Betretungs- und Tätigkeitsverbote im Rahmen der einrichtungsbezogenen Impfpflicht

von Rechtsreferendarin Anna Sprinkmeyer und RA, FA ArbeitsR, MedizinR, Handels- und GesellschaftsR Benedikt Büchling, Hagen, kanzlei-am-aerztehaus.de

Seit Inkrafttreten der sogenannten „einrichtungsbezogenen Impfpflicht“ am 15.03.2022 sind u. a. Arztpraxen und Kliniken verpflichtet, den Gesundheitsämtern ungeimpfte Beschäftigte zu melden. Die Gesundheitsämter fordern die betroffenen Einrichtungen und Beschäftigten im Rahmen des behördlichen Verfahrens regelmäßig auf, die nach § 20a Infektionsschutzgesetz (IfSG) erforderlichen Nachweise vorzulegen. Geschieht dies nicht, droht der Ausspruch eines sogenannten „Betretungsverbots“ durch das Gesundheitsamt. Die betroffenen Beschäftigten dürfen dann nicht mehr an ihrem Arbeitsplatz tätig werden. Der nachfolgende Beitrag erläutert die Rechtslage unter dem Aspekt des gesundheitsbehördlichen Verfahrens und enthält Handlungsempfehlungen aus der anwaltlichen Praxis. 

„Einrichtungsbezogene Impfpflicht“ und Meldepflichten

Beschäftigte in Arztpraxen und Kliniken sind seit dem 15.03.2022 verpflichtet, einen Impf- oder Genesenennachweis gegenüber dem Arbeitgeber zu erbringen.

Das Gesetz sieht insoweit die Vorlage eines

  • Impfnachweises im Sinne des § 2 Nr. 3 der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung in der jeweils geltenden Fassung,
  • Genesenennachweises im Sinne des § 2 Nr. 5 der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung in der jeweils geltenden Fassung oder
  • ärztlichen Zeugnisses darüber, dass sie aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpft werden können, vor.

Ein Nachweis kann ergänzend auch durch ärztliche Zeugnisse über eine bestehende Schwangerschaft im ersten Schwangerschaftsdrittel erbracht werden.

Arbeitgeber sind verpflichtet, Personen, für die ein Nachweis nicht erbracht wurde, unter Angabe der personenbezogenen Daten (§ 2 Nr. 16 IfSG) dem zuständigen Gesundheitsamt zu melden. Die fehlende Meldung sowie die Beschäftigung einer Person ohne Nachweis sind bußgeldbewehrt, vgl. § 73 Abs. 1a Nr. 7h) IfSG: Möglich sind demnach Geldbußen von bis zu 2.500 Euro.

Formulierungshilfe

Einen Textbaustein zur Information des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer über die Meldepflicht finden Sie im Downloaddokument „Textbausteine zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht gegen COVID-19“.

 

Befugnisse der Gesundheitsämter

Die Befugnisse der Gesundheitsämter sind in § 20a Abs. 5 IfSG geregelt. Danach können diese zunächst die betroffenen Personen auffordern, einen entsprechenden Nachweis vorzulegen. Ferner kann das Gesundheitsamt einer Person, die trotz dieser Aufforderung keinen Nachweis innerhalb einer angemessenen Frist vorlegt oder der Anordnung einer ärztlichen Untersuchung nicht Folge leistet, untersagen, dass sie den Betrieb betritt oder in einer solchen Einrichtung oder einem solchen Unternehmen tätig wird. Bestehen Zweifel an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit eines vorgelegten Nachweises, so kann das Gesundheitsamt eine ärztliche Untersuchung dazu anordnen, ob die betroffene Person aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpft werden kann.

Formulierungshilfe

Textbaustein zur Meldung gegenüber dem Gesundheitsamt im Downloaddokument

 

Das Tätigwerden der Gesundheitsbehörde setzt eine solche Meldung indes nicht zwingend voraus. Ebenfalls denkbar sind – aufgrund der bestehenden Ermittlungspflicht – durch die Gesundheitsämter selbst eingeleitete Kontrollen.

Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Betretungs- und Tätigkeitsverbote

Es gibt zwei Fälle, in denen der Ausspruch eines Betretungs- und/oder Tätigkeitsverbots droht:

  • 1. Die eine Möglichkeit ist, dass einer Aufforderung des Gesundheitsamts zur Vorlage eines Nachweises nicht innerhalb einer angemessenen Frist Folge geleistet worden ist.
  • 2. Die andere Möglichkeit besteht darin, dass eine angeordnete ärztliche Untersuchung wegen bestehender Zweifel an der Echtheit bzw. inhaltlichen Richtigkeit eines Zeugnisses über eine medizinische Kontraindikation verweigert wurde.

Merke

Angemessen ist dabei eine Frist von 14 Tagen, wobei in der Praxis auch längere Fristen gesetzt werden können.

 

Zweifel an der Echtheit bzw. inhaltlichen Richtigkeit eines Impf- oder Genesenennachweises genügen hier nicht.

Die Gesundheitsämter treffen eine sog. „Ermessensentscheidung“. Dabei dürfen sie die Grenzen des Ermessens nicht über- oder unterschreiten, d. h., dass die jeweilige Entscheidung stets den Zweck der Vorschriften sowie insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten muss. In der Entscheidung muss auch Beachtung finden, dass ein Betretungs- oder Tätigkeitsverbot einen Eingriff in die Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Grundgesetz darstellt. Nach der Gesetzesbegründung für die einrichtungsbezogene Impfpflicht soll dieser Eingriff insbesondere bei der Bemessung der Dauer eines Verbots Berücksichtigung finden.

Dies hat zur Folge, dass nicht in jedem Fall, in dem die tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen, ein (umfassendes) Betretungs- oder Tätigkeitsverbot ausgesprochen werden muss. Nach dem verfassungsrechtlich anerkannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist die Behörde gehalten, ein Verbot nur dann zu erlassen, wenn es zur Erreichung des Gesetzeszwecks

  • geeignet,
  • erforderlich und
  • angemessen ist.

Die Erforderlichkeit setzt voraus, dass es zur Zweckerreichung kein milderes, gleich effektives Mittel gibt. Als milderes Mittel kommt z. B. eine örtliche Eingrenzung eines Tätigkeitsverbots in Betracht. Bei Reinigungskräften dürfte eine zeitliche Begrenzung des Betretungsverbots in Betracht kommen. Nebenbestimmungen und Auflagen können etwa das Tragen einer FFP2-Maske, regelmäßige Testungen oder eine Erlaubnis der Tätigkeit ausschließlich ohne Kontakt zu vulnerablen Personengruppen sein.

Handelt es sich hingegen um Tätigkeiten, die nur in der Praxis bzw. der Klinik ausgeübt werden können (z. B. MTRA, MFA, Krankenpfleger oder ärztliches Personal), wird das Gesundheitsamt i. d. R. ein Betretungsverbot aussprechen. Sind hingegen auch Tätigkeiten denkbar, die flexibel auch außerhalb der Praxis ausgeübt werden können (z. B. Hausbesuche; ambulante Pflege), kann ein zusätzliches Tätigkeitsverbot ausgesprochen werden.

Verfahrensablauf

Bei dem Ausspruch eines Betretungs- und/oder Tätigkeitsverbots sowie der ärztlichen Untersuchungsanordnung handelt es sich jeweils um einen Verwaltungsakt. Adressaten dieser Verwaltungsakte sind die Beschäftigten, die einen nach § 20a IfSG erforderlichen Nachweis nicht erbracht haben. Bevor ein solcher Verwaltungsakt erlassen wird, besteht eine Anhörungspflicht, vgl. § 28 Abs. 1 Verwaltungs-verfahrensgesetz. In diesem Rahmen werden die Verfahrensbeteiligten (Beschäftigte und Arbeitgeber) angehört und ggf. um Stellungnahme gebeten.

Formulierungshilfe

Textbaustein zur Meldung gegenüber dem Gesundheitsamt im Downloaddokument

 

Ein erlassenes Betretungs- oder Tätigkeitsverbot ist gem. § 20a Abs. 5 Satz 4 IfSG sofort vollziehbar. Das bedeutet, dass ein etwaig eingelegter Rechtsbehelf gegen das Verbot keine aufschiebende Wirkung hat, das Verbot also während des Beschreitens des Rechtswegs durch die Behörde weiter vollzogen werden kann. Im Rahmen des Vollstreckungsrechts stehen der Behörde zur Durchsetzung des Verbots Zwangsmittel wie ein

  • ein Zwangsgeld,
  • die Ersatzzwangshaft oder
  • der unmittelbare Zwang

Rechtsschutz und aktuelle Rechtsprechung

Gegen ein Betretungs- und Tätigkeitsverbot kann Anfechtungsklage bei dem zuständigen Verwaltungsgericht erhoben werden. Da Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, ist zugleich ein Eilrechtsschutzverfahren auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 Verwaltungsgerichtsordnung) möglich.

Das Verwaltungsgericht (VG) Osnabrück (Beschluss vom 25.07.2022, Az. 3 B 104/22, nicht rechtskräftig) lehnte den Antrag eines Zahnarztes ab, gegen den ein Tätigkeitsverbot verhängt worden war.

Das VG Hamburg (Beschluss vom 26.07.2022, Az. 6 E 2920/22) lehnte den Antrag einer MFA ab, für die ein infektionsschutzrechtliches Betretungsverbot ausgesprochen worden war. Beide Gerichte hielten die individuell erlassenen Betretungs- bzw. Tätigkeitsverbote für rechtmäßig. Insbesondere seien keine Ermessensfehler ersichtlich.

Arbeitsrechtliche Aspekte

Bis zum Ausspruch eines Betretungs- oder Tätigkeitsverbots nach § 20a Abs. 5 S. 3 IfSG ergeben sich für ein bestehendes Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis keine unmittelbaren gesetzlichen Konsequenzen. Spätestens aber nach Ausspruch eines berechtigten Betretungs- und/oder Tätigkeitsverbots besteht regelmäßig ein legitimes Interesse des Arbeitgebers, arbeitsrechtliche Maßnahmen in Form der Freistellung, Abmahnung und/oder Kündigung zu ergreifen.

Weiterführende Hinweise