BSG: KV muss Radiologen die Anwaltskosten bei erfolgreichem Widerspruch erstatten!

von RA, FA für MedR, Wirtschaftsmediator Dr. Tobias Scholl-Eickmann, Kanzlei am Ärztehaus, Dortmund, www.kanzlei-am-aerztehaus.de

Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Baden-Württemberg muss einem Radiologen und Nuklearmediziner die Anwaltskosten erstatten, die diesem für den Widerspruch gegen eine Honorarkürzung in Höhe von knapp 155.000 Euro wegen (vermeintlich) fehlerhafter Abrechnung im Rahmen einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung entstanden waren. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 9. Mai 2012 bestätigt (Az: B 6 KA 19/11 R). Die Entscheidung ist erfreulich, da sie der Tendenz von KVen, betroffenen Ärzten berechtigte Anwaltskostenerstattungen zu verweigern, nachhaltig entgegentritt. 

Der Fall

Die KV kürzte das Honorar des Radiologen für die Quartale 1/03 bis 4/04 und verlangte knapp 155.000 Euro zurück. Zur Begründung führte sie aus, der Ansatz bestimmter Gebührennummern des EBM a. F. entspreche nicht der Leistungslegende: Diese Ziffern könnten nur bei diagnostischen Untersuchungen abgerechnet werden. Daran aber fehle es bei der Behandlungsweise des Arztes. Sein Vorgehen umschreibe die Kontrolle der Nadellage sowie weitere Darstellungen, die zur Durchführung der Radiosynoviorthese notwendig seien. Damit seien die Leistungen zum einen in ihrem Einsatzzweck fehlangewendet; zum anderen hätten sie nach den allgemeinen Bestimmungen des EBM ohnehin nicht zusätzlich zur damaligen Nr. 7070 EBM (Radiosynoviorthese oder Behandlung von Geschwülsten und/oder Geschwulstmetastasen in einer Körperhöhle oder einem Hohlorgan, einschließlich der erforderlichen Kontrollmessungen) abgerechnet werden dürfen. 

Der Arzt beauftragte einen Rechtsanwalt, der im Mai 2006 gegen den Bescheid Widerspruch erhob, ohne diesen inhaltlich zu begründen. Zeitgleich erläuterte der Arzt sein Behandlungs- und Abrechnungsverhalten gegenüber der KV telefonisch und übermittelte ein Schreiben, das ein anderer Anwalt in einem Verfahren vor einem Sozialgericht vorgelegt hatte. 

Die KV holte eine Stellungnahme der KBV ein und half sodann dem Widerspruch des Arztes ab. Sie übernahm weiter auch die Kosten des Widerspruchsverfahrens, erklärte die Hinzuziehung des bevollmächtigten Rechtsanwalts für das Widerspruchsverfahren jedoch für nicht notwendig – was aber Voraussetzung für die Erstattung der Anwaltskosten ist. Zur Begründung führte die KV aus, der bevollmächtigte Anwalt habe keine Stellungnahme abgegeben, außerdem sei der Sachverhalt lediglich medizinisch zu beurteilen gewesen. 

Während das Sozialgericht erst­instanzlich zugunsten der KV ­entschied, urteilten sowohl das ­Landessozialgericht als auch nun das BSG zugunsten des Radio­logen. 

Die Entscheidung

Für die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten sei die Sicht des Widerspruchsführers auf der Basis der Sach- und Rechtslage in dem Zeitpunkt maßgebend, in dem er sich entscheiden kann bzw. muss, ob er gegen den ihm gegenüber ergangenen Verwaltungsakt Widerspruch einlegt. Es komme allein darauf an, ob er es für notwendig halten durfte, sich von einem Bevollmächtigten unterstützen zu lassen. 

Das sei der Fall, wenn nicht ohne Weiteres zu klärende bzw. nicht einfach gelagerte Sach- und Rechtsfragen eine Rolle spielen. Dabei komme dem Bildungs- und Erfahrungsstand des Widerspruchsführers ebenso Bedeutung zu wie den wirtschaftlichen Auswirkungen der anzufechtenden Entscheidung. 

Bei Verfahren der sachlich-rechnerischen Richtigstellung sei die Notwendigkeit der Hinzuziehung nicht generell zu bejahen. Sie sei aber immer dann zu bejahen, wenn das Verfahren für den geprüften Arzt von nicht unerheblicher wirtschaftlicher Tragweite ist und Hinweise des Arztes auf offensichtliche Fehler der KV, Klarstellungen zu seinem Abrechnungsverhalten oder rein medizinische Erläuterungen zum Behandlungsumfang aus seiner Sicht nicht ausreichen, um das Widerspruchsverfahren mit Aussicht auf Erfolg durchzuführen. 

Auslegungsfragen zu den Leistungslegenden der Gebührenordnungen, zu wechselseitigen Ausschlüssen verschiedener Leistungspositionen und zu den Voraussetzungen zulässiger Parallelabrechnungen werfen in der Regel auch rechtliche Fragen auf, zu deren Klärung sich der Arzt anwaltlicher Hilfe bedienen dürfe. Ob der bevollmächtigte Anwalt den Widerspruch eingehend begründe und/oder seine Tätigkeit für den Erfolg des Widerspruchs ursächlich ist, sei für die Entscheidung über die Notwendigkeit seiner Hinzuziehung hingegen ohne Bedeutung. 

Praxishinweis: In der Praxis von KVen und Prüfgremien ist zunehmend festzustellen, dass Ärzte, die im Widerspruchsverfahren mit anwaltlicher Hilfe obsiegen, ein berechtigter Kostenerstattungsanspruch versagt wird oder aber die anwaltlichen Kostennoten pauschal auf den durchschnittlichen 1,3-fachen Gebührensatz des RVG, dessen Rahmen bis zum 2,5-fachen Satz reicht, gekürzt werden. Die Ärzte bleiben dann auf den anwaltlichen Kosten ganz bzw. teilweise hängen. 

Zwar besteht die Möglichkeit des Rechtswegs. Es wird jedoch von KVen und Prüfgremien häufig „auf Zeit gespielt“: Der rechtsmittelfähige Bescheid wird erst nach etwa sechs Monaten übersandt, der dagegen gerichtete Widerspruch erst nach Ablauf eines weiteren halben Jahres beschieden. Dann schließt sich in der Regel noch ein meist mehrjähriges sozialgerichtliches Verfahren an. Angesichts dieser Umstände sehen viele betroffene Ärzte von einer weitergehenden Auseinandersetzung ab, wenn die (Differenz-)Kosten in einem überschaubaren Rahmen liegen. Folge ist, dass die KVen bzw. Prüfgremien auf diese Weise zumindest einen Etappensieg erringen. 

Fazit

Die Entscheidung des BSG ist vor dem geschilderten Hintergrund zu begrüßen. Sie sorgt für Rechtsklarheit und wird – so ist zu hoffen – ­betroffenen Ärzten zu der ihnen nach dem Gesetz zustehenden Kostenerstattung verhelfen, ohne dass der mühsame und langjährige Umweg über die Instanzen in Anspruch genommen werden muss.