit diesem Schnittbildverfahren, und zwar in einem zeitlichen Abstand von durchschnittlich 4 Tagen. Dies ist ein starker Hinweis darauf, dass die erste Untersuchung nicht das erwartete Ergebnis geliefert hat, sodass eine Folgeuntersuchung nach durchschnittlich 4 Tagen an einem anderen Organ notwendig wurde.

Wie sinnvoll ist die Folge-Untersuchung mit CT oder MRT?

Angesichts dieser Zahlen stellen sich die Fragen:

  • Wie sinnvoll ist die Folge-Untersuchungsanforderung?
  • Welche Auswirkung hat sie auf die klinische Versorgung der Patienten während ihres stationären Aufenthalts?
  • Welchen Einfluss hat sie auf die Verlängerung der Verweildauer?
  • Welche anfordernden Kliniken sind die Hauptverursacher für solche Folgeuntersuchungen?

Die hier genannten Prozesse von Mehrfachuntersuchungen finden in jeder Klinik statt. Die Innere Med ist meistens Hauptverursacher, wohl auch der komplexen Fragestellungen wegen. Die Ursachen liegen nach in der Literatur hinreichend bekannten Analysen bei der Indikationsstellung zur radiologischen Untersuchung durch den anfordernden Arzt. Die Anforderungen beruhen häufig auf einem nicht sorgfältig durch systematische Untersuchungen begründeten Verdacht (z. B. Zeitdruck). Die Radiologie wird in solchen Fällen zur Verifikation bzw. Falsifikation dieses Verdachts benutzt. Eine durch die Radiologie vorgeschriebene Rechtfertigung der Indikation findet im Tagesgeschehen überwiegend nicht statt.

Der Autor schätzt auf der Basis von mehr als über 60 analysierten Kliniken den Anteil von Rechtfertigungen der Indikationsstellung durch die Radiologie auf deutlich unter 10 Prozent. Die Ursachen? Die Radiologen scheuen den Zeitverlust durch Diskussionen mit den Anforderern und führen stattdessen die angeforderte Untersuchung mit erheblichen Folgen für die Klinik durch (Qualität und Kosten der Versorgungsprozesse).

Bei einem Kongress wurde der Leiter einer Universitätsradiologie gefragt, ob er den Prozentsatz der nicht das klinisch-relevante Patientenproblem beschreibenden Untersuchungs-Anforderungen kenne. Seine Antwort nach einigem Überlegen: „Ich kenne diese Zahl, sage sie Ihnen aber nicht, weil ich mir das gute Verhältnis zu meinen Zuweisern nicht verderben will“.

Folgen für die Praxis

In der theoretischen Betrachtung hat D. Hahn das Verhalten der klinischen Anforderer sowie der Radiologen an der Schnittstelle zur radiologischen Versorgung vorschriftsmäßig beschrieben. Die Praxis legt jedoch nahe, dass ca. 30 Prozent der angeforderten radiologischen Untersuchungen das klinisch-relevante Patientenproblem nicht oder nicht klar beschreiben und in der Radiologie die angeforderte Untersuchungsindikation nicht kritisch durch einen erfahrenen Radiologen geprüft wird. Im Ergebnis bestimmen die klinischen Anforderer das Leistungsgeschehen in der Radiologie überwiegend selbst.

Im klinischen Alltag einer unter einem Fachradiologen geführten Radiologie hat der Radiologe immerhin die Möglichkeit zur kritischen Überprüfung der angeforderten Indikationsstellung und kann z. B. das Pathway-Management ändern/bestimmen. Dadurch wird sicher ein erheblicher Prozentsatz der angeforderten Röntgenuntersuchungen überflüssig. Auch hat der Radiologe die Möglichkeit, mit dem Patienten zu sprechen, ihm Fragen zu stellen und ihn sogar zu untersuchen.

Über diese Möglichkeiten verfügt der Teleradiologe nicht. In praxi befundet er wie sein Kollege in der Klinik, wenn die Untersuchungsergebnisse über das PACS auf dem Befundungsmonitor erscheinen.

Abhilfe ließe sich durch eine strukturierte Anforderung erreichen, die den Anforderer von radiologischen Untersuchungen zur kritischen Prüfung der Indikationsstellung zwingt, und dabei die Anforderungsstruktur systematisch vom jeweiligen Patientenproblem abgeleitet wird.

An dieser Stelle sieht der Autor künstliche Intelligenz (KI) in zweierlei Hinsicht segensreich wirken:

1. Jeder Computer lässt sich indikationenbezogen mit dem Weltwissen füttern. Dabei überragt er immer das Wissen der erfahrensten Ärzte.

2. Die Erfahrungen trainierter Ärzte lassen sich zunehmend nutzen, indikationenbezogen die archivierten Wissensbestandteile systematisch zu verknüpfen.

Mit diesen beiden Stufen würden sich für den klinischen Anforderer radiologischer Leistungen Hinweise auf das klinisch relevante Patientenproblem mit Wahrscheinlichkeitsgewichten systematisch ableiten lassen – mit der dazu jeweils aussagefähigsten radiologischen Untersuchung. In dieser Zusammenführung von archiviertem Wissen und lernenden IT-Systemen erwächst ein starker Impact auf eine Verbesserung der Bestimmung des klinisch relevanten Patientenproblems und seiner Therapie.

Mit KI-Unterstützung wird die Teleradiologie in Zukunft sicher zu einer für die Patienten segensreichen Einrichtung.

Weiterführende Hinweise

  • Zu den mit der Teleradiologie verbundenen Rechtsfragen sowie Genehmigungspraxis: RA P. Wigge, RöFO-Beitrag 1, 66 - 70, Januar 2015
  • Klar umgrenzte Einsatzszenarios der Teleradiologie: H. Krüger-Brand, DÄBL 2007; 104 (39)
  • Aktueller Stand Telerad. Recht, Anforderung, Technik: M. Waltz, TÜV Industrie Service, AG Telerad BRD, 21.04.2015
  • Qualitative Anforderungen an Ärzte und MTRA: M. Waltz, R. Bolte, U. Cramer; Teleradiologie; TÜV Süd