„Bei der Diagnose von COVID-19 darf man sich nicht nur auf die Bilder verlassen.“

„Praktizieren in Krisenzeiten“ lautete der Titel einer Veranstaltung beim Gesundheitskongress des Westens 2020. Einer der Referenten war Dr. Florian Siedek, Oberarzt am Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie der Uniklinik Köln (UKK). Bereits zweimal, im November 2018 und im Dezember 2019, ehrte die Radiological Society of North America (RSNA) Herrn Dr. Siedek mit dem „RSNA Trainee Research Prize“. Ursula Katthöfer (textwiese.com) fragte ihn nach den Herausforderungen und Chancen der Corona-Pandemie.

Redaktion: Gab es während der ersten Corona-Welle einen Moment, an dem Sie dachten: „Das schaffen wir nicht.“

Siedek: Nein, an der Uniklinik Köln wurde schon sehr früh ein Krisenstab einberufen, der die Klinik in den Krisenmodus überführte. Der Regelbetrieb wurde stark reduziert, die Intensivkapazität ausgebaut. Ein Infektionsschutzzentrum wurde vom üblichen Regelbetrieb getrennt und für COVID-19-Patienten eingerichtet. Für sie hatten wir 70 Intensivbetten und hätten um fast das Dreifache ausbauen können. Doch die Maximalbelegung lag bei 25 oder 26 Patienten auf der Intensivstation.

Redaktion: Welche organisatorische Umstellung hat sich in der Radiologie während der Krisenzeit besonders bewährt?

Siedek: COVID-19-Patienten waren nicht im Wartebereich, sondern wurden immer von gesondertem Personal zu ausschließlich für sie reservierten Geräten gebracht. Wurden die Geräte doch für andere Patienten genutzt, griff ein spezielles Reinigungs- und Desinfektionsprotokoll. Bei jedem Verdacht auf eine Pneumonie schaut ein Radiologe auf das Bild, solange der Patient im Gerät liegt. Haben wir einen COVID-19-Verdacht, halten wir Rücksprache mit dem Zusender, also der Klinik oder der Notaufnahme. Der Patient wird von gesondertem Personal abgeholt. Es ist sinnvoll, alle Lungen mit Frage nach Pneumonie abzunehmen. Das machen wir bis heute.

Redaktion: Bei negativem PCR-Test und passenden klinischen Symptomen kann ein CT Klarheit schaffen. Doch auch eine negative CT-Diagnostik schließt COVID-19 nicht aus. Hatten Sie rätselhafte Fälle?

Siedek: Das ist generell ein Problem. Bei Rauchern oder älteren Patienten sehen wir häufig Veränderungen des Lungengewebes, meistens Narben, Emphyseme oder auch Lungenfibrosen. Man muss sagen, dass es bei Assistenten und Oberärzten eine deutliche Lernkurve gab. Aus China kamen sehr früh Übersichtsartikel mit Bildern, die die Verläufe gut beschrieben. Wir konnten uns an Standards wie typische Veränderungen in beiden Lungen oder nicht vergrößerten Lymphknoten orientieren. Doch ein CT kann niemals hundertprozentig zur Bestätigung oder zum Ausschluss von COVID-19 genutzt werden. Es ist sehr sensitiv, aber nicht sehr spezifisch. Selbst wenn wir Veränderungen sehen, muss es keine COVID-19-Erkrankung sein. Deshalb sind die Anamnese und die klinische Einschätzung so wichtig.

Redaktion: Welche Erfahrungen haben Sie als Radiologe im Homeoffice gemacht?

Siedek: Zur Diagnostik haben wir die Teleradiologie schon vor COVID verwendet. Wenn ich Nachtdienst habe, können Assistenten mir den Namen eines Patienten nennen, ich öffne den Klinikrechner und sehe mir die Bilder an. Inzwischen sind auch die Assistenten mit Laptops ausgerüstet, die Sicherheitsfeatures und unsere spezielle Software zur Bildbetrachtung enthalten. Ein großer Bildschirm mit einer hohen Auflösung ist üblicherweise aus juristischen Gründen notwendig. Für den Notfall gab es von der Bezirksregierung Köln jedoch die Erlaubnis, die Bilder auch auf kleineren Bildschirmen anzusehen.

Redaktion: Wie haben Sie Besprechungen wie z. B. Fallkonferenzen abgehalten?

Siedek: Die IT der Uniklinik Köln hatte mehrere digitale Konferenzsysteme als sicher akzeptiert. Das war z. B. für die interdisziplinären Tumorboards sehr wichtig, denn selbst wenn wir uns in der Klinik aufhielten, durften wir uns ja mit u. a. Onkologen und Chirurgen nicht persönlich in größeren Gruppen treffen. Wir konnten hierbei unsere Bildschirme teilen, um den Kollegen die Bilder zu zeigen.

Redaktion: Wie fällt Ihre Bilanz zum Homeoffice aus?

Siedek: Befundungen und Besprechungen haben überwiegend sehr gut funktioniert. Doch der Workflow in der Klinik ist schon ein bisschen einfacher, dort haben wir z. B. ein Diktiersystem. Allerdings war die Ermöglichung des Homeoffice notwendig, um den Klinikbetrieb ggfs. aufrechterhalten zu können.

Redaktion: Wie ist es gelungen, das Pflegeteam während der schwierigen Zeit zu motivieren?

Siedek: Das Gefühl der Gemeinsamkeit war erstaunlich. Alle zogen an einem Strang. Alle wussten, dass COVID-19 ernst genommen werden muss, um uns selbst zu schützen und die Radiologie nicht zu gefährden. In Köln haben wir während des Lockdowns eine größere Wertschätzung empfunden als sonst. Erstaunlich ist, dass diese Wertschätzung abnahm, als die Krise sich entspannte. Das ist schade.

Redaktion: Wo würden Sie sagen, dass die Radiologie der Uniklinik Köln gestärkt aus der Krise hervorging?

Siedek: Sowohl für die Uniklinik als Ganzes als auch für die Radiologie war es ein großer Erfolg, dass das frühzeitig eingesetzte Krisenmanagement so gut funktioniert hat. Wir haben erkannt, dass der Klinikbetrieb nicht einbricht, wenn wir virtuelle Tools nutzen. Das wird über Corona hinaus bleiben.

Redaktion: Nun ist die Pandemie ja noch nicht im Griff. Wie hat Ihre Abteilung sich für den Fall aufgestellt, dass die intensivmedizinisch zu betreuenden Patienten wieder zunehmen?

Siedek: Viele der Schutzmaßnahmen bestehen weiterhin. Besucher müssen sich beispielsweise noch anmelden, das Infektionsschutzzentrum bleibt aktiv, wir behalten die digitalen Tools, gucken weiterhin jede Lunge mit der Frage nach Pneumonie an. Im Falle steigender Infektionszahlen wird es relativ schnell machbar sein, den vollen Krisenmodus wieder hochzufahren.

Redaktion: Wo sehen Sie radiologische Forschungsfelder in Bezug auf COVID-19?

Siedek: Zu Künstlicher Intelligenz (KI) gibt es schon sehr viele Studien, insbesondere aus China, weil es dort große Patientenkollektive gibt. Die Frage ist, wie wir KI nutzen können, um Veränderungen des Lungengewebes im Fall von COVID-19 schneller und besser von anderen Entzündungen zu unterscheiden. In einer Pandemiesituation, wenn nicht genug Radiologen vor Ort sind, wäre es zukünftig sinnvoll, mit Hilfe von KI eine Vorauswahl an Patienten zu generieren, die COVID-19 haben könnten oder deren Lunge unauffällig ist. Bei besonderen CT-Bildgebungsmethoden könnte man untersuchen, welche Rolle unterschiedliche Techniken spielen. Und natürlich geht es um Fallbeschreibungen, in denen Krankheitsverläufe mit atypischen Lungenveränderungen beschrieben werden. Eine Studie aus Chicago beschreibt, dass in 2,8 bis 5,3 Prozent der COVID-19-Fälle atypische Scans hatten. Das ist weltweit wichtig.

Redaktion: Welche Rolle werden CT-Scans spielen, um Langzeitschäden von COVID-19 zu beurteilen?

Siedek: Da spielt die Radiologie zusätzlich u. a. zu den Lungenfunktionsuntersuchungen der Internisten eine ganz wichtige Rolle. Die CT-Bildgebung wird zeigen, welche narbigen oder sonstigen Lungenveränderungen als Residuen bleiben – abhängig von Alter und Vorerkrankungen. Herz, Hirn und HNO-Veränderungen könnte man mit der MRT untersuchen. Wir können langfristig dabei helfen, neurologische oder kardiologische Einschränkungen zu benennen.

Die Ludwig-Maximilians-Universität München hat bereits eine große Studie mit dem Helmholtz Zentrum begonnen, um die Langzeitfolgen von COVID-19 zu untersuchen.

Redaktion: Ganz anderes Thema: Sie gehören im Alter von 33 Jahren zu den Nachwuchsradiologen. Wie schätzt Ihre Generation die Chancen einer Niederlassung ein?

Siedek: Die Investitionsvolumina für eine eigene Praxis sind sehr hoch, ebenso das finanzielle Risiko, weil die Geräte selbst und deren Unterhalt teuer sind und angesichts des technischen Fortschritts diese schnell veralten. Man kann sich in eine Gemeinschaftspraxis einkaufen, doch das ist zumindest in den Innenstädten der Metropolen schwierig. Im Kölner Zentrum gibt es einen hart umkämpften Markt. Große Praxen privater Investoren sind zusätzliche Konkurrenz. Die Bezahlung pro Untersuchung wird weiter reduziert, was die Niedergelassenen zwingt, noch effizienter zu arbeiten. Und in einer Krisensituation drohen Verluste wie zuletzt während des Lockdowns. Viele junge Radiologen haben dennoch das ersehnte Ziel, irgendwann ihr eigener Chef zu sein und die Work-Life-Balance zu verbessern. Ich hoffe, dass das noch möglich sein wird.